# taz.de -- Parteitag der Grünen: Miniaufstand zum Ende | |
> Die Grünen inszenieren sich in Freiburg als Partei, der der Zuspruch | |
> nicht zu Kopf steigt. Da blieb wenig Zeit für Programmatisches. Eine | |
> Überraschung gab es in der Gesundheitspolitik. | |
Bild: "Auftrag Abstimmen" steht auf einer Stimmkarte, die ein Delegierter beim … | |
Am Anfang gab es kurz Tumult. Vor dem Podium der Parteitagsleitung lärmte | |
ein Grüppchen, klatschte und rief eine Parole. Es dauerte eine Weile, dann | |
verstanden die Delegierten: Hier geht es nicht um Protest der Basis gegen | |
ihre Führung. Die rund 20 Leute skandierten "Oben bleiben" - den | |
Schlachtruf der Gegner von Stuttgart 21. Claudia Roth klopfte dazu lächelnd | |
auf eine Wasserflasche. Die heile Welt der Grünen in Freiburg blieb gewahrt | |
- bis kurz vor dem Ende. | |
"Oben bleiben", so sollte nach dem Willen einiger Grüner auch die 32. | |
Bundesdelegiertenkonferenz betitelt sein. Das klang der Parteiführung zu | |
sehr nach Schielen auf die eigenen Rekordergebnisse in Wahlumfragen. Dabei | |
hätte die Parole durchaus gepasst. | |
Denn am vergangenen Wochenende ging es in der Messehalle 3 mindestens so | |
sehr um öffentliche Stimmungen wie um die Neuwahl der Führung und | |
inhaltliche Debatten. Fast alle Redner wiesen empört den Vorwurf der Union | |
zurück, die Grünen seien eine "Wohlfühl-" oder "Protestpartei". Immer | |
wieder musste das Wort des baden-württembergischen Grünen-Chefs Winfried | |
Kretschmann herhalten, wonach die Grünen auf dem Teppich blieben, auch wenn | |
der fliege. Die größte Sorge der Grünen war es, ihren mühsam erworbenen Ruf | |
als pragmatische Problemlöser mit moralischem Mehrwert zu beschädigen. | |
Deshalb hatte die Parteitagsregie unter Murren einiger Delegierter fast | |
alles abgeräumt, was zu Konflikten auf offener Bühne hätte führen können. | |
Doch in den buchstäblich letzten Minuten stimmte eine Mehrheit für die | |
Einführung einer "Grünen Bürgerversicherung". Die Delegierten votierten | |
dafür, die Beitragsbemessungsgrenze von 3.750 auf 5.500 Euro anzuheben. Und | |
nicht auf bloß 4.162 Euro, wie die Fraktion gefordert hatte. Damit setzt | |
sich die Basis gegen eine Parteiführung durch, die Grünen-Sympathisanten | |
nicht mit der Aussicht auf massive finanzielle Belastungen verschrecken | |
wollte. | |
Überhaupt ging es beim ersten Grünen-Parteitag seit Beginn des Umfragehochs | |
vor allem um eines: das öffentliche Bild der Partei. Die Kofraktionschefin | |
Renate Künast urteilte: "Alle anderen Parteien haben anscheinend nichts | |
Besseres zu tun, als sich über uns zu unterhalten." Das Schmähwort der | |
Konkurrenz von der "Wohlfühlpartei" soll nicht verfangen. Deshalb Künasts | |
Aufforderung, den "grünen Faden" weiter zu verfolgen. | |
Viel am Programm gewerkelt wurde jedoch nicht: Die Delegierten bekräftigten | |
das Ja zu einer Zweistaatenlösung im Nahen Osten. Ein Antrag, die Rente mit | |
67 abzuschaffen, wurde kurzfristig vertagt. Die Finanzen der Kommunen | |
wollen die Kommunen verbessern, damit sie mehr soziale Leistungen anbieten | |
können. Doch blieb unklar, wo die Milliardensummen für diese und weitere | |
Ziele herkommen sollen. | |
Dass dies im Widerspruch zum Selbstbild der Grünen steht, bemerkte auch die | |
Parteiführung. Bis zur Bundestagswahl 2013, versprach Koparteichef Cem | |
Özdemir, werde die Partei ausgefeilte Konzepte für mehr soziale | |
Gerechtigkeit und bessere Bildung vorlegen: "Wer uns wählt, weiß: Er | |
bekommt auch Zumutungen." Der 44-jährige Parteivorsitzende erhielt bei | |
seiner ersten Wiederwahl nach zwei Jahren im Amt blendende 88,5 Prozent der | |
abgegebenen Stimmen. Koparteichefin Claudia Roth schnitt mit 79,3 Prozent | |
etwas schlechter ab als 2008. Damals erhielt sie sehr gute 82,7 Prozent. | |
Den leichten Knick interpretierten die Grünen als Abstrafung von Roths | |
Engagements für die Bewerbung Münchens um die Olympischen Winterspiele | |
2018. | |
21 Nov 2010 | |
## AUTOREN | |
Matthias Lohre | |
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