# taz.de -- Weniger Haft, höherer Schadensersatz: Pirate Bay erneut verurteilt | |
> Ein schwedisches Gericht hat in zweiter Instanz die Betreiber der | |
> Tauschbörse Pirate Bay verurteilt. Sie hätten nichts unternommen, um das | |
> Filesharing zu stoppen. | |
Bild: Fredrik Neij (r.) and Peter Sunde (Mitte) während der Verhandlung. | |
STOCKHOLM taz | Auch in zweiter Instanz wurden die Gründer der | |
Filesharing-Seite [1][Pirate Bay] der Beihilfe zur Urheberrechtsverletzung | |
schuldig befunden. "Svea Hovrätt", das Oberlandesgericht in Stockholm, | |
senkte am Freitag deren Haftstrafen auf zwischen 4 und 10 Monate, erhöhte | |
aber gleichzeitig den von ihnen an verschiedene Musik- und Filmkonzerne zu | |
zahlenden Schadensersatz auf umgerechnet rund 4,95 Millionen Euro. | |
Das Amtsgericht hatte im April 2009 Fredrik Neij, Gottfrid Svartholm Warg, | |
Peter Sunde und Carl Lundström jeweils zu einer einjährigen Haftstrafe und | |
einem Schadensersatz von zusammen umgerechnet rund 3,2 Millionen Euro | |
verurteilt. | |
Das "Svea Hovrätt" kam zur Überzeugung, den Angeklagten sei bekannt | |
gewesen, dass die von ihnen betriebene Webseite zum illegalen Austausch von | |
urheberrechtlich geschütztem Material benutzt werde. Sie hätten nichts | |
unternommen, um dies zu stoppen, sondern sich im Gegenteil über | |
entsprechende Hinweise und Beschwerden lächerlich gemacht. | |
Damit hätten sie auch dann Beihilfe zur Urheberechtsverletzung begangen, | |
wenn die eigentlichen "Täter", Millionen Internet-UserInnen, die | |
untereinander Musik oder Filme ausgetauscht haben, unbehelligt geblieben | |
seien. Das Gericht stellt sich damit gegen die Argumentation der | |
Verteidigung, die Pirate Bay als bloße Suchmaschine ähnlich wie Google oder | |
YouTube einordnen wollte, wo InternetuserInnen ebenfalls Links zu | |
geschütztem wie frei zugänglichem Material finden könnten. Doch gerade die | |
YouTube-Argumentation wendet das Gericht gegen Pirate Bay: Youtube würde | |
nämlich in der Regel Material entfernen, wenn Urheber das fordern. | |
Auch in einer juristisch strittigen Beweisfrage folgte das Gericht nicht | |
der Verteidigung. Diese hatte Freispruch gefordert, weil die | |
Staatsanwaltschaft nicht beweisen könne, dass die Angeklagten Kenntnis von | |
dem konkreten urheberrechtlich geschützten Material hatten, um das sich das | |
Verfahren allein drehte. Der von der Musik- und Filmbranche initiierte | |
Prozess bezog sich nämlich auf 20 Musikstücke, neun Filme und vier | |
Computerspiele, die über Pirate Bay zum Zeitpunkt einer polizeilichen | |
Beschlagnahmeaktion im Mai 2006 zugänglich gewesen sein sollen. | |
Ähnlich wie das Amtsgericht stellt das Oberlandesgericht allein auf das | |
generell mögliche Wissen der Angeklagten ab. Ein blosses Indizienurteil, wo | |
Beweise erforderlich gewesen wären, sah der Lundström-Verteidiger Per | |
Samuelsson. Und damit einen möglichen Ansatz der Verteidigung, um den | |
Obersten Gerichtshof Schwedens anzurufen. Eine entsprechende Revision | |
kündigte der ehemalige Pirate-Bay-Sprecher Peter Sunde unmittelbar an. | |
Anders als für die Betroffenen selbst dürfte das Urteil fürs Filesharing | |
insgesamt relativ folgenlos bleiben. Pirate Bay hat zwar immer noch über 20 | |
Millionen regelmäßige User, spielt aber nicht mehr die zentrale Rolle im | |
globalen Filesharing-Netzwerk wie noch zu Beginn des Gerichtsverfahrens. | |
Über ein Dutzend neuer Webseiten seien entstanden, die Struktur habe sich | |
dezentralisiert, sagt der IT-Experte Daniel Johansson von der TU Stockholm. | |
Er hält das Urteil allenfalls "von historischem Interesse, aber ansonsten | |
praktisch wirkungslos". Denn es drehe sich "um eine Technik, die | |
mittlerweile weithin obsolet ist". Früher habe das für Filesharing mit | |
Hilfe der Bittorrent-Technik erforderliche Protokoll, das den Austausch der | |
einzelnen "Datenpakete" zwischen den Usern koordiniert, auf "Trackern" und | |
diese wiederum auf speziellen Servern wie denen von Pirate Bay gelegen. | |
Eine neue Technik (DHT - distributed hash table) habe solche zentralen | |
Server mittlerweile überflüssig gemacht. Die Koordination erfolgt nun | |
direkt zwischen den Usern. Webseiten wie Pirate Bay seien damit tatsächlich | |
nur noch Suchmaschinen, sagt Johansson: "Die Bittorrent-Informationen | |
liegen im Netz, die Verantwortung direkt bei den Usern. Angeklagt werden | |
müssten jetzt Hunderttausende." | |
Und in diesem Spinnennetz die Verantwortung eines Einzelnen für einen | |
konkreten Fall des Filesharings von urheberrechtlich geschütztem Material | |
zu beweisen, werde nahezu – und bei Verwendung von Anonymisierungsdiensten | |
gänzlich - unmöglich. "Der Versuch Links und Suchmaschinen verbieten zu | |
wollen, würde aber praktisch das ganze Internet illegal machen", sagt | |
Christian Engström, EU-Parlamentarier der schwedischen Piratenpartei. | |
Anna Troberg, stellvertretende Vorsitzende der Piratpartiet bezeichnete das | |
Urteil als "Pyrrhus-Sieg für die Urheberrechtsindustrie": Filesharing werde | |
nicht aufhören, "sterben wird aber das Monopol der Urheberrechtsindustrie | |
auf die Kultur". | |
26 Nov 2010 | |
## LINKS | |
[1] http://thepiratebay.org | |
## AUTOREN | |
Reinhard Wolff | |
## TAGS | |
Pirate Bay | |
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