# taz.de -- Schwedische Wikileaks-Enthüllungen: Sechs Punkte gegen Filesharing | |
> Die schwedische Staatsanwaltschaft weist den Vorwurf politischen Drucks | |
> durch die USA zurück. Von Wikileaks veröffentlichte Dokumente zeigen das | |
> Gegenteil. | |
Bild: Im April 2006 hatten die USA Schweden mit Handelssanktionen gedroht, fall… | |
STOCKHOLM taz | "Ich habe keinen europäischen Haftbefehl beantragt, um | |
Julian Assange an die USA auszuliefern", beteuerte Marianne Ny, die | |
schwedische Staatsanwältin, aufgrund deren Haftbefehls der | |
Wikileaks-Gründer wenige Stunden vorher in London festgenommen worden war, | |
am Dienstagabend auf einer Pressekonferenz. Und wies alle Vermutungen, | |
politischer Druck könne das Vorgehen der Anklagebehörde beeinflusst haben, | |
zurück: "Ich habe überhaupt keine Hinweise, dass es so etwas gegeben haben | |
könnte." | |
Nur kurze Zeit später präsentierte die Nachrichtensendung des | |
öffentlich-rechtlichen Fernsehens SVT frische Wikileaks-Dokumente darüber, | |
dass es Druck aus Washington auf die Innen- und Rechtspolitik Schwedens | |
nicht nur gegeben hat, sondern dass solcher Druck offenbar auch durchaus | |
erfolgreich gewesen war. | |
Aus einem dieser Dokumente, gesendet von der US-Botschaft in Stockholm, | |
geht hervor, dass man der schwedischen Regierung im Jahre 2008 ein Papier | |
mit sechs Punkten übermittelt habe, zu denen Washington ein Aktivwerden | |
gegen Internetaktivitäten, speziell gegen illegales Filesharing wünschte. | |
Ein Jahr später – ein weiteres Cablegate-Dokument belegt das - erstattet | |
die Botschaft Washington Rapport und rühmt die gute Zusammenarbeit mit | |
Stockholm: Fünf der sechs Punkte seien wunschgemäß erledigt worden. So habe | |
die schwedische Regierung ein Gesetz erlassen, das Internetprovider zur | |
Deanonymisierung von IP-Adressen verpflichte. Polizei und | |
Staatsanwaltschaft hätten außerdem zugesagt, intensiver im Bereich des | |
illegalen Filesharings aktiv zu werden und es gebe Aufklärungskampagnen in | |
den Schulen gegen Filesharing. | |
Wegen dieser "Erfolge" wird Washington auch abgeraten noch mehr Druck zu | |
machen. Die US-Copyrightschutzorganisation IIPA forderte nämlich zu dieser | |
Zeit von der US-Regierung Handelssanktionen gegen Schweden zu erlassen, | |
weil von hier aus nach wie vor die Filesharing-Seite "Pirate Bay" aktiv | |
war. So etwas könne kontraproduktiv sein, meint die Botschaft in Stockholm | |
und warnt: Die neue Piratenpartei könne aufgrund einer solchen Massnahme | |
nämlich an Zulauf und politischem Einfluss gewinnen. | |
Die Liste der US-Botschaft über von Schweden getroffene Massnahmen gegen | |
Filesharing ist zwar korrekt, doch Justizministerin Beatrice Ask bestreitet | |
in einem Interview, dass Stockholm auf Druck Washingtons gehandelt habe. | |
Die Maßnahmen hätten auf eigenen Erwägungen der Regierung beruht. Wenn die | |
Botschaft das als ihren Erfolg nach Washington melde, dann "übertreibt man | |
die eigene Bedeutung" und die Verantwortlichen täten das "wohl vor allem | |
deshalb, damit sie einen besseren Lohn bekommen". "Wen glaubst du | |
eigentlich hereinlegen zu können, Ask?", kommentiert die Tageszeitung | |
Aftonbladet bissig. | |
Beschwichtigungen wie denen der Justizministerin zu misstrauen scheint | |
tatsächlich nicht unbegründet. Zumindest einer konkreten Aktion der | |
schwedischen Polizei und Staatsanwaltschaft lag – aller ursprünglichen | |
Dementis zum Trotz – nämlich zwischenzeitlich von beiden Seiten | |
eingeräumter politischer Druck aus Washington zu Grunde. | |
Im April 2006 hatten die USA Schweden mit Handelssanktionen im Rahmen der | |
Welthandelsorganisation WTO gedroht, falls nicht die Aktivitäten von | |
"Pirate Bay" gestoppt würden. Das schwedische Justizministerium forderte | |
daraufhin Polizei und Staatsanwaltschaft auf, aktiv zu werden. Nachdem | |
diese sich unter Hinweis auf die unklare Rechtslage und eine fehlende | |
Gesetzesgrundlage zunächst weigerten, erhielten sie laut SVT-Quellen eine | |
formale Anweisung dazu. | |
Am 31. Mai 2006 erfolgte dann die polizeiliche Razzia mit Beschlagnahme der | |
Server von "Pirate Bay". Aufgrund dieser Aktion wurde eineinhalb Jahre | |
später Anklage erhoben und das nach wie vor anhängige Gerichtsverfahren | |
eingeleitet. | |
Die schwedische Öffentlichkeit wird seit eineinhalb Wochen mit täglich | |
neuen Einzelheiten über die vertrauliche Zusammenarbeit zwischen Stockholm | |
und Washington konfrontiert. Auf dem Umweg über einen Journalisten, der das | |
Vertrauen von Wikileaks genießt, haben das Public-Service-Fernsehen SVT, | |
sowie zwei stockholmer Tageszeitungen, das sozialdemokratische Aftonbladet | |
und das konservative Svenska Dagbladet, exklusiven Zugriff auf noch nicht | |
von Wikileaks im Internet veröffentlichte Cablegate-Dokumente erhalten. Die | |
unter diesen Medien koordinierten Veröffentlichungen drehten sich bislang | |
vorwiegend um geheime militärische und geheimdienstliche Zusammenarbeit. | |
Die oppositionelle schwedische Linkspartei sieht ernste | |
Verfassungsverstöße, ist "extrem erschütternd" und fordert nun die | |
Einrichtung einer "Wahrheitskommission". Und Aftonbladet kommentiert: | |
"Niemand kann länger als 'Konspirationstheorien' abtun, dass Schweden von | |
der anderen Seite des Atlantiks her gesteuert wird." | |
8 Dec 2010 | |
## AUTOREN | |
Reinhard Wolff | |
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