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# taz.de -- Jahrhundertflut erreicht Brisbane: Down under Wasser
> Brauner Schlamm hat Brisbane geflutet. Der Brisbane-Fluss stieg auf
> Rekordhöhe an. Die Kosten könnten sich auf einen zweistelligen
> Milliardenbetrag summieren.
Bild: Bis zur Dachrinne steht das Wasser in Ipswich, westlich von Brisbane.
BRISBANE taz | Schweiß tropft John Stern von der Stirn - in Strömen.
Gemeinsam mit eiligst zusammengerufenen Kumpels schaufelt er auf der
Ladefläche eines Lastwagens Sand in Jutesäcke und wirft sie auf den
Gehsteig. Von dort bringen seine Freunde die Säcke zu einem nahe gelegenen
Laden und türmen sie vor der Schaufensterscheibe hoch. "Noch fünf Tonnen",
sagt Stern, "dann haben wir es."
Sand ist in diesen Tagen in Brisbane Gold wert. Sogar an der Touristenmeile
Brisbanes, der South Bank, graben Anwohner den Sand aus dem künstlichen
Strand, auf dem sie sich sonst sonnen. Der 24-jährige Barmann Stern ist
einer von tausenden von Bewohnern der Stadt, die am Mittwoch ihr
Restaurant, ihren Laden, ihr Haus mit einer Wand von Sandsäcken
überflutungssicher machen wollten.
Die Innenstadt von Brisbane am Mittwochnachmittag: Auf den ersten Blick
herrschte Normalität. Nicht nur schien die Sonne, die Temperatur stand bei
sommerlichen 29 Grad. Touristen machten Fotos von den üblichen
Sehenswürdigkeiten. Doch die Eisdiele war geschlossen, wie so ziemlich
jedes Geschäft. Verkehr gab es kaum, die Busse fuhren nicht mehr, und die
Bahn hatte nur wenige Dienste in Betrieb, bis auch diese eingestellt
wurden. In weiten Teilen der Stadt gab es keinen Strom, aus
Sicherheitsgründen. Doch den brauchte in den Bürotürmen ohnehin niemand.
Beamte oder Angestellte, Chefs oder Hilfsarbeiter - alle waren sie zu Hause
und versuchten zu retten, was zur retten war.
Im Flutchaos in Brisbane hoffen die Meteorologen derweil auf Entspannung.
Die Pegelstände am Brisbane River sollten unter der befürchteten
Rekordmarke von 5,50 Meter bleiben. Jeder Zentimeter weniger Hochwasser
bedeutete die Rettung für dutzende von Häusern.
Tausende von Bewohnern mussten ihre Häuser verlassen, als sich das Wasser
durch die Kanäle, Gassen und Straßen fraß. Ein vierjähriger Junge ertrank,
weil er aus einem Rettungsboot fiel. Mit mindestens 19 700 gefluteten
Häusern rechneten die Behörden in Brisbane am Mittwochabend. "Über 80
Stadteile sind gefährdet", warnte Bürgermeister Campbell Newman,
"evakuieren Sie jetzt, sofort, nicht erst, wenn Ihnen das Wasser bis zur
Hüfte steht." Am Abend befanden sich hunderte von Menschen in
Auffanglagern. Die meisten Evakuierten sollen aber bei Freunden und
Bekannten untergekommen sein. Panik herrschte bei den Evakuierungen nicht.
Vielmehr Geschäftigkeit. Sandsäcke schleppen ist ein gutes Mittel gegen
Angst.
Am Ufer des Flusses beobachten Anwohner mit stummem Staunen die
gigantischen Wassermassen, die vom Hinterland im Westen in Richtung Meer
rauschen. Es ist keine Springflut wie die, die am Montag das 130 Kilometer
entfernte Toowoomba und die Dörfer im Lockyer-Tal überrascht hatte und für
mindestens 10 der bisher 12 bestätigten Todesopfer verantwortlich war.
Nein, der Brisbane-Fluss ist selbst bei diesem extremen Hochwasser ein
überraschend ruhiger Gigant. Aber einer, der alles mit sich reißt, was ihm
in den Weg kommt: Mülltonnen, riesige Wassertanks, Bootsstege, Segeljachten
und gelegentlich eine tote Kuh.
Vor ein paar Stunden sei ein bekanntes Schiffsrestaurant an ihm
vorbeigetrieben, in Richtung Meer, sagt Anwohner Freddy Stewart. Samt
Inneneinrichtung. Das Gebäude, das normalerweise am Ufer des
Brisbane-Flusses angekettet ist, war von der Wucht der Fluten aus der
Verankerung gerissen worden.
Ökonomen spekulieren über das Ausmaß der Schäden, die Queensland und der
australischen Konjunktur in den letzten Wochen entstanden sind. Experten
schätzen die Kosten auf rund 10 Milliarden Euro. Das Wirtschaftswachstum
des gesamten Landes könnte zu Jahresbeginn um etwa einen Prozentpunkt
geringer ausfallen, sagte der Chefvolkswirt der Investmentbank JP Morgan,
Stephen Walters, der Nachrichtenagentur AFP.
Vor allem Ernteausfälle in der Landwirtschaft, Produktionsunterbrechungen
in der Bergbauindustrie werden das Wachstum drücken. Doch die wirklich
große Unbekannte ist das Ausmaß der Schäden an Privateigentum und
Infrastruktur. Tausende von Häusern müssen renoviert, wenn nicht sogar
abgerissen und neu gebaut werden. Im Lockyer-Tal sind Teile eines Dorfs
weggespült worden.
Nach Ansicht von Wissenschaftlern gingen die heftigen Monsunregenfälle
teilweise auf das Konto der Erderwärmung, sagte der Klimaforscher Matthew
England von der Universität von New South Wales am Mittwoch der
Nachrichtenagentur Reuters. "Die Gewässer vor Australien sind so warm wie
noch nie, und diese Gewässer liefern die Feuchtigkeit für den Monsun in
Queensland und im nördlichen Australien."
Uneinig sind sich die Forscher in der Frage, ob die Erderwärmung die
Klimaphänomene "El Niño" und "La Niña" verstärken wird. Einen Zusammenhang
sieht David Jones vom australischen Wetteramt. Angesichts des aufgeheizten
Weltklimas nähmen die Phänomene an Intensität zu. Längere Dürreperioden
während eines "El Niño" und heftigere Regenfälle zu Zeiten von "La Niña"
seien die Folge. Der US-Klimaforscher Kevin Trenberth sieht aus diesem
Grund die gesamte Region von einer verschärften Wetterlage betroffen. "Nur
ein Grad Celsius Temperaturanstieg an der Wasseroberfläche kann bereits zu
10 bis 15 Prozent mehr Regen führen", so Trenberth.
Sein Kollege Neville Nicholls von der Monash University in Melbourne
hingegen bezweifelt diese Kausalität: "Sicherlich beeinflussen die
Erwärmung der Meere und Phänomene wie "La Niña" das Klima. Aber ich finde
kein stichhaltiges Argument dafür, dass all diese Dinge sich dadurch
notwendigerweise verschlimmern."
Die Ministerpräsidentin von Queensland, Anna Bligh, sagte: "Wir müssen in
dieser düsteren Stunde zusammenhalten." In tausenden von Straßen wird in
diesen Stunden genau das praktiziert.
12 Jan 2011
## AUTOREN
Urs Wälterlin
## TAGS
Argentinien
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