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# taz.de -- Politologe über die tunesische Revolution: "Neuwahlen alleine brin…
> Politikwissenschaftler Hamadi El-Aouni fordert eine neue Verfassung. Es
> gebe zwar Oppositionelle, aber keine organisierte Opposition. Und die
> Elite versucht, das Chaos für sich zu nutzen.
Bild: "Das unorganisierte Volk, die Verfolgten, Ausgebeuteten und Unterdrückte…
taz: Herr Aouni, haben Sie am Wochenende gefeiert?
Hamadi El-Aouni: Selbstverständlich, ich habe mit Freunden gefeiert. Denn
das unorganisierte Volk, die Verfolgten, Ausgebeuteten und Unterdrückten,
hat es in einem spontanen und unbewaffneten Aufstand geschafft, einen
Polizeistaat, eines der schlimmsten Regime der Region zu besiegen.
Das war ein politischer Aufstand?
Natürlich. Denn die Tunesier haben nicht nur für Brot demonstriert, sondern
auch für ihre Würde und ihre Freiheit. Aber der Wechsel zur Demokratie ist
noch nicht vollzogen. Noch nicht.
Was macht Sie so zurückhaltend?
Die alte Garde, zu der auch der Premierminister und der Übergangspräsident
zählen, ist weiterhin an der Macht. Und es hat sich eine Dynamik ergeben,
die es ihr ermöglicht hat, die Lage unter Kontrolle zu bringen.
Worauf spielen Sie an?
Im ganzen Land sind bewaffnete, maskierte Cliquen unterwegs - das sind die
Miliz der Staatspartei und die Präsidialgarde. Diese Leute sind für den
Großteil der Plünderungen verantwortlich. Sie wurden auf das Volk
losgelassen, mit dem Ergebnis, dass die Armee den Ausnahmezustand
ausgerufen und eine Ausgangssperre verhängt hat. Deshalb dürfen die
Tunesier nicht mehr demonstrieren. Aber ich glaube, dass die Menschen, die
ihr Leben riskiert haben, es nicht zulassen werden, dass man sie betrügt.
In 60 Tagen soll es Neuwahlen geben - zu spät oder zu früh?
Neuwahlen allein bringen nichts. Und ein Mehrparteiensystem allein wäre
keine Alternative zum bisherigen Regime. Denn auf Grundlage dieser
präsidialen und absolutistischen Verfassung ist eine Demokratie nicht
möglich.
Was müsste passieren?
Das Volk müsste weiter demonstrieren, bis sich eine Versammlung von
Fachleuten zusammenfindet, die nur die Aufgabe hat, einen Entwurf für eine
dezentralistische und parlamentarische Verfassung zu erarbeiten und zur
Abstimmung zu stellen.
Wie ist es um die Opposition bestellt?
Es gibt eine Pseudoopposition von fünf oder sechs Parteien. Die sind immer
noch da und machen alles mit, so wie sie früher auch alles mitgemacht
haben. Und da gibt es die echte Opposition. Genauer: echte Oppositionelle.
Was ist der Unterschied?
Die alten oppositionellen Parteien und Bewegungen wurden zerschlagen. In
organisierter Form gibt es keine Opposition. Aber es gibt Individuen,
darunter viele Intellektuelle, die auf der ganzen Welt leben oder noch in
den Gefängnissen sitzen. Diese Leute müssen sich in den Prozess um eine
Verfassung einbringen.
Sehen Sie die Gefahr, dass die Islamisten siegreich aus dem Aufstand
hervorgehen?
Die sind eine, aber sicher nicht die größte oder bedeutendste Strömung der
Opposition. Die einzige Organisation, die diesen Volksaufstand unterstützt
und mitorganisiert hat, war die offizielle Arbeitergewerkschaft oder
genauer: deren linker Flügel.
Könnte der tunesische Aufstand auf die Nachbarländer überschwappen?
Auf jeden Fall. Auf Algerien ist der Funke ja schon übergesprungen. Und
wenn es einen Staat in der Region gibt, der reif ist, dann ist es Ägypten.
Denken Sie selbst darüber nach, sich in Tunesien zu engagieren?
Ich würde meinen Rat zur Verfügung stellen. Aber ich will keine politischen
Aufgaben übernehmen. Ich glaube, die, die jetzt aus dem Ausland
zurückkehren oder daran denken, mit ihrem Kenntnissen und Erfahrungen als
Berater hilfreich sein können. Aber mehr nicht. INTERVIEW: DENIZ YÜCEL
17 Jan 2011
## AUTOREN
Deniz Yücel
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