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# taz.de -- Nach dem Sturz des Staatschefs: Neue Regierung in Tunis erwartet
> Die tunesische Politik streitet über eine Übergangsregierung. Viele
> Bürger fragen sich, was aus den Reichtümern Ben Alis geworden ist. Eine
> Kleinigkeit hat seine Ehefrau mitgenommen: 1,5 Tonnen Gold.
Bild: Gespannte Ruhe in Tunis am 16. 1.
TUNIS dpa | In Tunesien soll nach der Flucht des tunesischen Diktators Zine
El Abidine Ben Ali am Montag eine Übergangsregierung gebildet werden. Am
Vormittag wird außerdem mit einer neuen Demonstration vor dem Parteisitz
der bisherigen Regierungspartei RCD in der Hauptstadt Tunis gerechnet. Die
der bisherigen Regierung nahestehenden Parteien sollen daran nicht
beteiligt werden, sagte Maya Jribi, Generalsekretärin der PDP
(Demokratische Fortschrittspartei), am Sonntag in Tunis.
Ministerpräsident Mohamed Ghannouchi sagte in einer kurzen Erklärung:
"Morgen werden wir eine neue Regierung ankündigen, die eine neue Seite in
der Geschichte Tunesiens aufschlagen wird." Neben Vertretern der drei
bisherigen Oppositionsparteien sollen auch unabhängige Persönlichkeiten ins
Kabinett kommen. Experten, Gewerkschafter und Vertreter von
Anwaltsorganisationen seien im Gespräch, berichtete der arabische
Nachrichtensender Al Dschasira.
Die drei Parteien hätten sich für eine Amnestie aller politischen Häftlinge
ausgesprochen, sagte Jribi. Die kommenden Wahlen sollen von einem
unabhängigen Komitee und internationalen Beobachtern kontrolliert werden.
Bei den Parteien handelt es sich um Ettajdid, PDP und FDTL (Demokratisches
Forum für Arbeit und Freiheiten). Wann und wo das neue Kabinett vorgestellt
werden soll, war zunächst nicht bekannt.
Mehrere Kritiker des alten Regimes erklärten am Sonntag, sie seien mit den
Beratungen über die Bildung einer Regierung der nationalen Einheit nicht
zufrieden. Einige von ihnen sagten in Interviews mit arabischen
Fernsehsendern, Ghannouchi sei Teil des alten Systems von Ben Ali. Mit ihm
sei ein Neuanfang deshalb nicht möglich. Andere erklärten, einige vormals
illegale Oppositionsparteien seien zu den Gesprächen nicht eingeladen
worden. Diese hätten aber auch ein Recht, mit am Tisch zu sitzen.
Ein Hauptgesprächsthema vieler Tunesier sind die Reichtümer, die die
Familie des geflohenen Diktators Zine El Abidine Ben Ali ins Exil mitgehen
lassen haben soll. Die Ehefrau Ben Alis soll kurz vor der Flucht ins Exil
noch 1,5 Tonnen Gold von einer Bank abgeholt haben. Leila Ben Ali habe
dafür persönlich die Zentralbank in Tunis aufgesucht, berichtete die
französische Zeitung Le Monde im Internet unter Berufung auf
Geheimdienstinformationen. Mit Barren im Wert von rund 45 Millionen Euro
sei sie anschließend vermutlich in ein Flugzeug in Richtung Dubai
gestiegen. Mittlerweile soll sie sich zusammen mit ihrem Mann im
saudi-arabischen Dschiddah am Roten Meer aufhalten.
Nach Informationen der Zeitung wollte der Bankchef das von Leila Ben Ali
geforderte Gold zunächst nicht herausgeben. Erst als die 53-Jährige
telefonisch ihren Mann einschaltete, seien ihr die Barren ausgehändigt
worden. Selbst Ben Ali (74) soll sich zunächst gesträubt haben, die
entsprechende Anweisung zu geben.
Auch in der Schweiz wird nach verborgenen Konten der tunesischen
Regierungselite gefahndet. Diese könne man auch blockieren, hieß es aus dem
Außenministerium in Bern. Der Sprecher des Bundesamtes für Justiz, Folco
Galli, erklärte am Montag, ein Rechtshilfersuchen liege aus Tunis noch
nicht vor. Die Schweizer Justiz könne erst tätig werden, wenn Tunesien ein
Strafverfahren gegen den früheren Machthaber einleite. Im vergangenen
Herbst hatte die Schweiz ein Gesetz gebilligt, mit dem sie künftig in ihrem
Land angelegtes Vermögen ehemaliger Diktatoren leichter an die betrogene
Bevölkerung zurückerstatten kann.
Leila Ben Ali und ihr Clan waren bereits vor ihrer Flucht aus Tunesien als
geld- und machtgierig verschrien. Die Trabelsi-Familie gilt als korrupt und
in kriminelle Machenschaften verstrickt. Nach dem Sturz des Präsidenten am
Freitag hatten aufgebrachte Tunesier systematisch ihre Villen in den feinen
Vororten von Tunis geplündert. Der als Symbol für Korruption geltende
Geschäftsmann Imed Trabelsi wurde von Unbekannten erstochen. Er war ein
Neffe von Ben Alis Frau Leila.
Auch eine Meldung über den angeblichen Tod eines Presse-Fotografen bei den
Unruhen sorgte für Wirbel. Das französische Konsulat in Tunis und der
Arbeitgeber des Mannes hatten zunächst den Tod des 32-jährigen Fotografen
der european pressphoto agency (epa) gemeldet. Sonntagabend berichtigte
eine Konsulatssprecherin in Tunis die frühere Darstellung. Die Sprecherin
sagte der dpa, dass Lucas Mebrouk Dolega noch lebe. Er befinde sich in
einem "kritischen Zustand". Anschließend rückte auch die Foto-Agentur epa
von ihren früheren Angaben ab.
Die Armee ging gegen Mitglieder der Präsidenten-Leibgarde vor. In Tunis
wurde nach Medienberichten der Chef der Leibgarde festgenommen. Augenzeugen
berichteten immer wieder von Plünderungen und verschärften Kontrollen des
Militärs. Im Zentrum standen am Sonntag weiter Panzer auf den Straßen. Seit
der Flucht von Ben Ali gilt in Tunesien der Ausnahmezustand. Auch der
Luftraum war zwischenzeitlich gesperrt.
Mit einem Kraftakt holten die großen Reiseveranstalter am Wochenende
deutsche Urlauber aus Tunesien nach Hause. Am Sonntagabend kamen in
Deutschland die letzten Sondermaschinen an, wie eine Umfrage der
Nachrichtenagentur dpa ergab. Bei ihrer Rückkehr berichteten viele von
Schüssen und Gewalt. Die neuen Machthaber und das Militär mühten sich, die
Lage unter Kontrolle zu bekommen. Am Sonntagnachmittag fielen wieder
Schüsse im Zentrum der Hauptstadt Tunis. Ein deutsches Paar mit Jagdwaffen
soll nach Medienberichten festgenommen worden sein. Die Deutsche Botschaft
konnte die Angaben nicht bestätigen.
Immer wieder waren am Sonntag Schüsse zu hören. In Tunis sei es ruhig,
berichtete Al Dschasira am frühen Montagmorgen. Die Bundesregierung rief
Tunesien auf, eine Demokratie aufzubauen. Bundeskanzlerin Angela Merkel
(CDU) bot dazu Deutschlands Hilfe an. Außenminister Guido Westerwelle (FDP)
appellierte an Mebazaa: "Gehen Sie den Weg in Richtung Demokratie, sorgen
Sie für wirkliche Stabilität."
Libyens Staatschef Muammar al-Gaddafi kritisierte die Proteste im
Nachbarland. Zu den neuen Machthabern sagte er: "Ich kenne diese neuen
Leute nicht, aber wir alle kennen Ben Ali und die Veränderungen, die in
Tunesien erzielt wurden. Warum zerstört ihr dies alles?". Er sei
"schmerzhaft berührt", von dem, was in Tunesien geschehe, sagt er am
Samstagabend im libyschen Fernsehen weiter. "Tunesien hat sich jetzt in ein
Land verwandelt, das von Banden regiert wird", kritisierte Gaddafi, der
selbst seit 40 Jahren an der Macht ist.
Ben Ali hatte das Land 23 Jahre in autoritärer Herrschaft regiert und
hinterließ Gewalt und Chaos. Auslöser seines Sturzes waren Massenproteste
gegen Korruption und hohe Arbeitslosigkeit. Sie hatten sich in der
vergangenen Woche zu einem Volksaufstand ausgeweitet. Unterdessen
protestierten am Sonntag in der jordanischen Hauptstadt Amman Hunderte
Unzufriedene gegen die Regierung und verlangten bessere Lebensbedingungen.
Die meisten Demonstranten gehörten zu islamischen Oppositionsparteien und
Gewerkschaften.
Die Regierungsgegner begrüßten zudem den Regimewechsel in Tunesien. Bereits
am Freitag hatten Tausende Jordanier den Rücktritt der Regierung verlangt
und gegen die schlechten Lebensbedingungen protestiert.
17 Jan 2011
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