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# taz.de -- Interview Verbraucherministerin Ilse Aigner: "Ich muss mehr auf den…
> Lebensmittel müssen einfach mehr Wertschätzung erfahren, sagt Ilse Aigner
> (CSU). Die Massentierhaltung stellt sie nicht infrage. Ein Gespräch über
> Ministergebaren, Essen und andere Stilfragen.
Bild: Mit Subventionen und Prämien wird der Agrarsektor umstrukturiert.
taz: Frau Aigner, was sind Sie eigentlich lieber - Verbraucherschutz- oder
Agrarministerin?
Ilse Aigner: Beides.
Dann müssen Sie sich zerreißen und den einen Qualität sichern, den anderen
Gewinn.
Bauern und Verbraucher haben ein gemeinsames Ziel - sich mit Qualität
unabhängig zu versorgen. Sie sind Partner.
Antibiotika in Kalbfleisch, Gift in Weintrauben - das nennen Sie Qualität?
Der Dioxinskandal zeigt: Es gibt Unternehmer, die vorsätzlich, vollkommen
verantwortungslos, kriminell handeln. Sie können aber deshalb nicht alle
370.000 Bauern über einen Kamm scheren. Das wäre so, als würde ich sagen,
nur weil ein einzelner Journalist Schmarrn geschrieben hat, sind alle
anderen unfähig.
Nur ein Kriminalfall? Liegt der Fehler nicht vielmehr im System:
"Hauptsache, billig?"
Ich nehme den Fall sehr ernst und habe ihn zum Anlass genommen, die gesamte
Futter- und Lebensmittelkette auf den Prüfstand zu stellen. Aber unabhängig
davon: Ich werbe doch selbst auch immer dafür, dass Lebensmittel mehr
Wertschätzung erfahren. Viele Leute müssen natürlich jeden Cent umdrehen.
Es gibt aber eine Vielzahl von Verbrauchern in Deutschland, die ihre
Prioritäten überprüfen könnten.
Sie geben den Verbrauchern Schuld, anstatt sie zu schützen.
Unsinn! Die Verbraucher haben einen Anspruch darauf, dass nur sichere
Lebensmittel in den Handel kommen. Aber aus dieser Vielfalt, die
durchgängig von hoher Qualität sein muss, sollten sie bewusst auswählen.
Sie könnten sich leichter als Verbraucherschützerin pur positionieren, wenn
Sie die Zuständigkeit für die Lebensmittelbranche abgeben ans
Wirtschaftsressort.
Haben Sie eine Vorstellung davon, wie arbeitsintensiv der Agrarbereich ist,
auch wenn er nicht immer im Fokus der Öffentlichkeit steht?
Was ist der Unterschied zur Automobil- oder Stahlbranche?
Hier geht es um unsere Mittel zum Leben. Außerdem ist kein Bereich in der
EU so vergemeinschaftet wie die Agrarpolitik. Deshalb bin ich die
Ministerin, die wohl am häufigsten in Brüssel ist, nämlich so gut wie jeden
Monat.
In der Öffentlichkeit fallen Sie eher auf, wenn Sie dem Internetnetzwerk
Facebook drohen, weil sie den Datenschutz gefährdet sehen. Dabei hat da der
Innenminister das Sagen.
Aber es ist mein Job, mich einzumischen - egal ob ich federführend bin oder
nicht. Das Verbraucherschutzministerium ist ein Querschnittsressort.
Ist es nicht einfach nur bequemer, weil man nachher sagen kann, ich bin
nicht zuständig?
Im Gegenteil: Der Erfolgsdruck ist umso größer. Den Verbrauchern sind
Zuständigkeiten ohnehin egal. Die wollen, dass sich jemand um ihre Probleme
kümmert. Ältere Leute haben mir gesagt: "Hab ich gar nicht gewusst, dass
ich mit meinen Fotos im Netz aufpassen muss." Verbraucherschutz
interessiert 82 Millionen Menschen - der Kreis derer, die sich mit
Landwirtschaft beschäftigen, ist deutlich kleiner. Leider muss oft erst ein
Skandal passieren, bis die Gesellschaft über Agrarpolitik spricht.
Und da schneiden Sie gerade schlecht ab. Jeder Zweite ist laut Umfragen
unzufrieden mit Ihrem Krisenmanagement!
Für mich zählt solide Arbeit. Das kann man jetzt gut oder schlecht finden.
Ich bin unaufgeregt, aber zielstrebig. Ich habe einen Krisenstab
eingerichtet, mich laufend mit den Ländern und der EU abgestimmt, mich mit
dem Parlament beraten, mit Verbraucherschützern und Landwirten. Aber das
jetzt alles aufzuzählen, wäre kindergartenmäßig.
Der Unmut der Wähler macht ihnen keine Angst?
Ich nehme Kritik ernst. Aber es kommt immer aufs Ergebnis an. Wem hilft es
denn, wenn ich mich nach der Methode Künast ...
Renate Künast, ihre grüne Vorvorgängerin …
vor Kameras inszeniere und nur Staub aufwirbele? Für mich ist der
Aktionsplan wichtig, das ist ein schweres Paket, dessen konkrete Punkte
noch durch den Bundesrat müssen und durch öffentliche Anhörungen. Da muss
schnell und sauber gearbeitet werden.
Ihr Vorgänger Horst Seehofer hätte mehr Krawall und Politik gemacht. Denken
Sie über einen neuen Politikstil nach?
Ich habe meinen eigenen Stil. Und ich bin nach wie vor davon überzeugt,
dass ehrliche Arbeit das Wichtigste ist. Aber ich habe gelernt, dass die
Medienwelt anscheinend erwartet, dass man manchmal mehr auf den Putz haut.
Wann haben Sie gedacht, hinzuschmeißen?
Nie. Ich und mein Haus haben alles getan, was in unserer Macht steht. Ich
bin jeden Tag mit gutem Gewissen ins Bett gegangen und konnte gut, wenn
auch zu wenig schlafen.
Aber geärgert haben Sie sich morgens beim Blick in die Zeitungen?
Ich konnte mich da bisher nie beklagen. Aber es ist ein No-go, mit Namen zu
spielen.
Sie meinen die Bild-Schlagzeile "Absolut ungeaignert".
Noch mehr geärgert habe ich mich aber über die gnadenlose Scheinheiligkeit
mancher Sprücheklopfer in der Opposition, die selbst nichts vorangebracht
haben und jetzt verzweifelt versuchen, Wahlkampf zu machen.
Nennen Sie Namen!
Meine Vorvorgängerin, die Berliner Bürgermeisterkandidatin.
Die Grüne Renate Künast wirft Ihnen vor, Ihre Hausaufgaben nicht zu machen.
Auf die Wirtschaft sind Sie nicht sauer, die doch dem Staat versprochen
hatte, sich selbst zu kontrollieren?
Ich bin stocksauer auf den, der das verbockt oder besser gesagt: verbrochen
hat. Den dürfte ich nicht in die Finger bekommen.
Warum schreiben Sie den Bauern nicht vor, ihr Futter selbst herzustellen,
statt es über ein undurchschaubares Geflecht von Firmen zu beziehen?
Ich halte es für illusorisch, zu glauben, dass die Landwirtschaft zu 100
Prozent wegkommt von arbeitsteiligen Prozessen. Meine Omas haben Produkte
aus dem eigenen Garten verwertet, die Gurken selbst eingemacht, Marmelade
gekocht. Das finden Sie heute kaum mehr. Das, was sich im Kleinen
entwickelt, haben wir aber auch im Großen.
Das wollen viele aber nicht! Allerorten planen Bauern Riesenställe für
Schweine und Hühner - und Anwohner protestieren.
Wir sind bei der Modernisierung des Agrarsektors mitten im Umbruch. Während
viele EU-Länder noch an historischen Produktionsprämien festhalten, sind
wir längst weiter. Im Jahr 2013 kriegt ein Ökobetrieb 314 Euro pro Hektar
plus eine Zulage für Öko plus Zulagen für besondere Agrarumweltmaßnahmen
wie Blühstreifen. Das summiert sich.
Aber auch die konventionellen Bauern werden weiter Geld einstreichen, warum
binden Sie die Leistungen nicht immer an Ökoauflagen oder Jobs?
Wie gesagt: Wir haben eine europäische Landwirtschaftspolitik. Wir müssen
uns auf einheitliche Förderkriterien einigen, die Polen genauso umsetzen
kann wie Deutschland oder Irland - und die konform gehen mit der
Welthandelsorganisation.
Gegen Umweltschutzauflagen sagt die WHO selten etwas.
Aber gegen die Koppelung an den Faktor Arbeitsplätze. Mein Ziel ist klar:
Ich stehe für mehr Umweltschutz. In diesem Jahr kommt es darauf an, sich
mit 26 EU-Partnern auf einen gemeinsamen Weg zu verständigen.
Und ihr Weg? Wie soll das Leben auf dem Dorf 2050 aussehen?
Ich kann Ihnen nicht sagen, ob mehr Kühe auf der Weide stehen oder nicht.
Fest steht: Der Strukturwandel setzt sich fort. Ich bin in einem Dorf
aufgewachsen, da gab es früher noch zehn Bauern, heute sind es drei. Auch
viele Handwerker und Krämerläden sind verschwunden.
Schon wegen ihres eigenen Lebenswegs müssten Ihnen doch kleinere Höfe am
Herzen liegen. Sie könnten das Baurecht ändern - und die Stallgröße
begrenzen.
Das werden wir womöglich auch tun und eine Diskussion anstoßen, wie viele
Tiere und Biogasanlagen eine Region verträgt. Das hat aber nichts mit der
Größe des einzelnen Stalles zu tun.
Beim Bundesprogramm Ökologischer Landbau haben Sie schon Fakten geschaffen.
Das Geld soll auch für konventionelle Bauern fließen. Wie passt das zu
Ihren Umweltzielen?
Das Bundesprogramm hat sich bewährt und wird in gleicher Höhe fortgeführt.
Mit der Öffnung wollen wir Bodenschutz, Tierschutz und Umweltschutz auch in
der konventionellen Landwirtschaft voranbringen.
Und wie genau, bitte?
Ich habe genaue Vorstellungen davon, was ich sonst noch fördern will. Zum
Beispiel Regionalprodukte von Betrieben oder Systeme besonders artgerechter
Haltung, die oft nicht das Biolabel tragen, aber dennoch nachhaltig
wirtschaften.
Die UN sagen: Der Planet ist nur zu retten, wenn wir weniger Fleisch essen.
In katholischen Gegenden wie Oberbayern, wo ich herkomme, gibt es seit eh
und je den fleischlosen Freitag. Ich esse viel Obst und Gemüse, dazu Fisch,
Geflügel und gerne auch Fleisch. Es gehört zu einer gesunden, ausgewogenen
Ernährung - aber in Maßen! Ich sage: Wir essen generell zu viel. Aber ich
will den Menschen keine Vorschriften machen.
21 Jan 2011
## AUTOREN
Hanna Gersmann
Jost Maurin
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