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# taz.de -- Landwirtschaftsministerin Ilse Aigner: Frau ohne Fleisch
> Am Freitag eröffnet die grüne Woche. Landwirtschaftsministerin Ilse
> Aigner steht seit dem jüngsten Dioxinskandal in der Kritik. Ihr Problem:
> Sie gibt keine Linie vor. Und sie hat keine Macht.
Bild: Dieses Jahr ohne Dirndl, aber mit Bier: Ilse Aigner auf der Grünen Woche.
Worte. Taten. Tempo. Und: Inszenierung. Wer in diesen Tagen fragt, was Ilse
Aigner, CSU, 46, Bundesministerin für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz, in der Dioxinaffäre genau verbockt hat, bekommt zu
hören: "In solchen Fällen richtet man einen Krisentisch ein, zieht sich
Gummistiefel an, fährt auf einen Hof und gibt dann den Ball flach ab, an
die EU, an die Länder."
Leadership in Gummistiefeln nennt sich das. Aigners Sache ist das nicht.
Ex-SPD-Bundeskanzler Gerhard Schröder hat diese Art der Führung 2002
gerettet. Als die Elbe und andere Flüsse über die Ufer treten, stellt er
sich mit schwarzen Gummistiefeln und grüner Regenjacke in den Schlamm der
sächsischen Stadt Grimma. Das Bild geht durch die Medien. Wenig später
gewinnt er, der schon mit halbem Bein in der Opposition stand, die
Bundestagswahl gegen CSU-Mann Edmund Stoiber. Der stapfte erst zwei Tage
nach Schröder durch die zerstörten Straßen. Später wird er sagen, er habe
das Hochwasser vielleicht unterschätzt.
CSU-Frau Aigner hat die skrupellosen Machenschaften mit dem Futter sicher
unterschätzt. Eben war sie noch die Unauffällige in der Regierung, die
"Patente", so sieht sie sich gern selbst. Jetzt ist sie die Auffällige.
Ohne Kontur
Häppchen essen, Schweinchen streicheln, in Kameras lächeln - sie kann heute
tun, was alle Minister vor ihr auch schon getan haben bei der Eröffnung der
Grünen Woche. Es wird nicht helfen. Zwar stützen ihre Kollegen sie. Josef
Göppel von der CSU sagte der taz: "Sie hat unsere volle Rückendeckung."
Aigner muss sich derzeit trotzdem unangenehme Fragen gefallen lassen. Ist
diese Frau haltbar? Kann die Krise?
Das Erstaunliche: Selbst ihre Kritiker nehmen sie zunächst in Schutz.
"Eigentlich sind ihr keine fachlichen Fehler unterlaufen", sagt etwa
Friedrich-Wilhelm Graefe zu Baringdorf, Grüner, Agrarexperte,
Ex-Europaparlamentarier. Gegen Kriminelle gibt es keinen Allround-Schutz,
formal sind die Länder, nicht der Bund für die Kontrolle des Viehfutters
zuständig.
Aber als Aigner vor einer Woche der Kragen platzte, sie personelle
Konsequenzen in Niedersachsen forderte und ihre Kompetenzen absolut
überschritt? Ach, sagen die meisten: Wer fühlte sich nicht hintergangen,
wenn er beim Besuch im niedersächsischen Labor hört, die Lage habe sich
entspannt, wenige Stunden später die Behörden vor Ort aber mit der
Nachricht aufwarten, der Skandal weite sich aus?
Das alles ist es nicht, was viele aufregt, und eigentlich geht es auch
nicht um Gummistiefel. Das Problem: Aigner treibt nichts voran. Sie kommt
aus einer kleinen Gemeinde in Oberbayern. Man denkt, es gehe ihr vielleicht
ans Herz, wenn die kleinen Höfe dichtmachen, Kühe von der Wiese
verschwinden. Doch sie sagt keine Sätze wie "Zurück zur regionalen
Produktion", "Weg von der Billig-billig-Kultur."
Sie ist keine Hau-drauf-Politikerin, war sie noch nie. Ihr Job sei "sehr
viel Arbeit - die keiner sieht", meint sie. Die Radio- und
Fernsehtechnikerin hat sich im Stillen nach oben gearbeitet, seit sie mit
21 in die Partei eingetreten ist. Sie macht sich nicht schlecht für die
Klientel der CSU, tritt mal im Dirndl auf, ist im Trachtenverein
Mangfalltaler Mitglied und in dreißig anderen Vereinen auch. Sie weckt
Sympathie. "Es gibt für sie auch keine Denkverbote, Tabuthemen", sagen
Weggefährten. Nur, der Frau von 1,82 Meter Länge fehlt eines: Macht.
Und zwar - erstens - im eigenen Ministerium. Thilo Bode ist Chef des
Verbraucherverbands Foodwatch. Er sagt: "Nach dem Krieg ging es der Politik
nur darum, die Ernährung der Bevölkerung sicherzustellen und die Produktion
auszuweiten. Daraus ist eine enge Verflechtung mit der Agrarwirtschaft
entstanden. Sie besteht bis heute." Die Positionen der Ministerin weichen
auffällig selten von denen des Deutschen Bauernverbands ab.
Dessen Chef Gerd Sonnleitner sagt zum Dioxinskandal: "Man kann nicht alle
Bauern in Sippenhaft nehmen", das industrielle System an sich sei in
Ordnung. Das findet Aigner auch. Aigner stellt einen 14-Punkte-Plan gegen
Futterpanscher vor, Sonnleitner begrüßt ihn umgehend. EU-Kommissar Dacian
Ciolos will Subventionen an Umweltauflagen koppeln, Subventionen für
Großbetriebe kappen. Das stößt bei Sonnleitner - wie bei Aigner - auf wenig
Gegenliebe.
Das Gros ihrer 1.000 Mitarbeiter hält die industrialisierte Landwirtschaft
für richtig. Natürlich gibt es auch einige, die eine Wende hin zur Öko- und
Regionalwirtschaft wollen. Die allerdings erzählen, dass ihre Vorschläge
vom Staatssekretär abgefangen würden, gar nicht erst "hochkommen zur
Ministerin". Staatssekretäre müssen vorsortieren. Das ist ihr Job. Aber
selten führen sie das Wort so wie im Agrarministerium.
Aigner hat versucht, dies zu ändern. Sie habe sich nicht länger als
Sekretärin behandeln lassen wollen, hieß es vor einem Jahr. Da holte sie
den Agrarwissenschaftler Robert Kloos - und schmiss Gert Lindemann raus,
der seit Mittwoch Agrarminister in Niedersachsen ist. Ein Machtgewinn war
das für Aigner nicht. "Lindemanns Meinungskultur im Bundesministerium ist
geblieben", sagt ein Mitarbeiter.
Lindemann gilt bei Bauernvertretern als "Mann vom Fach". Er ist ein
Karrierebeamter, der sich seit Jahrzehnten mit den Finessen der
Agrarpolitik beschäftigt. Dadurch ist er stark.
An seinem neuen Job lässt sich Punkt zwei der Aigner'schen Machtlosigkeit
festmachen: Die Katholikin hat keine Verbündeten in den Ländern für eine
Agrarpolitik, die nicht wie bislang auf Größe und Export setzt. In
Niedersachsen nicht, wo Riesenhühnerställe und Maismonokulturen die
Landschaft prägen. Aber auch in Bayern nicht, wo es kleinere Höfe und
Wiesen gibt. Der dortige CSU-Agrarminister Helmut Brunner wartet nicht mit
einer anderen Linie auf, er soll es satt haben, von Kollegen belächelt zu
werden - "ach ja, die Bayern".
Keine Parteiunterstützung
Aigners Vorgänger Horst Seehofer war da anders - vorausgesetzt er sah eine
Chance zur Profilierung. Dann kämpfte er gegen die Gentechnik, für die
kleinen Milchbauern, und zwar mit aller Macht. Ihm ging es nicht um Agrar-,
sondern um Parteipolitik, genauer: um sich und die CSU-Stammwähler.
Seehofer wollte Wahlen in Bayern gewinnen, CSU-Chef werden. Er ist ein
Schwergewicht. Aigner aber ist in der CSU so tonangebend nicht. Ihr fehlt -
drittes Problem - Macht auch in der eigenen Partei.
Viertens und letztens ist da noch Peter Bleser, Bauer aus Rheinland-Pfalz
und agrarpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag. Er hält
die Dioxinaffäre für übertrieben, empört sich über "Hysterie, die teilweise
verbreitet wird und für die unschuldige Bauern jetzt die Zeche zahlen
müssten". Ohne Bleser passiert nichts, sagen Beobachter.
Bleser will zwar an Aigners Aktionsplan gegen Futterpanscher, der diese
Woche viel diskutiert und verabschiedet wurde, nicht mitgeschrieben haben -
"der wurde im Agrarministerium erarbeitet", sagte er der taz. Er sei
allerdings in "Telefonkonferenzen um Punkte vervollständigt" worden. Und:
Er hätte auch "nichts anders gemacht".
Aigner könnte Regeln fürs Baurecht vorschlagen, die die Größe der Ställe
begrenzen. Sie könnte vorschreiben, dass auf der Milchpackung steht, wie
die Kühe gehalten wurden. Sie könnte Förderprogramme für Ökobauern
ersinnen. Sie könnte sich wehren, den Männern entgegentreten, die Gespräche
in Kneipe und Supermarkt ernst nehmen: Mit dem Dioxinskandal ist die
industrialisierte Landwirtschaft ins Gerede gekommen.
Hubert Weiger vom Umweltverband BUND fordert die "aktive Unterstützung der
Kanzlerin für eine andere Agrarpolitik." Danach sieht es zurzeit nur nicht
aus. Aigner nutzte am Mittwoch auch die Regierungserklärung nicht, um die
Chefin mitzureißen. Es gebe "eine Chance für eine breite gesellschaftliche
Debatte über die Rolle der Landwirtschaft", sagte sie, sie habe "einen
Prozess angestoßen", es werde eine "Charta für Landwirtschaft und
Verbrauchervertrauen" geben. Das hört sich fleischlos an, ohne Kraft.
Jeder zweite Bundesbürger ist laut Umfragen unzufrieden mit Aigner. Sie
arbeitet bürokratisch. Bei Sitzungen der EU-Agrarminister liest sie vom
Papier ab. Sie entfaltet nicht, gibt keine Linie vor. Für eine
Bundesministerin ist das ein seltsames Selbstverständnis. Der Grüne Graefe
zu Baringdorf sagt: "Aus so einer Ökokatastrophe schlägt man Gewinn." Dazu
müsste sich Aigner jetzt die einzigen Koalitionäre suchen, die sie haben
kann - die Öffentlichkeit.
Mitarbeit: JOST MAURIN
21 Jan 2011
## AUTOREN
Hanna Gersmann
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