# taz.de -- Turbohühner auf dem Biohof: Skandal ohne Gewinner | |
> Dioxinfreie Eier? Die gibt es nicht mehr, nirgendwo - auch nicht auf dem | |
> Biohof, sagt Bauer Johannes Erkens Kudammhof in Großmoor bei Celle. | |
Bild: Auch Biohühner müssen Leistung zeigen. | |
CELLE taz | Früher, ja, früher war dir ein Ei wie das andere, und du | |
wusstest nur: Wenn's Portemonnaie leer ist, fährst du mit Knickeiern | |
günstig. Heute stehst du beim Biobauern im Matsch und fragst ihn: Wie er | |
das denn hinkriegt, dass in seinen Eiern nix drin ist, und vor allem: kein | |
Dioxin. | |
Da zieht der Biobauer, der Johannes Erkens heißt, die Brauen zusammen, | |
guckt ein bisschen streng und sagt doch glatt: Nein, also so etwas, das | |
könne er nicht versprechen. Kann ja keiner behaupten, der ehrlich ist - | |
dioxinfrei. Hoppsa!, gackernd stieben ein paar Hühner davon, die den Besuch | |
kritisch beäugen, und du versuchst gerade, nicht umzufallen, während du auf | |
einem Bein die Plaste-Überschuhe auf die Stiefel stülpst. Die sind nötig, | |
hygienetechnisch, weil's gleich in den Stall geht. | |
"Wir leben alle unter einem Himmel", sagt Erkens, "auf derselben Erde." Und | |
dioxinfrei gibt's da nicht mehr, nirgends. Auch ein Biobauer könnte sich da | |
höchstens rausträumen. | |
Auch Bio-Landwirtschaft ist schließlich ein realistisches Geschäft. Aber | |
ein ehrliches, mindestens wenn's nach Erkens geht, wie hier, auf dem | |
Kudammhof in Adelheidsdorf-Großmoor bei Celle, mit seinen durchschnittlich | |
5.000 Hühnern, die Herde à 1.000 Tiere, Erkens stellt sie als Amberlink | |
Legehybride vor. Also die berüchtigten Turbohühner? | |
"Wir brauchen eine Leistung von 250 Eiern pro Huhn", erklärt er. | |
Rassehühner schaffen bestenfalls etwas mehr als die Hälfte, "damit würden | |
wir nicht hinkommen". Die Küken werden auf Bestellung vom Züchter | |
angeliefert. Wie gesagt, ehrlich. Und realistisch. | |
Und in der Dioxinfrage garantieren Erkens und seine Frau Friederike | |
Schultz, die den Hof vor 20 Jahren vom Vater übernommen hat, eben nur | |
dafür, dass die eigenen Böden streng kontrolliert sind, dass sie selbst | |
keine neuen Schadstoffe eintragen und den Hühnern kein zusätzliches Dioxin | |
übers Mischfutter zuführen. | |
Das fällt ihnen wiederum leicht, weil sie a) wissen, dass ihr | |
Futterlieferant aus Bakum im Osnabrücker Land von sich aus seine Ware auf | |
Dioxin beproben lässt, weil der b) sie auch seinerzeit sicher durch die | |
Nitrofen-Krise gelotst hat, vor acht Jahren war das. Und vor allem, weil c) | |
Mischfett in Biobetrieben gar nicht erlaubt ist. Deshalb wird der aktuelle | |
Skandal sie nicht erfassen, da sind Erkens und Schultz zuversichtlich. | |
Ob sie und die anderen Bioland-zertifizierten Betriebe am Ende davon | |
profitieren? Nein, sagt Schultz, und schüttelt den Kopf. Das glaubt sie | |
nicht, viel ändern wird sich nicht. "Am Ende gibt's nur einen Zettel mehr | |
zum Ausfüllen." | |
Der Stall ist kühl und gut gelüftet. Es stinkt nicht. Vorhin, bei den | |
Junghühnern, die sie hier aufziehen, lag so ein süßliches Hühnerkacke-Aroma | |
in der Luft. Hier, wo die Herde die Nacht verbringt, überwiegt der | |
herzhaft-trockene Duft von Körnerfutter. Davon hat Friederike Schultz jetzt | |
einen Eimer reingetragen, eine Zwischenmahlzeit zur Teezeit, daran sind die | |
Tiere hier gewöhnt: Als vorhin der Bauer ganz ohne Bottich hinters Gitter | |
gekommen war, hatten die Vögel sich erst um ihn geschart und erregt | |
gegackert, ja, wo bleibt denn der Imbiss? | |
Kommt ja, kommt ja. Bei Bio-Eiern gibt's dagegen einen echten Engpass. Auch | |
auf dem Celler Marktplatz. Seit Anfang Januar belagert dort jeden | |
Mittwochvormittag eine gierige Riesenschlange den Stand des Kudammhofs: | |
Groß ist die Angst, nach dem Genuss des Frühstückseis dioxinverseucht vom | |
Stuhl zu kippen, kein schöner Tod. Also wollen alle Bio, nur, wo sollen die | |
jetzt herkommen? Zum Fest gab's Stollen und Plätzchen und Saucen und | |
Cremes. | |
Nach Weihnachten ist für viele erst mal genug mit Eiern. Also beginnt die | |
Suppenhuhnsaison: Die alten Hennen werden geschlachtet, die Ställe | |
desinfiziert, die neuen Herden müssen sich erst einspielen, damit sie | |
Ostern genügend legen. Das ist immer so. Damit rechnen die Bauern. Also | |
kommt der Skandal zur Unzeit? "Na ja", sagt Erkens, "wie das natürlich | |
jeder Skandal immer tut." Aber jetzt ist es halt besonders unpassend. "Uns | |
nützt das gar nichts", sagt auch Schultz: Die Nachfrage bedienen - | |
unmöglich. Und die Preise hochsetzen? | |
Nur ein Zehnerpack | |
Da lacht Erkens, als hätt'st du einen dreckigen Witz gerissen. Dabei gibt's | |
welche, die das tun. Aber nicht hier. "Unehrenhaft" fände er das, sagt | |
Erkens. "Ich bin doch kein Halsabschneider." So etwas, glaubt er, nähme | |
ihnen die Stammkundschaft übel, die Bioläden in Braunschweig und im | |
Großraum Hannover und auch die Leute in Celle, die jede Woche an den Stand | |
kommen. Auf die sind sie natürlich angewiesen. Also wird rationiert. Die | |
Läden bekommen ihre Standardmenge, auch wenn sie um mehr betteln. Und auf | |
dem Markt gibt's auch für keinen mehr als ein Zehnerpaket. | |
Es nieselt. Die Hühner arbeiten konzentriert daran, den torfig-dunklen | |
Boden unterm Gras freizulegen, dieselbe Erde. Wenn die Tiere das Grün zu | |
weit beseitigt haben, wird der Zaun umgesteckt, der Stall an den Trecker | |
gekoppelt und zur nächsten Fläche gefahren. Im Winter kann's eng werden: | |
Das hier ist kein guter Boden. Bis nach dem Zweiten Weltkrieg war hier ein | |
Gefangenenlager und Torfstich. | |
Erst in den 1950ern wurde das Land mit Dampfpflügen urbar gemacht, | |
Siedlungshöfe für Kriegsflüchtlinge angelegt. "Anbindehaltung und | |
Spaltenböden, so etwas kannte ich vor dem Studium gar nicht", sagt | |
Friederike Schultz. Ihr Vater hielt Rinder und Schweine und betrieb | |
ökologischen Landbau, noch bevor das ein Label war. | |
Alle paar Minuten kräht ein Hahn. Die braucht ein Legebetrieb eigentlich | |
nicht. Männliche Küken werden nach dem Schlüpfen noch beim Züchter | |
aussortiert. Aber die Geschlechtsbestimmung bei Küken ist schwierig. "Hähne | |
sind die Fehlerquote", sagt Erkens. Den staatlich geprüften | |
Landwirtschaftsleiter hat das etwas Überwindung gekostet, die zu | |
tolerieren. | |
Anders als seine Frau, die ihn beim Landwirtschaftsstudium in Kassel | |
kennengelernt hat, kommt er ursprünglich von einem konventionellen Hof: | |
Sein Vater war Rübenbauer. "Wenn der Herbizide ausbrachte, musste ich als | |
Kind die Reihe markieren", sprich: Wenn der Traktor am Ende des Felds | |
ankam, anzeigen, hier ist schon gespritzt, dann schwenkte der Trecker in | |
die Gegenrichtung, "und dann kam diese Wolke". Erkens zieht die kalte | |
Winterluft durch die Nase ein. "Das ist ein Geruch, der bleibt", sagt er, | |
schüttelt sich. "Das möchte ich nie mehr haben." | |
In der Stube gibt's Kaffee. Die Holzheizung haben sie selbst entworfen, | |
praktisch, weil auf dem Gelände viele Bäume stehen, und da fällt bei Sturm | |
genug ab. Und wohlig warm wird's. So etwas austüfteln, das ist ein Spaß und | |
eine Genugtuung, und das gehört für Erkens zum Bauernsein dazu. Für so | |
etwas ist bei Mästern und den Legebetrieben, die in 30.000er-Ställen | |
industriell produzieren kein Raum. | |
Da käme niemand auf die Idee, beispielsweise das zusätzliche Futter | |
ungeschrotet anzukaufen. Hier hingegen wird nach Bedarf frisch gemahlen. Im | |
Sinne der EU-Richtlinie 178/2002 ist der Kudammhof damit ein | |
Futtermittelunternehmen. Und die Gesetzesinititiativen, die der | |
14-Punkte-Aktionsplan auflistet, gelten laut Verbraucherschutzministerium | |
"grundsätzlich für alle". Aber vielleicht, so der Sprecher, wird es | |
bestimmte Ausnahmen geben. Bestimmt aber nur auf Antrag. | |
Industriebetriebe werden mit dem zusätzlichen bürokratischen Aufwand meist | |
schnell fertig. Die haben Rechtsabteilungen. Der Kudammhof nicht. "Es | |
trifft", das hatte Friederike Schultz doch gesagt, "am Ende immer die | |
Kleinen." | |
21 Jan 2011 | |
## AUTOREN | |
Benno Schirrmeister | |
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