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# taz.de -- Politologe übers Kräfteverhältnis in Ägypten: "Die Armee hilft …
> Noch spielt das Militär eine wichtige Rolle. Aber auch das wird sich
> erledigen, meint der Politologe Amr Hamzawy, der am Tahrir-Platz
> protestierte. An eine islamistische Wende glaubt er nicht.
Bild: Zwei Millionen Menschen gegen das Regime: Dienstag am Tahrir-Platz in Kai…
taz: Herr Hamzawy, wie fühlt sich Kairo an diesem Tag an?
Amr Hamzawy: Ich stehe auf dem Tahrir-Platz, und es ist wirklich
beindruckend. Ich habe Tränen in den Augen. "Tahrir" heißt ja "Befreiung",
und dieser Platz ist tatsächlich zu einem befreiten Platz geworden, auf dem
die Ägypterinnen und Ägypter basisdemokratisch über die Zukunft des Landes
diskutieren. Sie machen deutlich: Wir sind friedlich und werden nicht den
Präsidentenpalast stürmen. Aber wir werden bleiben, bis das Regime von
Husni Mubarak unsere legitimen Forderungen verwirklicht hat. Und alle sind
zuversichtlich, dass dies passieren wird.
Was ist das Besondere an dieser Bewegung?
Die ganze Gesellschaft, Arme, Reiche und Mittelschicht, Junge und Alte,
Männer und Frauen sind auf der Straße. Aber nicht aus ideologischen
Gründen. Und es ist auch keine antiwestliche, antiamerikanische oder
antiisraelische Propaganda zu hören. Die Menschen sind hier, weil sie die
Zukunft demokratisch gestalten wollen - und sozial. Auch das ist neu: dass
soziale und politische Themen zusammen verhandelt werden.
Wie das Ganze ausgeht, hängt nicht zuletzt vom Militär ab. Wo steht die
Armee gegenwärtig?
Sie macht zweierlei: Sie schützt die Massen vor Gewalt und Plünderungen.
Und sie schützt zwar noch das Regime, aber nicht Mubarak. Denn das war ein
riesiger Schritt nach vorn, dass die Armee am Montag erklärt hat, dass sie
die legitimen Forderungen der Ägypter unterstützt und nicht auf die
Demonstranten schießen wird. Die Menschen wissen jetzt: Die Armee sorgt für
Sicherheit und wird uns bei der Demokratisierung helfen.
Erfordert eine Demokratisierung Ägyptens nicht auch die Entmachtung des
Militärs?
Darauf wird es hinauslaufen. Seit 1952 war die Armee der wichtigste
Machtfaktor. Das wird, nach einer Phase des Übergangs, nicht mehr der Fall
sein. Vielleicht wird sie versuchen, noch mal jemanden ins Rennen zu
schicken, möglicherweise den neuen Vizepräsidenten Omar Suleiman. Aber die
Grundlagen des politischen Systems werden andere sein. Mit dem Regieren bis
ans Lebensende ist es vorbei.
Aber warum sollten die Militärs freiwillig ihre Macht aufgeben?
Die Menschen sind nicht deshalb auf der Straße, um am Ende wieder von einem
General regiert zu werden. Das sehen auch die Militärs. Und sie agieren
wirklich nicht im politischen Sinne.
Da Sie eine Restauration der alten Verhältnisse ausschließen - in welchem
Zusammenhang wird man Ägypten und Tunesien 2011 später einmal stellen: Iran
1979 oder Osteuropa 1989?
Dieses Gerede, dass der Aufstand in Ägypten eine islamistische Wende nehmen
könnte, ist völlig haltlos. Davon bemerkt man nichts auf der Straße. Dort
aber steht die schweigende Mehrheit, von der wir wussten, dass es sie gibt
und die sich zuvor nicht in die Politik eingemischt hat.
Die Muslimbruderschaft spielt keine Rolle?
Sie hat zwar zu dem Aufstand beigetragen, aber nicht in einer tragenden
Rolle. Viel wichtiger sind die Netzwerke der jungen Ägypter. Und die
Forderungen, die an die Adresse des Regimes und des Militärs gestellt
werden, sind keine islamistischen. Die Bürger haben den Traum eines
demokratischen, besseren Ägyptens, so wie die demokratischen
Bürgerbewegungen in Osteuropa oder Südamerika.
Von koptischen Ägyptern ist durchaus die Furcht zu hören, die
Muslimbruderschaft könnte doch die Macht übernehmen.
Die Muslimbruderschaft ist eine politische Kraft im Land und kann sich am
demokratischen Wettbewerb beteiligen - aber unter demokratischen
Bedingungen. Dazu gehört der zivile Charakter von Staat und Gesellschaft.
Und dazu gehört, dass alle Ägypterinnen und Ägypter, ob muslimisch oder
christlich, dieselben Rechte haben, auch das Recht, für alle öffentlichen
Ämter zu kandidieren.
1 Feb 2011
## AUTOREN
Deniz Yücel
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