# taz.de -- IP-Adressen: Die Nummer für's Leben? | |
> Der Umstieg auf die neue Internet-Technik IPv6 ist unvermeidlich. Doch | |
> viele Fragen sind offen. Den Umgang mit Privatsphäre im Netz kann die | |
> Technik wesentlich beeinflussen. | |
Bild: Tor zur Welt: Netzwerkverbindungen leiten Daten in alle Welt - dank IP-Ad… | |
Die [1][IP-calypse] ist da. Am Donnerstag hat die Internet Assigned Numbers | |
Authority (IANA) die letzten fünf großen Adresspakete in alle Welt | |
vergeben: Je 16,8 Millionen IP-Adressen gingen an Unterorganisationen in | |
den USA, Europa, Lateinamerika, Afrika und Asien. Dort werden sie | |
aufgeteilt und an Provider vergeben, die sie wiederum an ihre Kunden | |
verteilen. 16,8 Millionen Adressen, die genutzt werden können, um einen PC | |
zu Hause ans Netz zu bringen, mit dem iPhone unterwegs zu surfen oder eine | |
Webseite anzubieten. | |
„Wie lange die Provider damit auskommen, hängt von der | |
Vergabegeschwindigkeit ab", erklärt Michael Rotert, Vorstandsvorsitzender | |
des Verbandes der deutschen Internetwirtschaft eco. Danach ist Schluss: | |
Alle 4,3 Milliarden IP-Adressen werden dann vergeben sein. Das Internet ist | |
an seine Grenze gestoßen. | |
Doch akute Gefahr besteht nicht. Eine neue, sechste Version des | |
Internet-Protokolls 6 – kurz: IPv6 – steht schon seit Jahren in den | |
Startlöchern. Rund 340 Sextillionen IP-Adressen sind mit dem neuen | |
Protokoll möglich, umgerechnet mehr als 600 Billionen IP-Adressen pro | |
Quadratmillimeter Erdoberfläche. Für manche ist das schon wieder zu viel | |
des Guten – sie befürchten, dass jedem Menschen quasi eine lebenslange | |
IP-Adresse zugeteilt wird, dass aus der Anonymität des Netzes eine | |
technische Vollerfassung wird. | |
Denn IP-Adressen sind der Dreh- und Angelpunkt für die Rückverfolgbarkeit | |
von Personen im Netz. So [2][beklagen Strafverfolger lautstark], dass sie | |
seit dem Ende der Vorratsdatenspeicherung von deutschen Providern kaum noch | |
Auskünfte erhalten, welcher Name zu welcher IP-Adresse gehört. | |
Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger schlägt deshalb eine | |
Speicherung von sieben Tagen vor, in der Ermittler ihren Bedarf nach Daten | |
anmelden können. Schon dieser Kompromissvorschlag wird von Vertretern der | |
Internet-Gemeinde als [3]["Vorratsdatenspeicherung light"] geschmäht. | |
Mit IPv6 könnte sich der Streit – zumindest, was die IP-Adressen angeht – | |
schon bald erledigt haben. Denn mit der Einführung des neuen Protokolls | |
verändern sich die Spielregeln im Netz wesentlich. So war es bisher üblich, | |
dass Endkunden mindestens einmal am Tag eine neue IP-Adresse zugewiesen | |
bekamen. Auf diese Weise sparten Provider knappe IP-Adressen. Nebeneffekt: | |
ist die Verbindung zum Netz getrennt, ist – wenn überhaupt – nur wenige | |
Tage nachverfolgbar, von welchem Anschluss eine Internet-Auktion gestartet, | |
eine Webseite aufgerufen oder eine E-Mail verschickt wurde. | |
Nach der Einführung von IPv6 gibt es keinen technischen Grund mehr für | |
diese ständige IP-Rotation. Statt täglich eine neue Adresse zu bekommen, | |
könnte ein Internet-Anwender über Wochen, Monate oder gar Jahre | |
zurückverfolgbar sein. Eine Speicherfrist beim Provider wäre so unnötig: | |
Die Strafverfolger können einfach überprüfen, wer unter einer IP-Adresse | |
aktuell erreichbar ist und hat mit hoher Wahrscheinlichkeit den gesuchten | |
Anschlussinhaber ermittelt. | |
Datenschützer entdecken das Problem erst langsam. „Der Prozentsatz von | |
Daten über Suchanfragen, die auf Einzelpersonen zurückgeführt werden | |
können, wird vermutlich in der Zukunft weiter ansteigen", heißt es aus dem | |
Büro des Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die | |
Informationsfreiheit in Bonn auf Anfrage der taz - denn immer häufiger | |
würden in Hochgeschwindigkeits-DSL oder anderen Breitbandverbindungen, bei | |
denen die Computer der Nutzer ständig mit dem Netz verbunden sind, feste | |
IP-Nummern genutzt. Eine abschließende Meinung hat man sich nicht nicht | |
gebildet. | |
Und doch ist IPv6 kein Teufelszeug, kein Werkzeug aus dem Repertoire des | |
Überwachungsstaates. So haben die Schöpfer des Protokolls eigens einen | |
Privatsphären-Modus eingebaut. Der verhindert, dass sich jedes Gerät auf | |
Dauer nachverfolgen lässt. Werden diese „privacy extensions“ ordnungsgemä… | |
umgesetzt, ist die IPv6 im Prinzip nicht brisanter als das alte | |
Internet-Protokoll – zumindest in der Theorie. | |
In der Praxis ist es jedoch ganz in der Hand der Provider, ob sie ihren | |
Kunden auch in Zukunft dynamische IP-Adressen anbieten – und falls ja: wie | |
oft die IP-Adressen wechseln sollen. Auf Presseanfragen reagieren die | |
Provider sehr zurückhaltend. Allein Kabel Deutschland erklärt, dass man in | |
Zukunft „semipermanente IP-Adressen“ verwenden werde. Was das konkret | |
bedeutet, war nicht in Erfahrung zu bringen, aber schon heute ändern sich | |
die IP-Adressen bei Internatanschlüssen per TV-Kabel nur noch sehr selten. | |
Immerhin scheint sich nun auch die Bundesregierung für die Folgen der neuen | |
Technik zu interessieren, die sie zwar seit Jahren fordert und fördert, | |
aber sonst nicht wirklich zur Kenntnis genommen hat. Das Bundesministerium | |
für Wirtschaft und Technologie hat für die kommende Woche Vertreter der | |
Internetwirtschaft zu einem Workshop eingeladen, in dem es um die | |
praktischen Aspekte der Umsetzung der neuen Technik gehen soll. Ob am Ende | |
Datenschützer oder Strafverfolger ihre Vorstellungen auf diesem Wege | |
einbringen können, bleibt offen. | |
4 Feb 2011 | |
## LINKS | |
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## AUTOREN | |
Torsten Kleinz | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Überwachung | |
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