# taz.de -- Neues Internet-Protokoll: "Anonymität muss gewahrt bleiben" | |
> Johannes Caspar, Datenschutzbeauftragter in Hamburg, warnt vor den | |
> negativen Auswirkungen der neuen IPv6-Adressen auf die Privatsphäre. Der | |
> Nutzer könne durchleuchtet werden. | |
Bild: Datenstrom: Mit dem neuen Internetprotokoll IPv6 wird vieles im Netz ande… | |
taz.de: Herr Caspar, IPv6 ist ja kein ganz neues Thema, es köchelt schon | |
viele Jahre vor sich hin. Nun haben Sie zum "World IPv6 Day" vor den | |
Auswirkungen der Technik auf die Privatsphäre und den Datenschutz gewarnt. | |
Was ist an ihr potenziell gefährlich? | |
Johannes Caspar: Soweit die Nutzer, die bislang eine dynamische Adresse | |
hatten, diese in Zukunft fest zugewiesen bekommen, wird die IP-Adresse wie | |
eine für die Telekommunikation vergebene Rufnummer als Bestandsdatum | |
behandelt. Dies hätte zur Folge, dass eine Löschung erst über ein Jahr nach | |
Beendigung des Vertragsverhältnisses mit dem Provider erfolgen könnte. | |
Damit wären die Schritte des Nutzers im Netz, soweit seine IP-Adresse | |
protokolliert wurde, stets individualisierbar. | |
Eine statische Vergabe führt ferner zum Ende der ohnehin relativen | |
Anonymität im Internet, da dann Diensteanbieter die Person hinter der | |
IP-Adresse bei dem Besuch einer Website wiedererkennen könnten, auch ohne | |
dass diese sich namentlich anmeldet. Zudem wird die zweite Hälfte der | |
Adresse durch das jeweilige Endgerät vergeben. Dies führt dazu, dass die | |
Internetnutzung nicht nur auf einen Anschluss, sondern auf ein konkretes | |
Endgerät zurückführbar wird - dies sogar trotz eines zwischenzeitlichen | |
Provider-Wechsels. | |
Hätte man solche Bedenken nicht früher im Prozess äußern können? | |
Schließlich scheint IPv6 mittlerweile auf dem Weg zu sein, sich in einigen | |
Jahren zumindest teilweise zu etablieren. | |
Die sogenannten Privacy Extensions wurden erst aufgrund der Kritik durch | |
Datenschützer eingeführt. Die neuen IP-Adressen werden derzeit noch nicht | |
vergeben, sodass eine Einflussnahme auf die Praxis zum gegenwärtigen | |
Zeitpunkt noch möglich ist. | |
Glauben Sie, dass der Staat regulierend eingreifen sollte? | |
Um in Zukunft die Möglichkeit einer dynamischen Vergabe der IP-Adressen | |
sicherzustellen, sollten entsprechende Regelungen durch den Gesetzgeber | |
geschaffen werden. Auch wenn einige große Provider Entgegenkommen | |
signalisiert haben. Ferner sollte durch eine Produktverantwortung der | |
Hersteller gesichert werden, dass Privacy Extensions bei allen Geräten | |
vorhanden sind. Das Fehlen einer allgemeinen datenschutzrechtlichen | |
Produktverantwortung ist ein Mangel, der hier mal wieder besonders deutlich | |
wird. | |
Wie funktionieren diese Technik? | |
Die Aktivierung der Privacy Extensions führt dazu, dass statt einer | |
eindeutigen Gerätekennung wechselnde Zufallszahlen in den zweiten Teil der | |
Adresse eingebaut werden. Dies erschwert zumindest das Erkennen des | |
benutzten Endgeräts. | |
Sind die Privacy Extensions ausreichend? | |
Sie reichen alleine nicht aus, da sie lediglich den „Interface Identifier“, | |
also die dem Gerät zugeteilte Nummer betreffen, nicht aber den ersten Teil | |
der IP-Adresse, den Präfix. | |
Könnte man auf Provider und Endgerätehersteller einwirken, dass die Privacy | |
Extensions standardmäßig eingeschaltet werden? | |
Auf Provider nicht, aber auf Endgeräte- und Softwarehersteller. | |
Ist die Grundidee von IPv6, das man jedem Gerät eine eigene Adresse | |
zuordnen kann, nicht eigentlich gut? Schließlich kämpft man seit langem mit | |
den ausgehenden IPv4-Adressen. | |
IPv6 ist grundsätzlich eine gute Lösung für die Adressknappheit. Es geht | |
jedoch darum, die technische Entwicklung datenschutzgerecht zu steuern. | |
Anonymität im Netz muss gewahrt bleiben. Zu den gleichen Bedingungen wie | |
bisher. | |
Dynamische IPs waren eine Art Unfall, die der Knappheit von IP- Adressen | |
bei IPv4 geschuldet waren. Hätte man so etwas von vorne herein vorgeben | |
müssen? | |
Vor 25 Jahren hatte das Problem eine wesentlich kleinere Dimension. | |
Außerdem erfolgt in der Praxis schon seit langem eine dynamische Vergabe. | |
Wenn man telefoniert, ist man ja auch nicht anonym, wenn man seine | |
Caller-ID preisgibt. Was ist hier anders? Dass man im Internet viel | |
privatere Dinge tun kann? | |
Man kann die Rufnummer zunächst einmal unterdrücken. Außerdem hat die | |
vorliegende Thematik eine wesentlich größere Dimension: Im Internet wird | |
durch die Protokollierung der IP-Adresse das gesamte Surf-Verhalten | |
rekonstruierbar. Wenn dann die Person hinter der IP-Adresse bekannt ist, | |
stellt dies einen schweren Eingriff in die informationelle Selbstbestimmung | |
des Betroffenen dar. Der Nutzer hat dann letztlich nur die Wahl, sich | |
beobachtetet durch das Netz zu bewegen oder auf das Internet ganz zu | |
verzichten. | |
Könnte es passieren, dass jeder Mensch eines Tages seine IPv6- Adresse | |
erhält, quasi als Erkennungsmerkmal? Staatliche Stellen und Medienindustrie | |
fragen bereits jetzt Hunderttausende IPs im Monat zur Straf- und | |
Rechteverletzungsverfolgung ab. | |
Die Frage trifft den Kern unserer Befürchtungen. | |
Wie könnte ein datenschutzfreundliches IPv6 aussehen? Ist es überhaupt | |
möglich, ohne die Vorteile zu verlieren? | |
Durch eine dynamische Vergabe der IP-Adresse zu den gleichen Bedingungen | |
wie bisher und durch den gerätedeckenden Einsatz von Privacy Extensions ist | |
der Status Quo der Anonymität im Netz zu wahren. | |
12 Jun 2011 | |
## AUTOREN | |
Ben Schwan | |
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