# taz.de -- Verschwendung von Lebensmitteln: 20 Milliarden Euro für die Tonne | |
> Ein Apfel mit Druckstelle, ein Joghurt kurz vor dem Verfallsdatum - | |
> Lebensmittel, die eigentlich nicht in den Müll gehören. Doch keiner kauft | |
> sie mehr. | |
Bild: Vieles, was im Müll landet, gehört eigentlich noch auf den Tisch. | |
In Deutschland landen Schätzungen der Welthungerhilfe zufolge über 20 | |
Millionen Tonnen Lebensmittel im Jahr auf dem Müll. Das sind umgerechnet | |
Waren im Wert von 20 Milliarden Euro - für die Mülltonne. Und Handel und | |
Verbraucher schieben sich gegenseitig die Schuld zu. Bei den Produkten | |
handelt es sich vor allem um Obst und Gemüse, Brot und Backwaren. | |
Lebensmittel, die nur ein paar Macken haben und die teilweise sogar noch | |
original verpackt sind - oft ist nicht einmal das Mindesthaltbarkeitsdatum | |
abgelaufen. | |
"Lebensmittel, die kurz vor Ablauf des Mindesthaltbarkeitsdatums stehen, | |
werden aus den Regalen geräumt", sagt Thomas Haller*, stellvertretender | |
Marktleiter in einer Filiale der Supermarktkette Rewe. "Obst und Gemüse | |
wird auf Verkaufsfähigkeit geprüft, aussortiert und gegebenenfalls | |
weggeschmissen", so Haller. Ulrike Schmidt*, ebenfalls stellvertretende | |
Marktleiterin eines Rewe-Marktes, sagt, dass das Mindesthaltbarkeitsdatum | |
das Problem ist: "Es suggeriert den Verbrauchern, dass die Lebensmittel | |
nicht mehr genießbar sind und weggeschmissen werden müssen." | |
Dabei stimmt das so nicht. "Das Mindesthaltbarkeitsdatum ist kein | |
Verfallsdatum und darf nicht mit dem Verbrauchsdatum verwechselt werden", | |
sagt Andrea Schauff von der Verbraucherzentrale Hessen. Das Verbrauchsdatum | |
benennt nämlich im Gegensatz zum Mindesthaltbarkeitsdatum den letzten Tag, | |
an dem das Lebensmittel noch verzehrt werden kann. Verbrauchern sei der | |
Unterschied zwischen Mindesthaltbarkeitsdatum und Verbrauchsdatum oft | |
unklar. Auch wüssten insbesondere jüngere Konsumenten oft nicht genug über | |
die Beschaffenheit und die Eigenschaften von Lebensmitteln, wie Geruch und | |
Aussehen. Auch mangele es oft an richtiger Einkaufsplanung und Lagerung, so | |
Schauff. | |
In der Dokumentation [1]["Frisch auf den Müll"] zeigt Valentin Thurn | |
eindrucksvoll, welche Rolle der Handel bei der Lebensmittelverschwendung | |
spielt. "Darüber reden leider nur wenige, wir waren die ersten die darüber | |
berichtet haben, obwohl es den Insidern seit langem bekannt ist", sagt | |
Thurn. "Der Handel will die Lebensmittel nämlich möglichst gleichförmig | |
haben, damit man die Qualität besser überprüfen und sie besser | |
transportieren kann. Krumme Gurken lassen sich nicht leicht in eine Kiste | |
packen. Also setzt der Handel Normen fest, die wiederum in der | |
Landwirtschaft zum Wegwerfen führen." | |
Einerseits legen also die Händler gewisse Standards und Normen fest, wie | |
ein Produkt auszusehen hat, andererseits fordern die Verbraucher eine immer | |
größere Auswahl an perfekten Produkten. "Kunden suchen sich meist das | |
bestmögliche und ansprechendste Produkt aus", sagt Rewe-Mitarbeiter Haller. | |
Doch nicht alle Lebensmittel, die kurz vor dem Mindesthaltbarkeitsdatum | |
stehen, werden weggeschmissen. Vieles geht an die Tafeln. Michael Gerling | |
vom Bundesverband des Deutschen Lebensmittelhandels e.V. bestätigt, "dass | |
in den letzten Jahren die Zusammenarbeit des Lebensmittelhandels mit den | |
Tafeln deutlich zugenommen hat". Die Tafeln seien heute professionell | |
organisiert und viele Unternehmen in der Branche würden inzwischen eng und | |
regelmäßig mit der Tafelorganisation zusammenarbeiten. | |
Dass der Handel Interesse daran hat, so wenig Lebensmittel wie möglich zu | |
verschwenden, zeigt sich auch in den ausgefeilten Warenwirtschafts- und | |
Logistiksystemen der Branche. "Die Warenversorgung wird immer besser an die | |
tatsächliche Nachfrage der Konsumenten angepasst", sagt Gerling. "Kürzere | |
Bestellrhythmen und kleinere Bestellmengen tragen dazu bei, dass hohe | |
Bestände und damit hohe Abschriften vermieden werden können." | |
Weit weg von Warenwirtschafts- und Logistiksystemen ist der Buschberghof. | |
Hier wird noch ursprüngliche Landwirtschaft betrieben. Landwirtschaft ohne | |
wirtschaftlichen Zwang, die auf dem Buschberghof neue Perspektiven für den | |
ökologischen Landbau geschaffen hat. Durch seine Eigentümer- und | |
Bewirtschaftungsstruktur stellt der Hof eine Besonderheit dar, die | |
Modellcharakter für andere ökologisch wirtschaftende Betriebe hat. Ein | |
Modell der Zusammenarbeit zwischen Erzeugern und Verbrauchern, wie es auch | |
unter dem Namen [2][Community Supported Agriculture] (CSA) seit vielen | |
Jahren in Japan und in den USA existiert. | |
Auf dem Buschberghof in der Nähe von Hamburg organisieren sich rund 350 | |
Menschen in einer solchen Wirtschaftsgemeinschaft. Es wird nur das | |
produziert, was auch wirklich gebraucht wird. "Wir verfolgen dieses Konzept | |
seit 1988 und leben den Gedanken, dass nur wirklich das hergestellt wird, | |
was auch verbraucht wird, nicht mehr und nicht weniger", sagt Wolfgang | |
Stränz, Kassenwart des Buschberghofs. Die Mitglieder wissen, wer die | |
Lebensmittel herstellt und wie sie hergestellt werden. Dadurch ergebe sich | |
automatisch eine besondere Wertschätzung den Lebensmitteln gegenüber, so | |
Stränz. | |
Genau dieses Bewusstsein im Umgang mit Lebensmitteln und eine übergreifende | |
Diskussion zwischen Verbrauchern, Handel, Industrie und Landwirtschaft wird | |
in Zukunft notwendig sein, um die Lebensmittelverschwendung auf ein Minimum | |
zu reduzieren, meint Gerling vom Deutschen Lebensmittelhandel. Ganz | |
verhindern lassen wird sie sich aber nie, glaubt Gerling. "Solche Systeme | |
können höchstens eine Ergänzung zur täglichen Versorgung von 80 Millionen | |
Menschen sein." | |
* Namen geändert | |
9 Feb 2011 | |
## LINKS | |
[1] http://www.tastethewaste.com | |
[2] http://www.buschberghof.de/Seiten/CSATheorie.html | |
## AUTOREN | |
Hendrikje Borschke | |
## TAGS | |
Lebensmittel | |
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