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# taz.de -- Energie wächst auf den Feldern: Schilfgras mit Potenzial
> Seit über 20 Jahren erforschen Wissenschaftler das Schilfgras Miscanthus
> - mit überzeugenden Ergebnissen. Etabliert hat sich die Energiepflanze
> bisher jedoch nicht.
Bild: Geerntet wird das Riesen-Chinaschilf im Frühjahr.
"Warum sollen wir in Dubai das Öl kaufen, wenn wir die Energie hier auch
anders anbauen können?", fragt Werner Germann. Der 52-jährige Heizungsbauer
sitzt in einem Hinterzimmer seines Geschäfts in Brensbach. Neben ihm am
Tisch hat der Landwirt Timo Böck Platz genommen. Gemeinsam mit sechs
anderen Bauern wollen sie das Riesen-Chinaschilf Miscanthus im Odenwald
marktfähig machen. Um es als Brennstoff, als Ersatz für Rindenmulch und
Einstreu für Ställe zu etablieren, haben sie die Firma Miscanthus
Gersprenztal gegründet. Ähnliche Versuche, das Chinaschilf zu nutzen, gibt
es deutschlandweit.
Miscanthus kommt ursprünglich aus dem ostasiatischen Raum und wird im Jahr
etwa drei bis fünf Meter hoch – je nach Region und Bodenqualität. Das
Schilfgras gehört ebenso wie Mais zu den C4-Pflanzen, nutzt also Wasser und
Sonnenenergie sehr effizient. Der Anbau von Miscanthus ist arbeitsintensiv:
Die Pflanze wird nicht gesät, sondern über Wurzelstücke, so genannte
Rhizome, in die Erde gepflanzt. Gerade im ersten Jahr müsse außerdem
Unkraut bekämpft werden, weil Miscanthus sich da noch nicht eigenständig
durchsetzen könne, sagt Böck.
Ein großer Vorteil ist, dass das Schilfgras nach dem ersten Jahr kaum noch
Dünger und Pflanzenschutzmittel braucht. Außerdem muss es nur einmal
gepflanzt werden und treibt dann über 20 Jahre auf dem Feld immer wieder
neu aus. Der Heizwert entspricht etwa dem von Holz. "Das Besondere ist,
dass wir keine andere Pflanze haben, die so effizient Biomasse produziert",
sagt Iris Lewandowski, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Universität
Hohenheim. Sie beschäftigt sich seit 1989 mit Miscanthus und ist überzeugt,
dass die Pflanze ein großes Potenzial hat.
Warum dieses Potenzial bisher jedoch kaum genutzt wird? Miscanthus lässt
sich zwar lose oder in Form von Briketts verfeuern, es braucht jedoch dafür
Öfen, die auf die Verbrennung von Halmgut ausgelegt sind. Wenn Miscanthus
verbrennt, entsteht nämlich Asche mit einem niedrigeren Schmelzpunkt als
bei Holz. Dadurch kann Schlacke entstehen, die den Innenraum des Ofens
verklebt. "Das Hauptproblem ist jedoch, dass noch kein Markt für Miscanthus
vorhanden ist", sagt Lewandowski.
## Vetrieb funktioniert nur regional
Genau das wollen Böck und Germann zumindest regional ändern. Sie konnten
bisher 15 weitere Landwirte überzeugen, Miscanthus anzubauen und die Firma
mit der Ernte zu beliefern. Durch Verträge haben sie sich den Landwirten
gegenüber verpflichtet, das Material abzunehmen. "Wir arbeiten lieber mit
30 Landwirten, die Miscanthus auf einem Hektar anbauen, als mit einem
Landwirt, der es auf 30 Hektar anbaut", erklärt Germann. Viele stillgelegte
Flächen sollten genutzt werden.
Seit 2007 haben sie etwa 40 Hektar Miscanthus anpflanzen können.
Deutschlandweit sind bisher 2000 Hektar mit Schilfgras bedeckt. "Im letzten
Jahr haben wir insgesamt 36 Tonnen geerntet – in diesem Jahr wird es noch
mehr", so Böck. Ab dem dritten Jahr lassen sich zwischen 15 bis 25 Tonnen
Miscanthus pro Hektar ernten. Geht man von dem niedrigsten Wert aus, so
entspricht der Energieertrag von einem Hektar etwa 6.000 Litern leichten
Heizöls.
Geerntet wird im Frühjahr. Dann wird das Miscanthus mit einem Maishäcksler
vom Feld geholt. Der Vorteil gegenüber Holz: Das Schilfgras ist bereits so
trocken, dass es nicht Gefahr läuft, in den Lagerhallen zu schimmeln.
Allerdings muss Miscanthus dafür vor der Verwendung entstaubt werden. Ein
anderes Problem ist, dass das Schilfgras ein geringes Schüttgewicht hat und
daher viel Platz braucht. Wer die Lagerhalle neben Germanns Firma betritt,
versteht die Dimensionen: In riesigen Bergen stapelt sich dort das
Miscanthusstreu. "Der Vertrieb kann überwiegend nur regional funktionieren.
Die Transportkosten würden sich nicht lohnen", sagt Germann. Das habe
natürlich auch ökologische Vorteile: So bleibe der Anbau immer in der Nähe
des Verbrauchers. Außerdem hätten sie dadurch keine Konkurrenten.
Zu Beginn mussten Böck und Germann 100.000 Euro in das Schilfgras
investieren. Der Heizungsbauer zuckt gelassen mit den Schultern:
"Innovation bedeutet Investition. Es ist immer eine Herausforderung etwas
zu verändern." Problematisch ist jedoch, dass das Schilfgras als Brennstoff
bei ihnen bisher kaum nachgefragt wurde. Von den 36 Tonnen im letzten Jahr
haben sie zwar alles verkauft, doch nur rund 300 Kilogramm davon haben
Abnehmer zum Heizen verwendet. Ein ungenutztes Potenzial. Einen Großteil
des Miscanthus nutzten die Käufer hingegen als Einstreu für Ställe, weil es
saugfähiger ist als herkömmliches Stroh.
## Alle finden die Pflanze gut, aber kaum einer investiert
Miscanthus könnte aber auch auf ganz andere Weise interessant werden.
Lewandowski sieht die Zukunft von Miscanthus nicht nur im Bereich der
Verbrennung, sondern auch im Baustoffsektor. Schon jetzt
[1][experimentieren Schweizer] beim Hausbau mit "Miscanthus-Beton". Aber
auch Dämmstoff, Spanplatten oder Verpackungsmaterial lassen sich aus
Miscanthus herstellen.
Was sich noch verändern müsste, damit das Potenzial von Miscanthus erkannt
wird? Für den Landwirt Werner Kuhn, der sich schon Jahrzehnte mit
Miscanthus beschäftigt, ist das klar: "Wenn die Energiepreise weiter
steigen, wird man sich mit dem Thema mehr auseinandersetzen müssen. Bei
unserer Suche nach Lösungen ist Miscanthus auf jeden Fall ein Baustein. Als
Ergänzung gesehen ist es extrem wertvoll." Und Wissenschaftlerin
Lewandowski glaubt: "Alle finden die Pflanze gut, aber kaum einer will in
sie investieren." Solange noch keine Märkte erschlossen seien, lohne sich
der Anbau auch nicht. Ein wichtiger Schritt in diese Richtung ist das
[2][Miscanthus-Heizwerk] in Hoffenheim, das im Oktober 2010 eingeweiht
wurde.
Ob das Potenzial, das Miscanthus bietet, irgendwann gänzlich genutzt wird,
ist offen. "Ich würde mir jedenfalls wünschen, dass wir in 20 Jahren mit
Miscanthusstrom mit unseren Autos durch die Gegend fahren", sagt
Lewandowski. Und auch die Odenwälder Unternehmer zeigen sich optimistisch.
"Wir werden noch ein bisschen ausharren, noch ein bisschen Pionierarbeit
betreiben", sagt Germann. In zwei bis drei Jahren rechne er damit, dass die
Firma Gewinne mit Miscanthus mache.
14 Feb 2011
## LINKS
[1] http://www.schweizerbauer.ch/htmls/artikel_10294.html
[2] http://www.bioenergie-portal.info/baden-wuerttemberg/news/news/?tx_ttnews%5…
## AUTOREN
Corinna Klingler
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