# taz.de -- Alternative Toilettenmodelle: Im Örtchen nichts Neues | |
> Im Schweden findet man umweltbewusste Humustoiletten sogar in Hotels. In | |
> Deutschland dagegen sind alternative Toilettenmodelle im öffentlichen | |
> Raum noch nicht denkbar. | |
Bild: Selten nachhaltig, nie schön: Toiletten an Raststätten. | |
Auf der A3 bin ich "Stammkunde". Drei Stunden Fahrt trennen mich von | |
Studienort und der Familie. Und irgendwo auf dem Weg wird es immer | |
auftreten: das Bedürfnis, mich zu erleichtern. Inzwischen kenne ich gefühlt | |
jede Sanifair-Toilette zwischen Aschaffenburg und Nürnberg. | |
Als ich neulich wieder auf einer zuvor frisch gereinigten und in Folge | |
dessen irgendwie unangenehm feuchten Toilette saß, sprang mir ein | |
Werbeplakat, Größe DIN A 4, ins Auge. Es war ein Plakat der Firma selbst | |
und es legte mir nahe, mein Geschäft doch öfter in Sanifair-Einrichtungen | |
zu erledigen, weil das besonders nachhaltig sei. | |
Am Telefon erklärt mir ein sehr freundlicher Mitarbeiter der [1][Autobahn | |
Tank und Rast GmbH], die sich für die Toilettenanlagen sowie weitere | |
Raststättenangebote auf Deutschlands Autobahnen verantwortlich zeichnet, | |
das Thema Nachhaltigkeit verhalte sich bei Sanifair "vergleichsweise | |
unkompliziert". | |
Die mit dem Unternehmen kooperierende Werbeagantur beziehe sich vor allem | |
auf zwei Aspekte. Zum einen sei das in den Sanitairbereichen verwendete | |
Wasser umweltfreundlich, zum anderen die verwendeten Reinigunsmittel | |
biologisch abbaubar. Ein Nachhaltigkeitszertifikat habe man keines. "Es tut | |
mir leid, dass ich Ihnen keine Nachhaltigkeitsgeschichte erzählen kann", | |
entschuldigt er sich. | |
Es gibt aber durchaus Unternehmen, die ihr Geld mit Toiletten verdienen - | |
und Nachhaltigkeitsgeschichten erzählen können. Diejenigen etwa, die | |
alternative Toilettenmodelle verkaufen. Das beste Beispiel für ein solches | |
Modell ist die Humustoilette. | |
Die Idee der Humustoilette ist bald 36 Jahre alt. Oder noch älter. Oft wird | |
sie dem Künstler Friedensreich Hundertwasser zugeschrieben. Hundertwasser | |
hat sich in seinem Manifest "Scheißkultur – Die heilige Scheiße" intensiv | |
mit dem Thema Stoffwechsel auseinandergesetzt. Die Firma [2][Viva Verde] | |
hingegen gibt an, ihr Exemplar sei erstmals 1972, also drei Jahre vor der | |
vermeintlichen Erfindung durch Hundertwasser, in Erscheinung getreten. | |
Die Humustoilette muss nur alle paar Wochen geleert werden,denn die | |
Exkremente werden in einem Behälter gesammelt. Wer feuchten Humus | |
(alternativ auch anderen organischen Einstreu) über seine Hinterlassungen | |
streut, verhindert hier nicht nur den unangenehmen Geruch, sondern sorgt | |
auch dafür, dass diese verwertet werden können. Der Großteil der Fäkalien | |
wird natürlich zersetzt. Am Ende der Prozedur sind nur noch zehn Prozent | |
davon übrig: als Kompost. | |
## Keine Chemikalien, kein Strom, kaum Wasserverbrauch | |
Die Toilette wird so zu einer Art Recyclinginstrument, doch besteht der | |
Vorteil dieses Systems nicht einfach nur darin, dass man aus etwas, das | |
ansonsten einfach weggespült werden würde, einen Nutzen gewinnt. Man spart | |
auch unglaublich viel. Die Spülung etwa. Nach jedem Klogang wird eine große | |
Menge Wasser verbraucht - die hier komplett wegfällt. Und nicht nur die: | |
Man braucht auch keine Chemikalien, ja, nicht einmal ein Stromanschluss | |
wird für die Inbetriebnahme einer Humustoilette benötigt. | |
In Schweden haben die Ökotoiletten längst Einzug in öffentliche | |
Einrichtungen wie etwa Hotels gefunden. Hierzulande sieht es düsterer aus. | |
"Wir sind noch weit von skandinavischen Verhältnissen entfernt", sagt | |
Wolfgang Kühl, Geschäftsführer der Viva Verde GmbH, "hier hat man | |
vielleicht schon einmal von Komposttoiletten gehört, aber keine praktische | |
Erfahrung damit." | |
Kühl ist optimistisch, dass Humustoiletten künftig eine größere Rolle | |
spielen werden, als es aktuell der Fall ist. "Sie werden sich immer weiter | |
verbreiten. Das Bewusstsein für die sinnvolle Entsorgung wächst gewaltig." | |
Dennoch gilt es vorher, am Umweltbewusstsein der Menschen zu arbeiten. | |
"Ignoranz ist weniger das Problem", sagt Kühl, "eher ist die | |
Fäkaltentsorgung für viele ein Tabuthema, mit dem man nichts zu tun haben | |
möchte." | |
Und so unnachvollziehbar finde ich das auch gar nicht. Erst vor ein paar | |
Tagen habe ich mir wieder eine Rastmahlzeit gegönnt, die ich mit den vier | |
bei den letzten Fahrten angesammelten Wertbons bezahlte. Und am Ende macht | |
man sich halt doch mehr Gedanken darüber, was man sich mit diesen Bons | |
kaufen soll, als darüber, wie Fäkalien nachhaltiger entsorgen könnte. | |
4 Mar 2011 | |
## LINKS | |
[1] http://www.rast.de/unternehmen/unternehmensportrait/ | |
[2] http://www.humustoiletten.de/ | |
## AUTOREN | |
Jan-Niklas Jäger | |
## TAGS | |
Toilette | |
Klopapier | |
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