# taz.de -- Aus Unterfranken nach Äthiopien: Herr über die Komposttoiletten | |
> Eigentlich wollte Christoph Klietsch in Äthiopien als Schreiner arbeiten. | |
> Doch jetzt ist sein Ziel ein anderes: ein Waisenhaus, das sich komplett | |
> selbst versorgt. | |
Bild: Den Menschen in Äthiopien helfen, sich selbst zu helfen, das ist das Cre… | |
Es ist ein merkwürdiges Foto. Zum einen sind da die Kinder – sieben an der | |
Zahl. Ihr Alter ist schwer einzuschätzen für jemanden, der nicht in ihrem | |
Land lebt. Sie haben eine dunkle Hautfarbe und tausend kleine | |
Ringellöckchen. Ihre Kleider passen nicht richtig, sind zu groß oder zu | |
klein. Vier Kinder grinsen in die Kamera, die drei anderen schauen | |
skeptisch. Sicherlich werden sie nicht oft fotografiert. | |
Neben ihnen steht ein großer, schlanker Mann mit auffällig heller Haut, | |
rotblonden Haaren und Sommersprossen. Er trägt Shorts und T-Shirt und einen | |
großen Rucksack. Er ist schon oft fotografiert worden, selbst hier in | |
Äthiopien. Eigentlich kommt er aus Deutschland, aus Miltenberg in | |
Unterfranken. Sein Vater ist dort zweiter Bürgermeister. "Äthiopien | |
fasziniert mich", sagt Christoph Klietsch, wenn man ihn fragt, warum er | |
ausgewandert ist. "Ich liebe das Land und die Leute." | |
Äthiopien ist kein Einwanderland, nicht einmal ein Ferienland. Die | |
Bevölkerung ist arm, Nahrung und sauberes Wasser sind knapp. Sein altes | |
Leben war Luxus im Vergleich zu dem neuen Leben, das sich Christoph | |
Klietsch bewusst ausgesucht hat. Fünf Jahre ist es her, seit er Koffer und | |
Reiseplan packte, ins Flugzeug stieg und rund 5000 Kilometer nach Süden | |
flog. Er wollte der Hektik entfliehen und dem Stress. Den Wohlstand | |
vermisst er nicht. "Wenn ich Deutschland besuche, sehe ich, dass die | |
Menschen hier trotz des Reichtums – oder vielleicht gerade deswegen - nicht | |
glücklich sind", sagt Klietsch. "In Äthiopien ist das anders. Dort sind die | |
Menschen dankbar und fröhlich, obwohl es ihnen so viel schlechter geht." | |
Eigentlich wollte Klietsch in Äthiopien als Schreiner arbeiten, denn das | |
hatte er gelernt. Doch eine Anstellung fand er nicht. Stattdessen erfuhr er | |
von einem Waisenhaus, das dringend neue Betten brauchte - eine befristete | |
Aufgabe aber besser als nichts. Klietsch nahm das Angebot an, baute Bett | |
für Bett und lernte die Kinder kennen. Fast alle waren Aids-Waisen, manche | |
selbst mit dem Virus infiziert. Bevor sie im Waisenhaus aufgenommen wurden, | |
hatten sie gebettelt oder gestohlen, um zu überleben. Nun besuchten sie | |
eine private Schule, bekamen Unterricht in Bruchrechnen und Buchführung und | |
die Chance später arbeiten zu können. Aber der Platz im Haus war begrenzt. | |
Auf den Straßen lebten noch viele Kinder in Armut. Christoph Klietsch | |
beschloss zu helfen. | |
Ein Kinderhilfsprojekt suchte noch Mitarbeiter. Es galt einen weiteren Hort | |
für Waisenkinder zu bauen. Der Leiter war froh um den Deutschen, der mit | |
anpackte und einen großen Zukunftsplan hatte: Ein Kinderhort, der sich | |
selbst versorgte. Schritt für Schritt kamen die Visionäre ihrem Ziel näher. | |
Heute ist der Hort fast fertig. Besonderen Wert legen die Betreuer auf | |
Nachhaltigkeit, denn die Kinder sollen lernen, umweltbewusst und | |
wirtschaftlicher unabhängig zu leben. Neben Lesen, Schreiben und Rechnen | |
stehen auch "Komposttoiletten", "Regenwasserspeicherung" und "Gemüseanbau" | |
auf dem Stundenplan. | |
"Es ist fantastisch zu sehen, wie die Kinder aufblühen", sagt Klietsch und | |
lächelt. "Brook, der erste Junge im Hort, lebte auf der Straße und aß | |
Brotkrumen und Abfälle, die aus den Kneipen gekehrt wurden. Er war völlig | |
vernachlässigt, so dass er selbst mit acht Jahren nicht reden konnte oder | |
wollte." Heute geht Brook zur Schule, spricht normal und hat Spaß bei der | |
Gartenarbeit. Klietsch erzählt, dass in Äthiopien jedes zweite Kind | |
unterernährt sei. "Für mich gehen Entwicklungshilfe und Nachhaltigkeit Hand | |
in Hand", sagt er. "Nur mit Hilfe von Permakultur können die Menschen | |
lernen, sich selbst zu helfen." Permakultur bedeutet, das natürliche | |
Ökosystem nachzuahmen. Alternative Energieversorgung gehört genauso dazu | |
wie funktionierende soziale Strukturen. Alles orientiert sich dabei an drei | |
Richtlinien: Pflege der Erde, Pflege der Menschen und Pflege natürlicher | |
Ressourcen. | |
Ob er manchmal Heimweh nach Deutschland habe? Christoph Klietsch schüttelt | |
den Kopf. Äthiopien sei jetzt seine Heimat, sagt er. Er mache sich nur | |
Sorgen, dass viele Menschen in Äthiopien den westlichen Ländern der | |
Nordhalbkugel nacheifern wollen. "Sie möchten den gleichen Luxus, die | |
gleichen Lebensbedingungen. Das ist verständlich aber natürlich nicht | |
möglich." Und unter dem Umwelt-Aspekt sei es wahrscheinlich nicht einnmal | |
mehr erstrebenswert. | |
Am Umweltbewusstsein der äthiopischen Waisenkinder könnten verantwortliche | |
Politiker der großen Wirtschaftsländer ein Beispiel nehmen, findet | |
Klietsch. Um helfen zu können, verzichtet er selbst auf ein festes Gehalt | |
und ein schickes Haus. In Äthiopiens Hauptstadt Addis Adeba lebte er | |
mehrere Jahre in einem winzigen Lehmhaus – 80 Euro Miete monatlich. Vor | |
einiger Zeit ist er nach Awassa gezogen, hat eine Äthiopierin geheiratet. | |
Er spricht Amharish, zumindest "tinisch" – ein bisschen. Für seine Arbeit | |
hat er einen eigenen Leitsatz: "Kümmere dich um die Menschen, kümmere dich | |
um die Umwelt und gib anderen ab, was du zuviel hast." | |
7 Feb 2011 | |
## AUTOREN | |
Julia Lesch | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Verschwendung von Lebensmitteln: 20 Milliarden Euro für die Tonne | |
Ein Apfel mit Druckstelle, ein Joghurt kurz vor dem Verfallsdatum - | |
Lebensmittel, die eigentlich nicht in den Müll gehören. Doch keiner kauft | |
sie mehr. | |
Reverse Graffiti: Putzmittel statt Spraydose | |
Aus Schmutz wird Kunst: Beim Reverse Graffiti wird dreckiger Beton zur | |
Leinwand für flüchtige Kunstwerke. Als Werkzeug dient auch schon mal eine | |
Zahnbürste. | |
Alternatives Wohnen für Senioren: Der Lieblingssessel darf mit | |
Wohngemeinschaften als Wachstumsmarkt: Immer mehr Senioren entscheiden sich | |
gegen ein Altenheim und für eine WG. Ein Besuch im "Haus Emma". | |
Essen für den Klimaschutz: Darf's ein bisschen vegetarisch sein? | |
Es könnte so einfach sein: Alle verzichten einmal in der Woche auf Fleisch | |
und schon würden die CO2-Emissionen verringert. Doch der Mensch ist beim | |
Essen eigen. | |
Schule der Zukunft: Einmal im Rollstuhl des anderen fahren | |
Nachhaltiges Lernen an Schulen umfasst mehr als Mülltrennung oder | |
Energieeffizienz. Auch der soziale Aspekt von Nachhaltigkeit soll unter | |
Schülern gestärkt werden. | |
Abwasserreinigung auf dem Dach: Pflanzen sorgen für sauberes Wasser | |
Abwasser ohne Chemie klären, dabei das Klima schonen und Geld sparen. Was | |
sich anhört wie eine Zukunftsvision, ist bereits Realität. Bald auch für | |
Privathaushalte? | |
Ausverkauf des Alpenraums: Alpines Disneyland | |
Hängebrücken, Aussichtsplattformen, Berg-Erlebnisparks: Die Alpen | |
entwickeln sich zum Mekka für spaßorientierte Touristen. Gegen die | |
Entwicklung regt sich Widerstand. |