# taz.de -- Verhandlungen um Hartz IV: Das große Geschachere | |
> Schuld sind immer die anderen! Nur darauf können sich Regierung und SPD | |
> nach den geplatzten Verhandlungen einigen. Am Freitag wird dennoch im | |
> Bundesrat abgestimmt. | |
Bild: Im Duell: Manuela Schwesig (li) und Ursula von der Leyen. | |
Nachdem die Verhandlungen in der Nacht zum Mittwoch endgültig gescheitert | |
waren, feuerten Union und SPD rhetorisch aus allen Rohren. "Beschämende | |
Parteitaktik", attestierte CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe Rot-Grün. Die | |
SPD, beschwerte sich CDU-Verhandler Peter Altmaier, habe maßlos immer mehr | |
gefordert: mehr Leistungen für die Hartz-IV-Kinder, mehr | |
Schulsozialarbeiter, gleiche Bezahlung für Leiharbeiter (Equal Pay) und | |
schließlich einen höheren Regelsatz für Hartz-IV-Empfänger. | |
Die SPD habe die Einigung "aus rein ideologischen Gründen" boykottiert, | |
sagte Altmaier. Die Verhandlungsdelegation, so die Unionsthese, sei von | |
SPD-Chef Sigmar Gabriel ferngesteuert worden, der keine Einigung wollte, um | |
die Stärke der SPD zu demonstrieren. "Die haben", so ein CDU-Mann, "die | |
ganze Nacht nur nach Auswegen gesucht, um Nein sagen zu können". | |
Von SPD-Seite klingen die Vorwürfe gleich. Die SPD, so deren | |
Verhandlungsführerin Manuela Schwesig, sei weit über ihre "roten Linien" | |
hinausgegangen, um eine Einigung zu ermöglichen. Bei den | |
Schulsozialarbeitern sei man auf die Zahl von 5.000 heruntergegangen. Bei | |
den Leiharbeitern, für die die SPD gleichen Lohn nach einem Monat forderte, | |
habe man eine Frist von vier Monaten angeboten, um Schwarz-Gelb eine Brücke | |
zu bauen. Die FDP habe indes zu allem kategorisch Nein gesagt. | |
Eigentlich habe man, so ein SPD-Spitzenfunktionär, mit drei Parteien | |
verhandeln müssen, mit CDU, FDP und CSU, die sich untereinander keineswegs | |
einig waren. Genau deshalb, so die rot-grüne Lesart, waren die | |
Verhandlungen zum Scheitern verurteilt. Denn eine Einigung hätte bedeutet, | |
dass sich die Union mal wieder mit der FDP verkracht hätte, die nur auf der | |
Bremse stand. | |
Einen internen Koalitionskrach habe Kanzlerin Angela Merkel, die sich in | |
den Deal eingeschaltet hatte, um jeden Preis verhindern wollen. Merkel, so | |
Schwesig, sei eine "eiskalte Machtpolitikerin", die lieber | |
Rechtsunsicherheit für die Betroffenen und Bildungsmangel für | |
Hartz-IV-Kinder in Kauf nimmt als einen Konflikt in der Koalition. | |
Genau vor einem Jahr hatte das Bundesverfassungsgericht der Regierung | |
aufgetragen, den Hartz-IV-Satz künftig transparent zu ermitteln. Im Herbst | |
2010 hatte Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) 364 Euro monatlich | |
errechnen lassen: 5 Euro mehr als zuvor. Die SPD hatte diese Kalkulation | |
als nicht verfassungsfest verworfen und einen eigenen Satz in Höhe von 370 | |
Euro errechnet. | |
Die Höhe des Hartz-IV-Regelsatzes war ein wesentliches Hindernis bei den | |
sieben Verhandlungsrunden. Die Union hatte am Ende statt einer generellen | |
Erhöhung des 364-Euro-Satzes einen kompliziert zu ermittelnden | |
Mobilitätszuschlag für bestimmte Hartz-IV-Empfänger angeboten. Der wäre dem | |
Staat wahrscheinlich teurer gekommen als die von der SPD geforderte | |
generelle Erhöhung des Regelsatzes auf 370 Euro. | |
Die SPD hatte den Unions-Vorschlag abgelehnt - mit dem Argument, dass damit | |
die Rechtsunsicherheit noch größer werde, weil unklar wäre, welche | |
Hartz-IV-Empfänger Anspruch auf diesen Mobilitätszuschlag hätten und welche | |
nicht. Im Klartext: Schwarz-Gelb wollte keinen Cent mehr als 364 Euro | |
Regelsatz, die SPD genau dies unbedingt, um einen Erfolg vorweisen zu | |
können. | |
Gescheitert sind die Verhandlungen wohl auch, weil die Verhandlungsmasse | |
immer größer und komplexer geworden war. Schwarz-Gelb bot ein Bildungspaket | |
an, mit dem die Kommunen entlastet und geködert werden sollten. Außerdem | |
wurde neben der Hartz-IV-Höhe über eine Grundsicherung für arme Rentner, | |
über Mindestlöhne und Equal Pay verhandelt. Bei den komplexen | |
Finanzierungen waren nicht nur die Kommunen, sondern auch die Bundesagentur | |
für Arbeit involviert. | |
Am Freitag wird der Bundesrat über das schwarz-gelbe Gesetz abstimmen - und | |
es voraussichtlich ablehnen. Denn im Bundesrat verfügt Schwarz-Gelb über | |
keine Mehrheit. Die Union hofft allerdings, dass die Grünen im Saarland im | |
letzten Moment noch umkippen könnten oder dass das finanziell klamme | |
Sachsen-Anhalt, wo CDU und SPD regieren, sich umentscheiden könnte. In den | |
Reihen der SPD ist man sich dagegen sicher, das die rot-grüne Front steht. | |
9 Feb 2011 | |
## AUTOREN | |
Stefan Reinecke | |
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