# taz.de -- Projekt gegen Kriminalität in Kolumbien: Die weißen Häuser von S… | |
> Weiße Farbe gegen exzessive Gewalt: Diego, Carlos und Miguel streichen | |
> Häuserwände an. So kämpfen sie gegen die Kriminalität in Cali, einer der | |
> gefährlichsten Städte der Welt. | |
Bild: Siloé, eines der Armenviertel in Cali, zählt zu den gewalttätigsten Or… | |
CALI taz | Morde am helllichten Tag sind in Siloé, dem Armenviertel von | |
Cali, einer südamerikanischen Millionenstadt im Süden von Kolumbien, an der | |
Tagesordnung. Raubüberfälle auf offener Straße gehören zur Normalität, und | |
dass 15-Jährige Polizisten erschießen, ist nichts Außergewöhnliches. Was in | |
dem Film "Dr. Alemán" des Regisseurs Tom Schreiber, der im Jahr 2008 hier | |
gedreht worden ist, Fiktion war, ist heute, mehr noch als früher, brutale | |
Realität. | |
Der Film erzählt die Geschichte eines deutschen Medizinstudenten, der sein | |
praktisches Jahr als Arzt in Siloé absolviert und schon an seinem ersten | |
Arbeitstag im OP zu spüren bekommt, wie sehr Gewalt den Alltag prägt. Im | |
Jahr 2011 bestimmen rivalisierende Banden, Drogen und Kriminalität den | |
Stadtteil von Cali so sehr, dass sich kaum ein Kolumbianer dorthin traut. | |
Selbst die Caleños, die Ureinwohner von Cali, haben Angst, hierherzukommen. | |
Siloé zählt zu den weltweit gewaltträchtigsten Orten. Der Stadtteil | |
erstreckt sich über einen Hügel im Westen der Stadt. Hier leben zwischen | |
200.000 und 240.000 Bürgerkriegsflüchtlinge. Keiner hat sie je gezählt, und | |
es werden immer mehr. Kolumbianische Untergrundkämpfer nutzen dieses | |
Flüchtlingsghetto als Unterschlupf und Rückzugsgebiet, um unterzutauchen. | |
Guerillagruppen wie die Farc oder die M19 wurden hier gegründet und | |
rekrutieren aus dem Viertel ihre Mitglieder. Am Tag sind sie nicht zu | |
erblicken, die Guerilleros, die Paramilitärs und all die anderen | |
bewaffneten Gruppen. Auf den ersten Blick herrscht trügerische Ruhe, denn | |
gekämpft wird aus dem Untergrund - und jeder kämpft gegen jeden. | |
Einige der Bewohner von Siloé, darunter Statisten des Films, wollen das | |
ändern. Gesprächspartner zu finden, die über das Projekt berichten, ist | |
schwierig. Ein gemeinsames Treffen mit allen Beteiligten ist nicht machbar, | |
alle haben Angst. Jeder misstraut jedem. | |
Wer über Siloé berichten will kommt an David nicht vorbei. Er wohnt hier | |
und kennt jeden. Und jeder kennt ihn. Auch er hat, wie die meisten | |
Bewohner, eine gewalttätige Vergangenheit hinter sich. Jetzt lebt er für | |
die Gemeinde und hat seinen eigenen Weg gefunden, der Gewalt etwas | |
entgegenzusetzen. Er bietet Touren durch Siloé an, ohne dafür Geld zu | |
nehmen. Manche sind peinlich berührt, wenn Armut wie in einem Zoo | |
vorgeführt wird. Aber David wandert in erster Linie mit ausländischen | |
Touristen durch das Viertel, um den Bewohnern von Siloé zu zeigen: Die Welt | |
hat ein Auge auf das, was hier passiert. Es lohnt sich, Veränderungen | |
durchzusetzen. Sein Motto: Je mehr Öffentlichkeit, desto weniger Gewalt. | |
Keine Hilfe | |
Wer sich mit David zeigt, hat einen gewissen Schutz. Von einer | |
Zusammenarbeit mit der Polizei hält er nichts, das lehnt er strikt ab, denn | |
die Polizei sei machtlos und teilweise selbst in die Auseinandersetzungen | |
verstrickt. Dort finde man weder Freunde noch Helfer. In Kolumbien ist die | |
Polizei ein wesentlicher Teil des staatlichen Machtapparats und untersteht | |
dem Verteidigungsminister. Von solchen Strukturen und solchen Beamten könne | |
keiner der Bewohner wirklich Hilfe erwarten. Für David ist das System durch | |
und durch korrupt. Weil die Polizisten selbst schlecht bezahlt seien, sei | |
es kein Wunder, dass manche ihr Einkommen durch Schutzgelder aufbessern. Wo | |
Uniformierte auftauchen, würden sie Angst und Hass verbreiten. | |
Doch auch unter diesen ändert sich manches, wenn auch nur behutsam. Für | |
Uniformierte gilt in Kolumbien ein gewerkschaftliches Organisationsverbot, | |
aber einige wenige haben sich in Asodefensa organisiert, der Gewerkschaft | |
der Zivilbeschäftigten des Verteidigungsministeriums und des Militärs. | |
Darunter gibt es Jüngere, die versuchen, die Sprachlosigkeit zwischen den | |
Beteiligten zu überwinden. Hoffnung haben sie allerdings kaum. Das | |
bestätigt auch der zuständige Polizeikommandant Víctor Martínez Potilla. Er | |
berichtet, dass es in Siloé nur 60 Polizisten gibt, die in fünf Patrouillen | |
eingeteilt sind. Seine Beamten befinden sich im offenen Bandenkrieg mit der | |
organisierten Kriminalität. Zurzeit sitzen in seinem Distrikt 30 Mörder in | |
Arrestzellen. | |
Eine wichtige Rolle spielt Vivian Armitage, die Tochter eines der größten | |
Stahlproduzenten in Kolumbien. Zu Hause empfängt sie niemanden. Vermutlich | |
aus Sicherheitsgründen. Ihr Vater wurde 1986 entführt, in Siloé gefangen | |
gehalten und wahrscheinlich durch ein hohes Lösegeld freigekauft. Sie kommt | |
aber ins Stahlwerk ihres Vaters am Rande der Stadt, in einem gepanzerten | |
Fahrzeug und mit Personenschutz. | |
Statt Gewalt mit Gegengewalt zu vergelten, haben sie und ihre Schwester | |
nach der Entführung die Stiftung "Sidoc" gegründet, um Initiativen zu | |
unterstützen, die sich für Gewaltfreiheit einsetzen. Inzwischen fließen | |
jedes Jahr 15 Prozent des Konzerngewinns in die Stiftung. Vivian Armitage | |
fordert mehr ihrer Landsleute zu solcher Hilfe auf. "Alle müssen sich | |
einbringen, um die Gegebenheiten, wie sie im Moment sind, zu ändern. Mehr | |
Private müssen sich einbringen, denn Gewalt ist das Ergebnis von | |
Ungleichheit." | |
Dank ihres Engagements hat sich in den letzten Jahren in Siloé einiges | |
sichtbar verändert. Viele der Hütten unterscheiden sich von denen in | |
anderen südamerikanischen und kolumbianischen Städten. Zumindest von außen | |
betrachtet. Normalerweise stehen Parolen an den Wänden, die zum Kampf | |
aufrufen, zu Hass und Gewalt und Auseinandersetzungen provozieren. In Siloé | |
sind solche Parolen aus dem Straßenbild verschwunden, immer mehr Wände sind | |
weiß, ein äußeres Zeichen der Abkehr von Gewalt. Es ist ein gemeinsames | |
Projekt von Sidoc mit der Fundación Nueva Luz und La Asociatión Centro | |
Cultural La Red: Siloé Visible - Siloé sichtbar machen - Siloé verändern - | |
Siloé eine neue Farbe geben. | |
Die Maler | |
Drei, die das umsetzen, sind Diego Torres, Carlos Mosqera und Miguel Ángel | |
García. Auch sie gehörten früher zu kriminellen Banden, die sich | |
gegenseitig mit Waffen bekämpften. Heute bilden sie die Gruppe der Maler | |
und streichen denen die Häuser weiß, die der Gewalt abschwören. Dazu gehört | |
auch Yolanda Diaz. Sie backt vor ihrer Hütte Arepas, kleine, runde | |
Teigfladen aus aufgekochtem Maisbrei. Mit dem Verkauf kann sie ihre Familie | |
mehr schlecht als recht ernähren. Ihre Straßenküche ist ein wichtiger | |
Treffpunkt. Was hier passiert, findet Beachtung und wird im doppelten Sinne | |
weitergetragen. Das wissen die drei. Wenn sie Yolanda Diaz überzeugt haben, | |
ihr Haus weiß streichen zu lassen, ist eine weitere Etappe auf dem Weg zu | |
mehr Frieden in Siloé geschafft, dann werden weitere Bewohner folgen. | |
Miguel argumentiert: "Wir Bürger dürfen uns nicht mehr länger alles | |
gefallen lassen. Wir müssen der Stadt, der Farc, den Contras und der | |
Guerilla zeigen, dass sich in Sachen Gewaltfreiheit etwas von unten tut. | |
Wenn Sie der Gewalt abschwören, werden die Jungs jetzt Ihr Haus weiß | |
streichen, damit jeder Nachbar sieht: wieder eine Familie mehr, die sich | |
gegen Waffengewalt stellt." Yolanda Diaz stimmt zu, ihr Haus soll weiß | |
werden. Ein neues mutiges sichtbares Bekenntnis dazu, die eigenen Waffen zu | |
vernichten und Bewaffneten künftig die Unterstützung zu verweigern. | |
Mit dieser Aktion demonstriert die Malertruppe zugleich, dass die Bürger | |
von Siloé ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen. Weiß, die Farbe des | |
Friedens, in einem Stadtteil der Kriminalität. Ein starkes Symbol. Wenn | |
ehemals verfeindete Nachbarn und Gangs ihre Häuser heute gemeinsam weiß | |
streichen, entsteht aus dem Nichts eine Gemeinschaft. | |
Und noch einen Effekt hat das: Aus der Aktion ist inzwischen der | |
Malerbetrieb Silopinta entstanden. Jungen und Mädchen aus dem Viertel | |
werden dort in der Herstellung von Farben ausgebildet und können den | |
Malerberuf erlernen. Das bietet Jugendlichen nicht nur eine | |
Berufsperspektive, sondern ist gleichzeitig ein Beitrag zur | |
wirtschaftlichen Entwicklung des Viertels. Jeder der Bewohner von Siloé hat | |
begriffen, dass die Malertruppe eine ungewöhnliche und zugleich mutige | |
Aktion durchführt. Jene, die hier tatsächlich die Macht ausüben, empfinden | |
die Aktion als Provokation. Wer sein Haus noch nicht gestrichen hat, gerät | |
in Erklärungszwang. Genau das wollen die Initiatoren. | |
10 Feb 2011 | |
## AUTOREN | |
Uli Röhm | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Schule in Kolumbien: Unter mörderischen Bedingungen | |
Nirgendwo auf der Welt ist Schule so gefährlich. Denn oft sind es die | |
engagierten Lehrer, die in die Schusslinie von Paramilitärs, Guerillas und | |
kriminellen Banden geraten. | |
Kokain-Container am Mittelmeer: Die Kathedrale der Mafia | |
Gioia Tauro ist der größte Containerhafen am Mittelmeer - und wird | |
kontrolliert von der Mafia. Mit den Containern kommt die weiße und heiße | |
Ware: das Kokain. | |
Drogenkrieg in Mexiko: Offene Schlacht | |
In einigen Grenzstaaten arbeiten Banden, Sicherheitskräfte und Politiker | |
zusammen. Aber nicht immer ist klar, wer gegen wen kämpft. Klar ist nur, | |
dass Zehntausende sterben mussten. | |
Drogenkrieg in Guatemala: Mit Ausnahmezustand gegen das Kartell | |
Präsident Álvaro Colom will die nördliche Grenzprovinz Alta Verapaz dem | |
Griff der "Zetas" entreißen. Dort hat jetzt die Armee das Sagen. | |
Entspannungspolitik in Mittelamerika: Chávez und Santos mit netter Geste | |
Guerilleros hin, Drogenhändler her - der venezolanische Präsident und sein | |
kolumbianischer Amtskollege tauschen Gefangene aus. Das Verhältnis wird | |
besser. |