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# taz.de -- Jura-Studenten über Guttenberg: Gnade für den Zitatedieb
> Guttenberg verzichtet auf seinen Doktortitel. Aber Hunderttausende
> solidarisieren sich mit ihm. Unter ihnen viele der zitierfreudigen
> Juristen am Freiburger Seminar.
Bild: Sie nennen es Arbeit: Aktenberg.
Freitagnachmittag im Lesesaal. Wenn ich aufblicke, hindern Bücher meinen
Blick daran, in die Ferne zu Schweifen. Zwei Stühle weiter lässt sich der
Ansatz geflochtenen Haares erkennen, der Rest des Zopfs bleibt von einem
Strafgesetzbuch verdeckt. Die junge Adlige aus Mitteldeutschland. Wir
beschäftigen uns im Seminar gerade mit Urkunden und Betrugsfällen.
Hausarbeitszeit im Seminar der juristischen Fakultät Freiburg. Spätestens
zu diesem Zeitpunkt hat selbst die Bild eingesehen, dass ihr Liebling und
Verteidigungsminister "Dr." Freiherr zu Guttenberg vom Platz ganz unten im
Scrollbereich der Bild-Online zum Aufmacher aufsteigen muss.
Einfügen, Fußnotenzeichen. "Unbefugt handelt, wer mangels Innehabung des
Amtes, Verleihung des Titels oder der Würde …" So zitiere ich und lege den
Zweikilowälzer zur Seite. Wenn ich die 20 Seiten ausdrucke, werden sich 100
solcher Zitate in meiner Hausarbeit finden. Die Fußnoten werden einen
beträchtlichen Teil der Arbeit ausmachen. Diese Nachweise sind es, die
jetzt zum Guttenberg-Gate, zur Diskussion über Sinn und Unsinn der
Doktorwürde und zu Internetwikis wie [1][GuttenPlag] führen. Dort werden
alle Plagiatsvorwürfe zu KTs Doktorarbeit gesammelt. Die Liste ist lang.
Mit Fundstellen auf inzwischen 70 Prozent der Seiten, stellt GuttenPlag die
"wissenschaftliche" Arbeit in Frage.
Gedankenverloren öffne ich meinen Internetbrowser. Erst einmal fünf Minuten
Abwechslung. Fast schon automatisch wandert der Cursor zur
Schnellstartleiste, Facebook. "Original Zu-Googleberg-Tastatur zu
ersteigern", schreibt Henning. Der Auktionator will 125 Euro für ein
Tastaturenskelett, eine, die außer den schwer umstrittenen Strg + C +
V-Tasten, alle Eingabeklötzchen verloren hat. Zu teuer! "Copy-Paste" nennt
sich diese Zwei-Finger-Variante. Für "entspanntes Arbeiten und
Dissertationen mit zwei Fingern" preist der Inserent die Tastatur an.
Copy-Paste ist das Prinzip, das schon bei Schulreferaten zu der ein oder
anderen erklärungsbedürftigen Situation führte, wenn einmal mehr eine
Zusammenfassung mit Google-Werbeanzeigen ausgeteilt wurde. Doch so plump
ist der Fall hier nicht.
Ich scrolle nach oben. Facebook signalisiert mir fünf "Neueste Meldungen".
Stephanie und mittlerweile zwanzig weiteren Freunden gefällt diese Gruppe:
"Gegen die Jagd auf Dr. Karl-Theodor zu Guttenberg". Was, denke ich: Jagd?
Freunde? - Ich schaue mich um und sehe hinter weiteren Bücherstapeln glatt
gestriegelte Haare und Karo-Hemden. - Ach ja, die Freunde, denke ich, und
schaue mir die Anti-Jäger an.
7.032 Personen schlagen sich zur Nachmittagszeit auf die Seite des
Verteidigungsminister, am Ende meiner Recherche werden es über 193.000
Freunde von KT sein. Guttenbergs Jünger nennen, was ihr Vorbild gemacht
hat, Lappalien, sie schreiben von Sünden und "Ersten Steinen", sie
skandalisieren die Neider. Vor allem auf pures politisches Kalkül der
Opposition wird abgestellt und dies, obwohl sich SPD und Co. erstaunlich
zurückhalten.
Gleichzeitig haben Meinungsmacher wie Spiegel, Zeit und "Tagesschau" ihre
Alltagsarbeit scheinbar eingestellt. Aufmacher werden im Klickrhythmus
aktualisiert, mit frischen Kommentaren schießen sich alle auf everybodies
darling ein.
"Zu Recht?", frage ich meine adlige Kommilitonin später bei einem Latte
macchiato. Verlegen schüttelt sie den Kopf. "Bei so einer langen Arbeit
könne das doch mal passieren", sagt sie. Und fügt hinzu, dass ihre
"Hausarbeiten wahrscheinlich auch noch nie einwandfrei zitiert" waren.
Gnade für den Zitate-Dieb.
5 Tage später wird Guttenberg ankündigen, auf seinen Doktortitel zu
verzichten - freiwillig und für immer. Meine Juristenkollegen lässt das
mehrheitlich kalt. Der Titel interessiert schon nicht mehr. Ihnen geht es
um die Person. "Überragend" sei er, eine Ausnahmeerscheinung. "Ohnehin ist
es naiv, zu glauben, Politiker sind von Grund auf ehrlich", sagt einer,
"deshalb muss man mit inflationären Rücktrittsforderungen vorsichtig sein."
Ein anderer meint, "ein Politiker, der so viel geleistet hat und
Deutschlands fähigster Minister ist, darf nicht aufgrund eines Fehlers
abgesägt werden".
Als die Diskussion abebbt und die Bücherreihen zu braunen Bahnen
verschwimmen, widme ich mich Fußnote 37: "Akademische Grade sind von einer
Hochschule verliehene Bezeichnungen, die für besondere wissenschaftliche
Leistungen oder Verdienste vergeben werden."
22 Feb 2011
## LINKS
[1] http://de.guttenplag.wikia.com/wiki/GuttenPlag_Wiki
## AUTOREN
Constantin Hoferer
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