# taz.de -- Verteidigungsminister Guttenberg a.D.: Die letzte Show | |
> Durch Glaubwürdigkeit und Geradlinigkeit wollte er anders sein, nun ist | |
> Guttenberg gescheitert. Im letzten Auftritt verrät er sich als | |
> hochmütiger Märtyrer. | |
Bild: In Selbstdarstellung - fast - perfekt: der unglaubliche Herr Guttenberg a… | |
BERLIN taz | Es ist Dienstagmorgen, als in den Buchläden des Landes eine | |
besondere Biografie erscheint, die von Karl-Theodor zu Guttenberg. Auf der | |
letzten Seite dieses Buches arbeiten die Autoren Eckart Lohse und Markus | |
Wehner mit einem Bild, das den Politiker Guttenberg als Lichtgestalt | |
beschreibt. Da kommt der junge Adlige aus Oberfranken zum verdrossenen Volk | |
sein Schloss hinabgestiegen, zwinkert und sendet die Botschaft: Ich bin | |
der, auf den ihr gewartet habt. | |
Es ist derselbe Dienstagmorgen, als Karl-Theodor zu Guttenberg ganz ohne | |
Fiktion die Treppen in einem fast ebenso stattlichen Gebäude, dem Berliner | |
Bendlerblock, gen Säulenhalle hinabgestiegen kommt. Er hüpft die letzten | |
Stufen abwärts, selbst heute, an diesem Tag. Und er schafft es auch noch zu | |
zwinkern, indem er die wartenden Journalisten mit einem "Grüß Gott" | |
begrüßt. Ich bin's - ein letztes Mal. Der Verteidigungsminister, auf den | |
ihr gewartet habt. | |
Doch der Auftritt des realen Guttenberg hat gar nichts mehr mit dem | |
übermenschlichen Schlossherrn zu tun, mit dem das Buch endet. Die | |
Lichtgestalt ist an diesem Tag unten angekommen. | |
Es ist das schnelle Ende, der letzte Abstieg eines Verteidigungsministers, | |
dessen nahezu gesamte politische Karriere sich in nur zwei Jahren | |
abgespielt hat. Die ihn höher getragen hat als jeden anderen Politiker in | |
allen Bundeskabinetten der vergangenen Jahre, sogar als Bundeskanzler wurde | |
er gehandelt. Ein Mann, der virtuoser mit den Medien spielte und häufiger | |
mit Rücktritt drohte als Gerhard Schröder, der beliebter war als der | |
Außenminister, die Bundeskanzlerin und alle seine Amtsvorgänger, der | |
unantastbarer schien als Joschka Fischer und zudem jung, gutaussehend, | |
höflich und ein glänzender Redner war. | |
## "Ruhe!", mahnt ein Offizier | |
Es ist 11.15 Uhr am Dienstag, kurz vor Guttenbergs Auftritt, als ein | |
Offizier im Verteidigungsministerium die Journalisten zur Ruhe mahnt. Im | |
Obergeschoss der Säulenhalle haben sich einige Beamte an der Empore | |
versammelt, um zu beobachten, wie der Hausherr zurücktreten wird. Unten | |
wieseln die spät abgekommenen Journalisten rund um die bereits postierten | |
Kollegen, der Platz in der engen Halle reicht nicht von jedem Punkt aus für | |
einen anständigen Blick auf die Sorgenfalten und Schweißperlen, die sicher | |
gleich den Minister zeichnen werden. | |
Es wird Guttenbergs letzte große Show. Sie fügt sich ein in das Bild, das | |
der Minister in den vergangenen Wochen, besonders in den zwei Krisenwochen | |
abgegeben hat. Er stilisiert sich als verletzlichen Mann, der an den Rand | |
seiner Kräfte gekommen ist. Er stellt sich vor die "engstens ans Herz | |
gewachsene Truppe", die es nicht verdient habe, dass alle Aufmerksamkeit | |
nur noch "der Person Guttenberg" gilt. Er reflektiert scheinbar | |
selbstkritisch seine eigene Rolle in dem Medienhype um ihn, zu dem er | |
"selbst viel beigetragen" habe. | |
Er spielt auch in diesem Moment wieder den Hüter der Moral, indem er sagt, | |
dass sein später Rücktritt auch eine Frage des Anstandes ist, "zunächst die | |
drei gefallenen Soldaten (in Afghanistan) mit Würde zu Grabe zu tragen". | |
Verletzlichkeit. Verantwortung. Selbstkritik. Moral. Anstand. So in etwa | |
funktionierte der typische Gegenangriff des Verteidigungsministers | |
Guttenberg während der Plagiats-Affäre der letzten Wochen. | |
Guttenberg hat viele Fehler gemacht in dieser Affäre. Der größte war, die | |
früheren nur scheibchenweise einzugestehen. Seine Erklärungen nahmen den | |
langen Weg vom Wort "abstrus" über "Blödsinn, den ich geschrieben" habe, | |
bis zum Rücktritt. Er schickte seinen Sprecher vor die Presse und ließ | |
ausrichten, dass die interessanten Informationen im selben Moment im | |
Verteidigungsministerium nur für Auserwählte zu hören waren. | |
Guttenberg hat viele dieser Entscheidungen impulsiv getroffen, ohne | |
Absprachen. Er hatte nie enge Vertraute in der Politik, er baute nicht auf | |
ein Netzwerk mit den Kollegen. Guttenbergs engster Verbündeter war immer | |
das Volk. Er leitete den Druck der Massen um auf die, die ihm Böses | |
wollten. So schaffte er es auch, ohne fertiges Konzept die Bundeswehrreform | |
anzustoßen und die Wehrpflicht auszusetzen - über Jahrzehnte in der Union | |
ein undenkbarer Schritt. | |
## Niemand hat sich getraut, dem Volkeswillen zu widersprechen | |
Niemand aus den eigenen Reihen wagte, ihn nun in der Krise anzugreifen, | |
denn er würde Verachtung zu spüren bekommen. Die Reaktion des Volkes, das | |
sich des politischen Hoffnungsträgers beraubt gesehen hätte. | |
Darin liegen auch die Gründe, dass die Affäre Guttenberg so lange gedauert | |
hat - trotz der außergewöhnlich schweren Anschuldigungen. Niemand aus der | |
Regierungskoalition hat sich ernsthaft getraut, dem Volkeswillen zu | |
widersprechen. Auch kurz vor dem Rücktritt war die Zahl der Kritiker | |
überschaubar. Sie waren zudem entweder altgedient, sehr vorsichtig oder | |
unpolitisch. | |
Selbst die Opposition verzweifelte an dem Fall Guttenberg. Wer in den | |
letzten zwei Wochen die SPD-Speerspitzen Sigmar Gabriel oder Thomas | |
Oppermann begleitete, traf auf zweifelnde und ratlose, zeitweise | |
nachdenkliche Politiker, die ansonsten vor allem durch Polterei auffallen. | |
Auch in der Opposition wollten sie nicht verantwortlich für diesen Sturz | |
sein. Die Angriffe kamen knapp dosiert. | |
Dass Guttenberg doch noch über die Affäre stolperte, hat verschiedene | |
Ursachen. Es war eine Mischung aus nicht enden wollender Kritik aus der | |
Wissenschaft, die in der schonungslosesten Form gerade vom Staatsrechtler | |
Oliver Lepsius geäußert wurde - von Guttenbergs Uni in Bayreuth also. Dazu | |
hielt sich in Unionskreisen das Gerücht, dass zwischen der | |
Bundesvorstandssitzung am Montag und dem telefonischen Rücktrittsgesuch des | |
Ministers bei Kanzlerin Merkel am Dienstagmorgen dem Verteidigungsminister | |
weitere pikante Details eröffnet wurden. So soll auch der Immunitätsschutz | |
des Abgeordneten infrage gestanden haben, nachdem sich die Klagen auf | |
Urheberrechtsverletzungen häuften. Schließlich folgte fachliche Kritik an | |
seinem Konzept zur Bundeswehrreform, das im Kanzleramt als unzureichend | |
angesehen wurde. | |
Jetzt ist der Aufstieg des Politikers Guttenberg also erst einmal gestoppt. | |
Horst Seehofer und Angela Merkel können sich zurücklehnen - ihr größter | |
Konkurrent als bayerischer Ministerpräsident und im Bundeskanzleramt wird | |
auf absehbare Zeit in der Spitzenpolitik keine Rolle mehr spielen. Es | |
werden sich auch andere freuen: die verdrängten fränkischen CSU-Politiker | |
zum Beispiel oder die vielen Fachpolitiker, die nach dem Sturz des | |
Oberdarstellers hoffen können, dass der Bevölkerung die Lust nach | |
übertriebenem Charisma in der Politik erst einmal ausgegangen ist und der | |
Typ Aktenfresser eine zweite Chance bekommt. | |
Wahrscheinlich kommt es anders. Denn die Mehrheit der Deutschen stand bis | |
zum Schluss zu ihrem Karl-Theodor. Guttenberg wusste das. Sein | |
Rücktrittszeitpunkt ist die letzte Möglichkeit zum Märtyrer-Schicksal, das | |
er jetzt gewählt hat. Er hat sich noch einmal abgegrenzt von den Medien und | |
der Politik. Er hat sich noch ein letztes Mal höher gestellt und dabei | |
Bescheidenheit vorgegaukelt. | |
Der Antipolitiker Guttenberg, der nie woanders gearbeitet hat als in der | |
Politik, ist mit diesem Auftritt Geschichte. | |
Dann war er weg, so schnell, wie er erschienen ist. | |
1 Mar 2011 | |
## AUTOREN | |
Gordon Repinski | |
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