# taz.de -- Stuttgart 21 verdrängt Waggonstadt: Das Ende der Narrenfreiheit | |
> Abschied aus der Waggonstadt: Eine Künstlerkolonie, die in der Zeit des | |
> Wartens auf Stuttgart 21 entstand, muss jetzt den Bauarbeiten weichen. | |
> Die Künstler reagieren gelassen. | |
Bild: Subkultur abseits von Schlossplatz und Königsstraße: Die Waggonstadt in… | |
STUTTGART taz | Bei Stuttgart 21 geht es bekanntlich nicht nur um einen | |
Bahnhof. Die Projektträger schielen vor allem auf die frei werdenden | |
Gleisflächen, die wegen der Stuttgarter Kessellage höchst begehrenswert | |
sind. Doch es werden nicht nur neue Flächen geschaffen. Mit den Gleisen | |
muss in Stuttgart auch eine Kunstszene den Bauarbeiten weichen, die in 20 | |
ausrangierten Eisenbahnwaggons gelebt hat. | |
Es ist eine kleine chaotische, liebenswürdige Welt, die sich seit zwölf | |
Jahren am Stuttgarter Nordbahnhof entwickelt hat. Direkt neben einem | |
Schrottplatz haben sich Künstler mit Ateliers, Wohnungen, Bühnen und Bars | |
in den Waggons eingenistet. Ursprünglich war die Anlage 1999 als | |
Arbeitsplatz für Architekturstudenten auserwählt worden. Doch schnell | |
stießen auch andere freischaffende Künstler dazu, und so entwickelte sich | |
ein besonderer Ort der Subkultur abseits des Schlossplatzes und der | |
Königsstraße. | |
Seitdem gab es hier Konzerte, Theaterstücke, Zirkusvorstellungen; | |
Fotografen und Maler arbeiten, einige wohnen auch hier. Der Weg dahin hatte | |
immer etwas vom Besuch eines Abenteuerspielplatzes. Immer wieder stand das | |
Ende bevor, immer wieder wurde doch noch mal der Mietvertrag um ein, zwei | |
Monate verlängert. Nun steht das endgültige Aus bevor, die Abschiedsfeier | |
fand bereits statt. | |
## Als Mieter gut behandelt | |
Doch wer glaubt, die Künstler würden auf "das böse Stuttgart 21" schimpfen, | |
der irrt. Vielmehr sei die offizielle Linie, mit der Bahn und der Stadt | |
zusammenzuarbeiten. "Wie soll es auch anders laufen?", sagt Moritz | |
Junkermann, der auf dem Gelände aus Stahlresten Buchstaben baut. "Wir | |
wurden hier jahrelang wirklich gut behandelt als Mieter." | |
Zudem liege es nahe, dass die Künstlerwaggons ihre lange Existenz | |
eigentlich dem Großprojekt zu verdanken haben. "Die Wahrscheinlichkeit ist | |
hoch, dass das Gelände schon viel früher an Investoren veräußert worden | |
wäre, wenn man nicht gewusst hätte, dass man das Gelände irgendwann für | |
Stuttgart 21 braucht", sagt der Sprecher der Künstlerszene, Marco Trotta. | |
"Es wäre paradox, geschlossen gegen das Projekt zu sein, wenn es die | |
Waggons ohne Stuttgart 21 gar nicht so lange gegeben hätte. Das ist den | |
Leuten hier klar." Persönlich haben sie dennoch kontroverse Meinungen zu | |
dem Tiefbahnhof. "Unabhängig davon steht aber im Vordergrund, dass wir | |
einen neuen Platz finden", sagt Trotta. | |
Dass sie dabei konstruktiv mit Stadt und Bahn zusammenarbeiten, scheint | |
sich als richtig zu erweisen. Obwohl die Zeit knapp wurde, scheint eine | |
Lösung gefunden worden zu sein. Zunächst sollte es auf das Gelände einer | |
ehemaligen Zuckerfabrik gehen, doch aus verschiedenen Gründen musste diese | |
Idee beerdigt werden. | |
Nun haben sie den Güterbahnhof ins Visier genommen. Dort würden sie auf | |
Waggons verzichten und stattdessen Container benutzen. Damit seien sie vor | |
allem flexibler, sollte noch mal ein Umzug anstehen. Von ihren jetzigen | |
Waggons und deren romantischer Anmutung müssten sie sich ohnehin | |
verabschieden. Weil diese keinen TÜV haben und nicht über die Gleise | |
gezogen werden dürfen, werden die meisten wohl in der Schrottpresse landen. | |
Doch egal, was neu entsteht, den Künstlern ist klar, dass es nie mehr so | |
sein wird, wie es mal war. "Der Ort und was über Jahre gewachsen ist, ist | |
schon einzigartig", sagt Weiny Fitui, die aus Holz Figuren und Objekte | |
baut. Trotta erwartet eine Professionalisierung. Allein durch die mediale | |
Öffentlichkeit würden die städtischen Stellen erstmals genauer hinsehen, | |
was auf dem Gelände passiert. | |
Bislang hätten die Künstler eine gewisse "Narrenfreiheit" genossen. "Es | |
gibt viele Leute hier, die sich weiterentwickeln und auch | |
professionalisieren möchten", sagt Trotta. Dieser Prozess finde intern | |
bereits seit zwei Jahren statt, was das kulturelle Angebot deutlich | |
umfangreicher gemacht und verbessert hätte. "Wir führen jetzt sogar | |
Rednerlisten und Protokolle", fügt Junkermann mit einem zwinkernden Auge | |
hinzu. | |
Doch nicht alle werden die Entwicklung mitmachen. Junkermann: "Einige | |
wollen in das neue Projekt ihre volle Energie reinstecken, andere wollen | |
erst einmal gucken, wie es sich entwickelt, und andere sagen, sie seien | |
draußen." | |
3 Mar 2011 | |
## AUTOREN | |
Nadine Michel | |
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