# taz.de -- Bestsellerautor mit 845 Euro netto: Hungernde Poeten | |
> Ab nächsten Donnerstag ehrt die Leipziger Buchmesse Schriftsteller. In | |
> dem Beruf verdienen wenige gut und viele schlecht. Lohnt er sich | |
> trotzdem? | |
Bild: Noch so ein Klischee, das Lesern gefallen könnte: Der Schreiberling hack… | |
BERLIN taz | Am Donnerstag entfaltet sich in Leipzig wieder die Pracht der | |
deutschen Buchbranche. Neuerscheinungen werden präsentiert, die | |
Tageszeitungen erscheinen mit Literatursonderausgaben, Preise werden | |
verliehen, und die Autoren und Autorinnen stehen im Mittelpunkt des | |
Interesses, jedenfalls zeitweise. | |
Nach ein paar Tagen ist der ganze Zirkus dann vorbei, und der Großteil der | |
Schriftsteller verschwindet wieder im Land der verkannten Romanciers und | |
Dichter. | |
Aber ist dem wirklich so - stimmt das Klischee vom armen Poeten und der | |
Literatur als brotloser Kunst? Nach Daten der Künstlersozialkasse von 2010, | |
bei der immerhin 3.165 Autorinnen und Autoren versichert sind, liegt das | |
durchschnittliche Jahreseinkommen von Schriftstellern und Dichtern in | |
Deutschland bei 13.588 Euro. | |
Dies entspricht einem Monatslohn von 1.132 Euro, brutto wohlgemerkt. Nur | |
zum Vergleich: Ein Facharzt verdient durchschnittlich 5.100 Euro und ein | |
Metzger 2.209 Euro. | |
Falls Sie eine Frau sind, sieht es noch schlechter für Sie aus. Laut der | |
Künstlersozialkasse verdienen Frauen im Durchschnitt 2.833 Euro weniger als | |
ihre männlichen Kollegen pro Jahr. Auch in der Literatur ist die | |
Gleichberechtigung zwischen Frau und Mann offensichtlich nur ein Ornament | |
von Buchmessenansprachen. | |
Aber aufgepasst, denn diese Zahlen geben das Gesamteinkommen wieder und | |
sagen noch nichts darüber aus, wie viel ein Autor mit seinen Romanen | |
verdient. "In Deutschland können vielleicht 100 bis 200 Schriftsteller | |
allein vom Schreiben leben", sagt zum Beispiel Heinrich | |
Bleicher-Nagelsmann, Sprecher des Gewerkschaftsverbundes deutscher | |
Schriftsteller. | |
Das sei ein sehr geringer Prozentsatz. "Die meisten brauchen einen | |
Brotberuf als Lehrer, Journalist oder Lektor, um über die Runden zu | |
kommen." | |
Gewiss gibt es die Stars der Literaturszene wie Günter Grass, Martin Suter | |
oder Elfriede Jelinek, die ziemlich gut von den Tantiemen ihrer Romane | |
leben können. | |
Ebenso gibt es in nahezu jeder Saison einen Überraschungserfolg wie 2005 | |
Daniel Kehlmanns "Die Vermessung der Welt". Der Roman hat sich rund 1,5 | |
Millionen Mal verkauft. Das ist sozusagen der Sechser im Lotto, auf den | |
jeder Autor hofft. | |
Die Realität sieht aber anders aus. Jörg Sundermeier, Verleger des kleinen | |
Verbrecher Verlags, sagt, ein anspruchsvolles belletristisches Buch sei | |
bereits ein Erfolg, wenn es sich 5.000-mal verkauft habe. Und ab einer | |
Auflage von 15.000 spricht die Branche bereits von einem Bestseller. | |
Was das heißt, lässt sich leicht ausrechnen. Der Roman kostet in der | |
Buchhandlung als Hardcover im Durchschnitt etwa 20 Euro. Wenn der Autor | |
Glück hat, bekommt er 10 Prozent vom Verkaufspreis. Bei einem Bestseller | |
mit 15.000 verkauften Exemplaren sind das ungefähr 30.000 Euro. | |
Davon gehen noch einmal ein paar Tausend Euro Steuern ab - und die | |
Sozialversicherung. Um einen Roman zu verfassen, benötigt ein Autor | |
ungefähr zwei Jahre. Ein Bestsellerautor, der am Verkauf seines Romans, | |
sagen wir, 20.500 Euro verdient hat, kommt auf ein Monatseinkommen von 854 | |
Euro netto. | |
Gut, jetzt kommen noch Lesungen, Zweitverwertungen, Übersetzungen, | |
Stipendien oder Preise hinzu, und dann kann der Bestsellerautor - sofern er | |
in den Folgejahren die Gunst des Publikums nicht verliert - tatsächlich von | |
seinen Büchern leben. | |
"Das Problem ist jedoch", sagt Jörg Sundermeier, "dass man diesen | |
Bestseller erst einmal schreiben muss und zweitens die Mittellage immer | |
mehr verschwindet." Es gibt wenige Spitzenverdiener und viele | |
Wenigverdiener. Die großen Verlage Hanser, Fischer und Suhrkamp sagten auf | |
Nachfrage lieber nicht, wie viel ihre Autoren verdienen. | |
Früher stützten Verleger Autoren, wenn sie in einer Krise steckten. | |
"Inzwischen herrscht ein Effizienzdenken, das kaum mehr Raum für formale | |
Experimente, Lyrik, Avantgarde oder die Entwicklung eines eigenen | |
Sprachstils zulässt", sagt Sundermeier. | |
"Heute sollte ein Autor gut aussehen, nicht zu sperrig schreiben und sich | |
gut verkaufen - ansonsten ist er ganz schnell weg vom Fenster." | |
Und was machen all die Schriftsteller, die weg vom Fenster sind oder nicht | |
gut aussehen oder noch keinen Bestseller geschrieben haben? Die haben noch | |
einen guten Job, heiraten einen wohlhabenden Partner oder arbeiten als | |
Taxifahrer. | |
Sowieso: Die Geschichte vom Tellerwäscher zum Millionär lässt sich am | |
besten verkaufen. Karen Duve ist 16 Jahre lang in Hamburg Taxi gefahren, | |
bevor sie 1999 mit ihrem "Regenroman" den Durchbruch schaffte. Judith | |
Hermann war vor "Sommerhaus, später" Kellnerin in Prenzlauer Berg, und | |
Clemens Meyer hat in Leipzig von Hartz IV gelebt. | |
Das sind Erfolgsstorys, die das Publikum hören möchte. Es liebt den armen | |
Poeten, der kaum etwas zu essen hat, nicht weiß, wie er die Miete bezahlen | |
soll, und doch genial schreibt. All die anderen, die nicht von ihren | |
Büchern leben können, haben eben Pech gehabt. | |
"In finanzieller Hinsicht", hat die Schriftstellerin Eva Demski einmal | |
erklärt, "ist das Schreiben ein so unbeschreiblich demütigender Beruf, dass | |
die meisten Kollegen um ihr Einkommen ein großes Theater machen müssen. Es | |
ist so ein verlogenes Thema, es wird Ihnen keiner die Wahrheit sagen." | |
Und was ist die Wahrheit? Die Wahrheit ist, dass man als Schriftsteller | |
wegen seines Brotberufs zu wenig schläft, nie Urlaub hat - man muss ja | |
schreiben -, keine Familie ernähren kann und im Alter - man hat ja kaum | |
Rentenbeiträge bezahlt - auch noch unter die Armutsgrenze rutscht. | |
Aber das alles ist der Preis für die Verwirklichung eines Traumes. Manche | |
haben es geschafft und keine Sorgen, der nächste Roman wird ein Bestseller, | |
und auf den postmortalen Ruhm kann man ja auch noch spekulieren. Also: Kopf | |
hoch, lasst euch nicht unterkriegen, Mund abwischen und weiterschreiben, | |
denn wir brauchen eure Gedichte und Romane! | |
12 Mar 2011 | |
## AUTOREN | |
Alem Grabovac | |
## TAGS | |
Schweiß | |
Kreativwirtschaft | |
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