# taz.de -- Nach Erdbeben und Tsunami in Japan: "Ich komme mir vor wie im Kino" | |
> An den Küsten im Katastrophengebiet in Japan wurden mehr als 600 Leichen | |
> gefunden. Die örtliche Polizei rechnet offenbar mit mehr als 10.000 | |
> Toten. Millionen sind ohne Wasserversorgung. | |
Bild: Weitermachen, irgendwie: Ein Mann trägt seine Habseligkeiten in Sendai a… | |
TOKIO/SENDAI dpa/dapd/rtr/afp/taz | In der Hafenstadt Sendai hat sich ein | |
Flugzeug mit der Nase tief in die Trümmer eingestürzter Holzhäuser gebohrt. | |
Eine Autostunde entfernt halten Techniker mit weißen Atemschutzmasken und | |
Schutzanzügen Geiger-Zähler an tausende Menschen, um sie auf radioaktive | |
Strahlung zu überprüfen. | |
Nach dem schwersten Erdbeben in der Geschichte des Landes am Freitag und | |
dem dadurch ausgelösten Tsunami an der Nordost-Küste ringen viele Japaner | |
immer noch mit Fassungslosigkeit. "Träum ich? Ich komme mir vor wie im | |
Kino", schildert der 50-jährige Ichiro Sakamoto in der Stadt Hitachi seine | |
Eindrücke. Wenn er allein sei, kneife er sich, ob er nicht doch träume. | |
In der Millionenstadt Sendai wühlen sich Überlebende durch die Trümmer und | |
suchen nach Habseligkeiten. Manche machen sich zu Hamsterkäufen auf. Vor | |
einer Tankstelle hat sich ein zwei Kilometer langer Stau gebildet. | |
Überlebende sind fassungslos. "Früher hat es auch schon Tsunamis gegeben, | |
aber die waren klein. Niemand hätte so etwas erwartet", sagt Michiko Yamada | |
aus dem nahezu völlig zerstörten Ort Rikuzentakata. | |
Die 75-Jährige beschreibt die riesige Flutwelle als schwarze Wand, die | |
alles mit sich gerissen habe. "Vor meinen Augen wurde ein altes Ehepaar | |
weggespült." Ganze Teile der Ortschaft wurden vom Tsunami zerstört. Übrig | |
blieb eine Wüste aus Schlamm, Holz, Haushaltsgeräten und wenigen Gebäuden, | |
die den Naturgewalten widerstanden. Allein in einem Viertel werden | |
Medienberichten zufolge 400 Einwohner vermisst. | |
An den Küsten der Provinzen Miyagi und Iwate in Japans sind unterdessen | |
mehr als 600 Leichen gefunden worden. Das berichtete die Nachrichtenagentur | |
Kyodo am Sonntag. Insgesamt gehen die Behörden demnach bisher von mehr als | |
2.000 Toten aus. Die Zahl ergibt sich aus den bislang offiziell gemeldeten | |
rund 800 Toten und den Vermissten. Allerdings wird erwartet, dass die Zahl | |
der Todesopfer noch weiter steigt. | |
## Zu Zehntausenden gibt es keinen Kontakt | |
In der japanischen Katastrophenregion Miyagi hat es möglicherweise mehr als | |
10.000 Tote gegeben. Das berichtete der japanische Fernsehsender NHK unter | |
Berufung auf die örtliche Polizei. Der Chef der Provinzpolizei, Naoto | |
Takeuchi, wurde mit den Worten zitiert, er habe "keinen Zweifel", dass die | |
Zahl der Toten bis auf über 10.000 allein in Miyagi steigen werde. | |
In der Krisenregion im Nordosten Japans hatten die Behörden zu | |
Zehntausenden von Menschen bisher noch keinen Kontakt. | |
Japans Ministerpräsident Naoto Kan bezeichnet die Erdbebenkatastrophe als | |
größte Krise des Landes seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Die Probleme | |
in den japanischen Atomanlagen unterschieden sich aber grundlegend von der | |
Katastrophe im ukrainischen Tschernobyl, wo vor 25 Jahren das Atomkraftwerk | |
explodierte. | |
Mindestens eine Million Haushalte sind seit dem Beben ohne | |
Wasserversorgung. Viele Gebiete konnten von Rettungsmannschaften immer noch | |
nicht erreicht werden. Rund 2,5 Millionen Haushalte waren ohne Strom. | |
## 100.000 Soldaten für Rettungseinsätze | |
Nach Angaben der UN sind bereits fast 600.000 Menschen evakuiert worden. | |
Etwa 380.000 Japaner aus den von dem Erdbeben und den Tsunami-Wellen | |
betroffenen Gebieten seien in gut 2000 Notunterkünften untergebracht | |
worden. Hinzu kämen etwa 210.000 Menschen, die in der Nähe des | |
Atomkraftwerks Fukushima 1 wohnten. In fünf Provinzen des Landes wurden | |
mehr als 1.400 Notlager - unter anderem in Schulen und Gemeindehäusern - | |
eingerichtet. Vielerorts werde mit Tankwagen Trinkwasser herangeschafft. | |
Augenzeugen berichten von Hamsterkäufen in Supermärkten. Die Regierung will | |
die Zahl der Soldaten zur Unterstützung der Rettungseinsätze auf 100.000 | |
verdoppeln, wie Medien berichteten. | |
Rund 70 Staaten boten der japanischen Regierung Hilfe an. Aus Deutschland | |
traf ein Team des Technischen Hilfswerks (THW) in Tokio ein. Die 38 Männer | |
und Frauen haben drei Suchhunde sowie rund zwölf Tonnen Gerät zur Ortung | |
und Bergung von Verschütteten und zur Messung von radioaktiver Strahlung | |
dabei. Die USA haben bereits einen Flugzeugträger vor Japan liegen, ein | |
zweiter ist unterwegs. | |
In dem Gebiet um die beiden Atomkraftwerke in Fukushima mussten bis | |
Sonntagmorgen rund 200.000 Menschen ihre Häuser verlassen. Mit der | |
Evakuierung will die Regierung die Bewohner vor radioaktiver Strahlung | |
schützen. Die Regierung in Tokio rief große Unternehmen auf, Strom zu | |
sparen. | |
## Nachbeben der Stärke 6,2 | |
Und die Erde kommt in Japan nicht zur Ruhe. Am Sonntag erschütterte wieder | |
ein starkes Nachbeben der Stärke 6,2 Teile des Landes. In Tokio schwankten | |
einige Häuser, Berichte über Schäden oder neue Opfer lagen aber nicht vor. | |
Das Beben vom Sonntag hatte sein Zentrum rund 180 Kilometer östlich von | |
Tokio. Seit Freitag gab es schon mehr als 150 Nachbeben. | |
Die Stärke des Erdbebens vom Freitag in Japan ist von den örtlichen | |
Behörden auf 9,0 nach oben korrigiert worden. Das teilte das | |
Meteorologische Amt Japans am Sonntag mit. Es hatte die Stärke zuvor mit | |
8,9 angegeben. Die US-Erdbebenwarte maß eine Stärke von 8,9. Sie änderte | |
ihre Angaben bislang nicht. | |
Es ist das stärkste Beben, das seit Beginn der Messungen Ende des 19. | |
Jahrhunderts in Japan registriert wurde und es war auch eines der stärksten | |
weltweit. Die Behörden warnten vor weiteren starken Nachbeben. | |
13 Mar 2011 | |
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Schwerpunkt Atomkraft | |
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