# taz.de -- Verstaatlichung von Tepco gefordert: Crash-Konzern am Pranger | |
> Die miserable Katastrophenbekämpfung bringt Politiker und Bevölkerung | |
> gegen den japanischen Energiekonzern Tepco auf. Haftungsgrenze für den | |
> Konzern liegt bei nur einer Milliarde Euro. | |
Bild: "Schluss mit der radioaktiven Kontaminierung", fordert dieser Demonstrant… | |
TOKIO taz | In Japan mehren sich die Stimmen, den Stromversorger Tokyo | |
Electric Power (Tepco) zu verstaatlichen, um die Atommeiler von Fukushima | |
schneller unter Kontrolle zu bringen. Der Konzern hat Bevölkerung und | |
Politiker durch intransparente Informationspolitik und schlechtes | |
Krisenmanagement mächtig gegen sich aufgebracht. Die Regierung stellt Tepco | |
inzwischen selbst an den Pranger, obwohl sie eng mit dem Konzern | |
zusammenarbeitet. | |
Offenbar sucht Premierminister Naoto Kan einen Sündenbock, nachdem einer | |
Umfrage zufolge 58 Prozent der Japaner mit der Katastrophenbekämpfung | |
unzufrieden sind. An der Börse in Tokio stürzten die Aktien des Versorgers | |
um 19 Prozent auf 566 Yen ab. Seit dem Beben haben sie über drei Viertel an | |
Wert eingebüßt. | |
Als erster Politiker hatte der Oppositionspolitiker Yoshimi Watanabe, Chef | |
der neoliberalen "Partei für alle", eine vorübergehende staatliche | |
Übernahme des Energiekonzerns gefordert. Der gesetzliche Rahmen reiche | |
nicht aus, um die Probleme zu lösen. | |
Auch Koichiro Gemba, Minister für nationale Strategie, berichtete von | |
Beratungen, wie Tepco künftig funktionieren soll. Die Verstaatlichung sei | |
eine Option. Doch Regierungssprecher Yukio Edano und Tepco-Manager | |
dementierten das Vorhaben. Von der Bedeutung her ist Tepco mit RWE und Eon | |
vergleichbar. | |
Knackpunkt ist die Frage, wer die Kosten für die Atomkatastrophe übernehmen | |
soll, darunter Entschädigungen für die evakuierten Anwohner und die spätere | |
Dekontamination von Verstrahlungen. Ein Gesetz von 1961 begrenzt die | |
Haftung für Tepco auf 120 Milliarden Yen (1 Milliarde Euro), falls die | |
Ursache für die Reaktorprobleme eine schwere Naturkatastrophe mit | |
Ausnahmecharakter ist. | |
Alle anderen Kosten müsste der Staat übernehmen. Bei einer Verstaatlichung | |
würden die Steuerzahler jedoch alle Kosten tragen. | |
Premierminister Naoto Kan warf Tepco im Parlament vor, die AKWs in | |
Fukushima nicht ausreichend geschützt zu haben. "Es ist unbestreitbar, dass | |
ihre Annahmen über Tsunamis falsch waren", erklärte Kan. | |
Der Stromversorger hat eingeräumt, dass der Atomkomplex nicht für ein | |
Erdbeben der Stärke 9 und einen Tsunami von 14 Meter Höhe ausgelegt war. | |
Doch die Firma könnte leicht damit argumentieren, dass die staatliche | |
Atomaufsicht dies genehmigt habe. | |
Am Vortag hatte Regierungssprecher Edano eine peinliche Mess-Panne von | |
Tepco als "absolut unverzeihlich" kritisiert. Der Konzern hatte sich bei | |
einem Strahlenwert um den Faktor 100 vertan und zudem radioaktive Isotope | |
miteinander verwechselt. | |
Auch für die Verstrahlung von drei Arbeitern ist Tepco mitverantwortlich. | |
Nach eigenen Angaben hatte man die Mitarbeiter einer Drittfirma nicht | |
darüber informiert, dass in die Keller der Turbinengebäude hoch radioaktiv | |
strahlendes Wasser gelaufen war. Zunächst hatte die Firma den Arbeitern die | |
Schuld für den Unfall gegeben. Sie hätten den Alarm auf ihren | |
Strahlenmessgeräten missachtet. | |
Presseberichten zufolge hatte es das Management nach dem Ausfall der | |
Notkühlung fast einen Tag lang abgelehnt, die überhitzten Reaktoren mit | |
Meerwasser zu kühlen. Erst auf direkten Befehl von Premierminister Naoto | |
Kan soll Tepco gehandelt haben. | |
"Sie waren gierig und wollten die Reaktoren weiter benutzen", erklärte | |
Tokios konservativer Gouverneur Shintaro Ishihara. "Hätte Tepco von Anfang | |
an Meerwasser eingeleitet, wären wir nicht in dieser Lage", fügte er hinzu. | |
Dagegen warf die Opposition Kan vor, er hätte am Tag nach dem Beben durch | |
einen Hubschrauberflug über das Atomkraftwerk Tepco daran gehindert, | |
Wasserdampf aus dem Reaktor 1 abzulassen. Kan rechtfertigte sich im | |
Oberhaus damit, dass die Gespräche mit Hilfskräften ihm bei späteren | |
Entscheidungen geholfen hatten. | |
29 Mar 2011 | |
## AUTOREN | |
Martin Fritz | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Aktuelle Lage Fukushima: Die Fischer sind wütend | |
Nun versucht es der Betreiber des Atomkraftwerks mit Stickstoff, um eine | |
drohende Explosion im Reaktor 1 zu verhindern. Auf Fischmärkten wird Ware | |
aus Fukushima zurückgewiesen. | |
Arbeiter am AKW Fukushima I: "Es gibt hier keine andere Arbeit" | |
Die Arbeitsbedingungen am havarierten AKW Fukushima I in Japan sind | |
desaströs: wenig Essen, kein Platz zum Schlafen und kein Kontakt zu den | |
Angehörigen. | |
Weltgesundheitsorganisation und Atom: Größtmöglicher Informationsunfall | |
Nach Tschernobyl wiederholt sich die unrühmliche Geschichte der WHO. | |
Studien und Daten werden zurückgehalten. Gerecht wird sie ihrer | |
Verantwortung nicht. | |
Mehr Strahlung in Fukushima: Sicherheitszone dringend ausweiten | |
Greenpeace fordert wegen mehr radioaktiver Strahlung die Ausweitung der | |
Sicherheitszone um Fukushima. Die Arbeiter sind am Ende ihrer Kräfte. Und | |
der Wind dreht wieder auf Tokio. | |
Lage im AKW Fukushima in Japan: Meterhoch verseuchtes Wasser | |
Radioaktives Wasser steht hoch in den Turbinenhäusern des AKW Fukushima. In | |
Regierungskreisen wird offenbar über eine Verstaatlichung des Betreibers | |
Tepco nachgedacht. | |
Nobuko Watabiki über Fukushima aus der Ferne: "Die Leute sind hin- und hergeri… | |
Die Künstlerin lebt seit zwei Jahren in Hamburg. Am 11. März hat sie das | |
Erdbeben von Tokio aus miterlebt. Zurück in Hamburg, fühlt sie sich | |
schuldig, weil sie fliehen konnte - und ihre Freunde und Verwandten nicht. | |
Atomkatastrophe in Japan: Heimliche Rückkehr in verbotene Zone | |
Trotz der Furcht vor Radioaktivität verlässt eine wachsende Zahl von | |
Atomflüchtlingen aus der Präfektur Fukushima die Evakuierungslager und | |
kehrt in ihre Häuser zurück. | |
Verstrahltes Meer vor dem AKW Fukushima: Die Fische sind die Dummen | |
Das Meer vor dem AKW Fukushima soll über tausendfach mit radioaktivem Jod | |
belastet sein. Wie sich die verstrahlten Partikel verteilen, lässt sich | |
kaum vorhersagen. |