# taz.de -- Hitlervergleiche: Schwarzer Sieg in Atomlibyen | |
> Im Libyenkrieg hat nun jeder jeden mit Hitler verglichen und auch sonst | |
> schmückt man seine Meinung gern mit ein bisschen Führer. Kann man aus der | |
> Geschichte lernen? | |
Bild: Da! Da! Und da! Hitler, wohin man auch schaut. | |
Gestern hat mich mein fünfjähriger Sohn gefragt, ob die Japaner schon gegen | |
Gaddafi gewonnen haben. Ein Zehnjähriger, mit dem wir zum Bus schlenderten, | |
meinte, Quatsch, gerade haben die Grünen gegen die Schwarzen gewonnen. | |
Ich wurde leicht panisch und versuchte meinem Sohn zu erklären, dass damit | |
nicht die Menschen ohne Albinismus gemeint seien, sondern die ganz anderen, | |
die CDU. CDU? Sind das die Bösen? Ist Gaddafi CDU, fragte mein Sohn. Der | |
Zehnjährige wusste es besser: Gaddafi ist so wie Hitler. Und wer war | |
Hitler? Ein Fukushima mit Bärtchen? Ich habe dann erst mal Eis spendiert. | |
Und heute? Hat es Gaddafi wieder getan: Die "barbarische Offensive" der | |
Alliierten sei vergleichbar mit Hitlers Kriegszügen in Europa. Warum nicht | |
mit dem Krieg der Deutschen und Italiener in Libyen selbst, anno 1941-1943? | |
Der mitnichten ein sauberer Wüstenfeldzug war, sondern wesentlich dazu | |
dienen sollte, den Holocaust auf den nahöstlichen Raum auszuweiten? | |
Will Gaddafi die deutsche Friedensbewegung und ihre schwarz-gelbe Regierung | |
nicht provozieren? Die vereint den Diktator jahrzehntelang in die Schranken | |
gewiesen haben und sich ihre erfolgreiche Eindämmungspolitik nun nicht | |
durch irgendwelche zweifelhaften "Aufständischen" kaputt machen lassen | |
wollen (angeblich wollen die sogar Öl verkaufen!). Schon am 20. März hatte | |
Gaddafi einen langen, ruhmreichen Krieg gegen die "neuen Nazis" | |
angekündigt. Nun sind das nur Worte, der Mann gilt allgemein als mental | |
nicht ganz sauber - also: Düne drüber. | |
## "Nazis - I hate these guys!" | |
Leider aber kann man über Sinn und Unsinn, Moral und Unmoral dessen, was | |
gerade in Libyen geschieht, kaum mehr lesend reflektieren, ohne ständig den | |
Hitler-Vergleich serviert zu bekommen. Daniel Cohn-Bendit, Uri Avnery, | |
André Glucksmann, Ralph Giordano - sie alle glauben, der Rechtfertigung | |
militärischer Hilfe für das bedrohte libysche Volk nicht ohne den Verweis | |
auf Fehler und Verzögerungen des antifaschistischen Kampfes Nachdruck | |
verleihen zu können. | |
Es sind jüdische Autoren, die das sagen, sie haben eine gelebte historische | |
Erfahrung auf ihrer Seite, die niemand wegwischen kann. Ich aber habe in | |
den 1980er Jahren in der Schule noch gelernt, dass Auschwitz ein singuläres | |
Verbrechen ist. Allem Totalitarismusgeschwätz zum Trotz hatte ich bisher | |
vor, diese Lektion an die nächste Generation weiterzugeben, und sei es nur | |
in der Indiana-Jones-Variante: "Nazis - I hate these guys!" | |
Inzwischen habe ich meine Zweifel, dass das noch funktionieren kann. Hitler | |
ist heute fast schon jeder - was doch entweder bedeutet, dass Hitler so | |
schlimm gar nicht gewesen ist oder dass die Menschheit aus dem Nazismus | |
keine Lehren gezogen hat. | |
Mir stieß ein kürzlich in der taz erschienener Artikel mit der Überschrift | |
"Auschwitzlüge auf serbisch" noch auf. Es ging um ein auf der Leipziger | |
Buchmesse aggressiv vermarktetes Buch, in dem der Mord an mindestens 8.300 | |
bosnischen Männer und Jungen in Srebrenica geleugnet wird. Und das ist wie | |
Auschwitz, dachte ich? Mit meinem Unbehagen wandte ich mich an einen | |
jüngeren Kollegen meines Vertrauens. Der fand Zeile und Artikel in Ordnung. | |
## Libyen 2011 | |
Aber ich kann mir nicht helfen: Gaddafi ist ganz offensichtlich nicht | |
Hitler. Und Bengasi ist nicht Guernica oder Auschwitz. Aus der Geschichte, | |
um es mal apodiktisch zu sagen, kann man überhaupt nichts lernen - oder | |
vielleicht doch: Nämlich seine Zeit nicht mit Analogiesuche zu verschwenden | |
oder sich hinter intellektuell toten Begriffen wie Imperialismus zu | |
verstecken, sondern sich klarzumachen, dass jede Entscheidung, die man | |
fällt, jede Position, die man einnimmt, nicht dazu da ist, als Rechthaber | |
dazustehen und sich die Hände in Unschuld waschen zu können. | |
Es geht in Libyen 2011 wesentlich um Libyen 2011. Kinder suchen zum | |
Weltverständnis nach Allegorien. Erwachsene, die sich das nicht abgewöhnen, | |
wirken kindisch. Deswegen kriegen sie auch kein Eis. Mit Hitler aber kann | |
man bald nicht mal mehr Kinder beeindrucken. | |
30 Mar 2011 | |
## AUTOREN | |
Ambros Waibel | |
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