# taz.de -- Exil-Libyer über Gaddafi: "Jetzt geht es endlich los" | |
> Ahmed Shaladi studierte in Deutschland und engagierte sich gegen Gaddafi. | |
> 1985 wurde er dafür in Abwesenheit zum Tode verurteilt. Heute lebt er im | |
> Ruhrgebiet. | |
Bild: Teilnehmer einer Demonstration gegen den libyschen Machthaber Muammar al-… | |
Ahmed Shaladi startete seine Reise vor 40 Jahren in Libyen und landete in | |
Deutschland. Jetzt ist er immer noch hier, dabei wollte er nie bleiben. | |
Aber irgendwann konnte er nicht mehr zurück, weil 1985 ein Todesurteil über | |
ihn gesprochen wurde, das bis heute Bestand hat. Ein Verräter sei er, ein | |
Denunziant, befand das Gaddafi-Regime. Ein harmloser Student sei er | |
gewesen, sagt er über sich selbst. | |
Ahmed Shaladi wurde in einer Zeit und einem Land geboren, in der Frauen | |
Analphabetinnen waren, Männer sich nicht selten das Lesen und Schreiben | |
selbst beibringen mussten und Libyen noch zu den ärmsten Ländern der Welt | |
zählte. 1950 auf die Welt gekommen - so steht es in seinen Papieren, doch | |
da ist sich Ahmed Shaladi nicht ganz so sicher -, wuchs er als vierter Sohn | |
eines Scheichs im nordlibyschen Dorf Abu Issa auf. | |
Wer bei Scheich an prunkvolle Anekdoten aus "Tausendundeiner Nacht" denkt, | |
wird von Ahmed Shaladi eines Besseren belehrt. Scheich, das sei nichts | |
Besonderes in Libyen, Westler hätten eine ganz falsche Vorstellung davon, | |
sagt er. Ein Scheich habe lediglich eine gehobene soziale Stellung, genieße | |
aber keine Privilegien. So sei auch seine Kindheit ärmlich, aber sehr | |
glücklich gewesen. Sein Vater musste als Landwirt arbeiten, um seine Frauen | |
und Kinder ernähren zu können. | |
Das Auffälligste an Ahmed Shaladi ist seine Unauffälligkeit. Ein | |
altersloser, kleiner, schmaler Mann mit einem weichen Gesicht, tiefen | |
Falten und grauen kurzen Locken, der Blick meist gesenkt, die Stimme immer | |
leise. Aus der Ferne leuchtet der rote Rucksack, den er trägt. Ein | |
Werbegeschenk von Coca-Cola. Er kam mit einem Stipendium 1971 ins Land, | |
studierte in Westberlin Physik und reiste zunächst regelmäßig in die | |
Heimat. | |
Zuletzt war er 1979 in Libyen. Damals sei der Verfall des Landes schon | |
deutlich geworden, Cafés wurden geschlossen, Buchhandlungen zugemacht, die | |
kulturelle Szene vernichtet. Ahmed Shaladi spricht vom Exodus der Elite, | |
vom Ausbluten seines Landes. Trotzdem, so dachte er, war seine Zukunft in | |
Nordafrika. Er heiratete eine Frau aus Tripolis, holte sie nach Berlin. | |
Doch nach dem Studium wollten sie gemeinsam zurück. Dass er bleiben musste, | |
war nicht eingeplant. | |
## "Hauptsache, die Kasse stimmt" | |
Doch während Ahmed Shaladi in einem deutschen Hörsaal saß, baute Muammar | |
al-Gaddafi seine Macht aus und wurde zum Alleinherrscher, der nicht nur | |
Kritiker ermorden ließ, sondern auch versuchte, die Gedanken der Menschen | |
zu unterdrücken. Die blutigen Studentenunruhen 1976 waren der vorläufige | |
Höhepunkt seiner beginnenden Schreckensherrschaft. | |
Diejenigen, die des Verrats oder missliebiger politischer Aktivitäten | |
verdächtigt wurden, verschwanden oft spurlos. Sein Cousin und Bruder seien | |
auch eines Tages nicht mehr nach Hause gekommen, "bis heute gibt es keine | |
Leichen, und bis heute wissen wir nicht, warum sie umgebracht wurden", sagt | |
der Exilant. | |
Damals habe er mit Freunden regimekritische Flugblätter gedruckt und an der | |
Universität verteilt. "Unser Widerstand war primitiv. Wir hatten kein Geld, | |
keine Mittel", sagt er heute. Wo es Überfluss an Wohlstand, Sicherheit und | |
Menschenrechten gibt, muss es leicht sein, Gehör zu finden, glaubte Ahmed | |
Shaladi. Doch bei der Bundesrepublik Deutschland irrte er sich. Das | |
wirtschaftliche Interesse sei immer stärker gewesen als das Interesse an | |
den Menschenrechten, "Hauptsache, die Kasse stimmt". | |
Brisant waren schon damals die Beziehungen zum Regime in Tripolis. Das | |
Bundeskriminalamt (BKA) bildete jahrelang libysche Polizeibeamte aus. Und | |
die, so sagte ein Beamter im Bonner Innenministerium, "werden zu Hause | |
sicher nicht nur zur Verkehrsregelung eingesetzt". Inzwischen hatte | |
Gaddafis politisches Großreinemachen auch auf das europäische Ausland | |
übergegriffen. So starben 1980 nacheinander elf Auslandslibyer eines | |
gewaltsamen Todes. Und alle hatten eins gemeinsam: Sie waren Gegner des | |
Regimes. | |
Den Befehl zur weltweiten Jagd auf Oppositionelle hatte der "Meister der | |
Meuchelmörder", wie der Londoner Guardian Gaddafi in dieser Zeit nannte, | |
selbst gegeben: "Entweder sie kehren in die Volksrepublik der Massen | |
zurück, oder sie sind dem Tode geweiht - ganz gleich, wo sie sich | |
aufhalten", verkündete der Diktator im Radio. Die Exekutionsaufträge wurden | |
von ortsansässigen Exillibyern, meist Studenten, aber auch von Kommandos | |
vollzogen, die in libyschen Auslandsvertretungen abstiegen. | |
Wegen seiner Kritik geriet auch Ahmed Shaladi ins Visier der Häscher. Als | |
ihn im November 1982 ein Mitstudent bat, ihn wegen einer Passverlängerung | |
auf die Bonner Botschaft zu begleiten, wurden die beiden Männer getrennt | |
und gefoltert. Bei dem Verhör wollte man wissen, was ihm die CIA zahle, wer | |
bei den Flugblattaktionen dabei sei. "Sie gingen davon aus, dass wir | |
vernetzt seien. Wie dumm sie doch waren", sagt Ahmed Shaladi. Es sollten | |
noch "Geständnisse" vor der Kamera erzwungen werden, um diese im libyschen | |
TV zu zeigen. Außerdem war geplant, die beiden Männer zu betäuben und - als | |
Diplomatengepäck - nach Libyen auszufliegen. | |
## "Es ist besser, sich unter Kontrolle zu haben" | |
Doch da hatte Ahmed Shaladis Frau schon die Polizei alarmiert, die die | |
beiden Männer schließlich nach 24 Stunden befreien konnte. Seine fünf Söhne | |
wissen bis heute nicht, was damals geschah - und dass ihr Vater 1985 zum | |
Tode verurteilt wurde. "Sie sollen keine Traumata wegen meiner | |
Vergangenheit davontragen", sagt Shaladi. | |
Aber wie heilt man Wunden, wenn man schweigt? "Ich habe es noch nie so mit | |
Emotionen gehabt", lächelt er: "Es ist besser, sich unter Kontrolle zu | |
haben." Doch seine Stimme droht zu kippen, während er das sagt. Es ist | |
einerseits die klare Stimme des Physikers, doch dazwischen kommt die Wut | |
des Vertriebenen hervor, und dann sind da noch die zärtlich-sehnsüchtigen | |
Worte eines Heimwehgeplagten. | |
Natürlich widersprach damals die libysche Botschaft Shaladis Darstellung. | |
Journalisten wurde beschieden, die Schilderungen der zwei Studenten seien | |
ein "heimtückischer Versuch, den freundschaftlichen Beziehungen und der | |
Zusammenarbeit zwischen dem libysch-arabischen Volk und dem Volk der | |
Bundesrepublik Deutschland Schaden zuzufügen". | |
Bei den Verhören sei auch Mustafa Saidi anwesend gewesen, der damals am | |
Bonner Universitätsklinikum arbeitete. Er soll, behaupten libysche | |
Oppositionelle, an der Ermordung von Studenten in Bengasi beteiligt gewesen | |
sein. Wegen des Vorfalls in der Botschaft wurde Saidi deshalb 1983, nach | |
einem Prozess, zur unerwünschten Person erklärt und zur Abreise gezwungen. | |
Als Botschaftsattaché in Wien steuerte er danach laut BKA "gewisse | |
Spezialaufträge seiner Dienstherren" in Deutschland. 1987 wurde Saidi | |
libyscher Gesundheitsminister, bis heute kämpft er an der Seite Gaddafis. | |
Die Nachrichten aus Gewalt und Terror sind zum Begleitgeräusch von Ahmed | |
Shaladis Leben geworden. Dass der Diktator sich so lange an der Macht | |
halten würde, damit hatte er nicht gerechnet. "Wenn ich auf die Jahre | |
Gaddafis meine Verluste verteile, dann habe ich in jedem Jahr einen Freund | |
verloren", sagt er. Doch der Herrscher, der mordet und so verrückt wirkt, | |
wie Charlie Chaplin einst Adolf Hitler darstellte, wurde über die Jahre | |
hinweg zu einem salonfähigen Politiker. | |
## Hingehen und mitgestalten | |
Westliche Politiker biederten sich an, wollten Flüchtlingsströme abgehalten | |
sehen und an billiges Öl kommen - Menschenrechte sind eben verhandelbar. | |
Manchmal denkt Ahmed Shaladi, es wäre trotz allem besser gewesen, zurück | |
nach Libyen zu gehen. Dann hätte er seine verstorbenen Eltern noch einmal | |
sehen und seine Geschwister umarmen können. | |
Doch am Ende siegte immer wieder die Ernüchterung. Ahmed Shaladi hat sich | |
für den sicheren Weg entschieden. Der Exillibyer mit dem deutschen Pass zog | |
nach Essen, bekam mit seiner Frau fünf Kinder. Alles war ruhig, bis im | |
Februar 2011 das Volk genug von seinem Diktator hatte. Als ihn die ersten | |
Nachrichten über den Widerstand erreichten, dachte Ahmed Shaladi: "Jetzt | |
geht es endlich los." 3.000 Kilometer von seiner Heimat entfernt, bangt er | |
nun um das Leben seiner Familie in Libyen, pendelt zwischen Essen und | |
Berlin. | |
Vor der Botschaft der "Großen Sozialistisch Libysch-Arabischen | |
Volksjamahiria Berlin" hat die Polizei Absperrgitter errichtet. Dahinter | |
drängt sich Ahmed Shaladi zusammen mit anderen Demonstranten. Er sucht nach | |
Gesprächspartnern im Auswärtigen Amt und schlägt Ansprechpartner aus Libyen | |
vor. Denn eines ist sicher: Im Jahr 2011 scheint die Herrschaft auch dieses | |
Diktators zu enden. Wenn Gaddafi stürzt, braucht das Land ein neues | |
politisches System. Und Ahmed Shaladi will seine Heimat dann mitgestalten. | |
31 Mar 2011 | |
## AUTOREN | |
Cigdem Akyol | |
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