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# taz.de -- BaWü-Grüne planen Regierung: Rätselraten um die Posten
> Die Grünen sind bodenständig und in der Kommunalpolitik erfahren. Die
> Gewinner der Landtagswahl machen sich an die Arbeit - und auf die Suche
> nach Ministern.
Bild: Als Kommunalpolitiker haben sie Erfahrung. An Blitzlichtgewitter müssen …
STUTTGART taz | Da sitzen sie nun an langen Tischreihen und wollen den
Südwesten regieren. Was bis vor Kurzem noch eine kleine, überschaubare
Gruppe war, ist inzwischen mit 36 Abgeordneten die zweitstärkste Fraktion
im baden-württembergischen Parlament.
Für den zukünftigen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann gilt es nun,
seinen grünen Laden zusammenzuhalten und eine regierungsfähige Fraktion
aufzustellen. Während die neuen Hinterbänkler von ihrem Einzug aus der
Provinz ins Parlament überrascht wurden, beginnt das große Rätselraten, wer
eigentlich all die grünen Ministerposten besetzen soll.
Am Donnerstag setzen sich Grüne und SPD zum ersten Mal zur
Koalitionsverhandlung zusammen. Natürlich, wird offiziell beteuert, geht es
dabei zuerst um Inhalte. Doch im Hintergrund dreht sich bereits das
Personalkarussell.
Dabei rücken auch Berliner Köpfe in den Mittelpunkt. Bislang trieb es jeden
in die Bundespolitik, der bei den Grünen etwas werden wollte. Im einstigen
CDU-Stammland Baden-Württemberg fehlten bislang die Perspektiven. Doch mit
einem Mal dürfen sie regieren. Und nun wollen natürlich alle.
Oft wird die Frage aufgeworfen, wer es bei den Grünen tatsächlich auch
könnte. Wer jedoch genauer hinschaut, stellt fest, dass sich bei wichtigen
grünen Themen die Personen, die jetzt infrage kommen, eher angestaut haben
- gerade weil es lange Zeit keine Posten zu vergeben gab.
Beispiel: Verkehr. Als heißer Kandidat wird Boris Palmer gehandelt, auf den
auch Kretschmann große Stücke hält. Gleichzeitig wird Winfried Hermann ins
Spiel gebracht, der dem Verkehrsausschuss im Bundestag vorsitzt. Als
Drittes könnte Werner Wölfle Ansprüche erheben, der sich im Streit über
Stuttgart 21 einen Namen gemacht hat.
Zweites Beispiel: Energiepolitik. In der Kommission für die
Koalitionsverhandlungen sitzt unter anderem Sylvia Kotting-Uhl. Sie ist in
Berlin atompolitische Sprecherin und war von 2003 bis 2005 Landeschefin. In
der baden-württembergischen Fraktion gibt es aber auch Stimmen, die sagen,
es führe kein Weg am bisherigen energiepolitischen Sprecher Franz
Untersteller vorbei.
## Visitenkarten bracht man auch
Derweil haben die grünen Neulinge aus der schwäbischen und badischen
Provinz ganz andere Sorgen. Jörg Fritz steht nach der ersten
Fraktionssitzung am Dienstag vor dem Landtagsgebäude. Seinen
Gesprächspartnern könnte der 51-Jährige eine Zigarette anbieten, aber keine
Visitenkarte. "Die muss ich erst noch drucken lassen."
Der neue Abgeordnete aus dem Wahlkreis Göppingen hat alles andere als
zielstrebig auf seinen Posten hingearbeitet. Fast 20 Jahre lang schon war
er in der Politik nicht mehr aktiv. "Als klar war, dass Kretschmann als
Spitzenkandidat in den Wahlkampf zieht, habe ich mich eben einspannen
lassen und in einem Wahlkreis kandidiert, der nicht unbedingt
aussichtsreich war", sagt der Dozent für Erwachsenenbildung. Aus dem "wenig
aussichtsreich" wurden 22 Prozent.
Von diesen Leuten hat Kretschmann nun viele in seiner Fraktion sitzen. Auf
sie muss er sich künftig zu 100 Prozent verlassen können. Die Grünen haben
immerhin nur ein Mandat mehr als die SPD. Zusammen haben beide vier Sitze
mehr als Schwarz-Gelb. Eine solide Machtbasis sieht anders aus. Ausreißer
darf es keine geben. "Das wird die schwierigste Herausforderung für die
Fraktion und ihren neuen Chef", sagt Wölfle. "Das sind alles erfahrene,
autonome Köpfe, die mitreden wollen." Noch aber geben sich alle handzahm.
Bei der ersten Fraktionssitzung wirkte es wie an einem ersten Schultag. Die
Neuen sind voller Vorfreude, schauen sich um, welche Gesichter ihnen
bekannt vorkommen, wem sie mal die Hand schütteln können. Einer wie Fritz
wird auch in Zukunft kaum aus der Reihe tanzen. "Ich komme aus dem Stall
Kretschmann", sagt er und schmunzelt.
Auch wer mit den anderen Neulingen in der Grünen-Fraktion spricht, trifft
weniger auf einen bunten, unerfahren Haufen als vielmehr auf erfahrene
Kommunalpolitiker - schwäbisch-badisch-bodenständig, realpolitisch. Man
könnte auch sagen, eine Gruppe von Kretschmann 2 bis Kretschmann 36.
Diesen Eindruck hinterlässt auch die junge Sandra Boser. Erst 2007 trat die
34-Jährige den Grünen als aktives Mitglied bei. Als Politneuling tritt sie
deshalb nicht auf. Zuletzt arbeitete sie für den Bundestagsabgeordneten
Alexander Bonde und war Kreisgeschäftsführerin in Ortenau. Im Hosenanzug
steht die 34-Jährige mit glatt gekämmten dunklen Haaren vor dem
Verhandlungszimmer. Eine gelernte Betriebswirtin, die sich äußerlich nur
durch ihren grünen Button am Jackett der Fraktion zuordnen lässt. "Ich
werde ein Auge darauf haben, dass wir eine solide Finanzpolitik betreiben
werden", sagt sie seriös. Das sind Sätze, die ihr Chef Winfried Kretschmann
wahrscheinlich auch in Zukunft hören möchte.
30 Mar 2011
## AUTOREN
Nadine Michel
## TAGS
Schwerpunkt Landtagswahl in Baden-Württemberg
Schwerpunkt Landtagswahl in Baden-Württemberg
Schwerpunkt Stuttgart 21
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