# taz.de -- Krise in der Elfenbeinküste: "Unsere Revolution ist gekommen" | |
> Die Zeit der Manipulation der Menschen in Afrika ist vorbei. Reggaestar | |
> Tiken Jah Fakoly aus der Elfenbeinküste über die Krise in seiner Heimat. | |
Bild: "Meine Songs haben plötzlich eine viel intensivere Bedeutung", sagt Tike… | |
taz: Herr Fakoly, Sie haben sich nach der Wahl Ende 2010 sehr früh | |
dahingehend geäußert, dass Präsident Laurent Gbagbo gehen müsse. Befürchten | |
Sie nicht, dass sein Konkurrent Alassane Ouattara als ehemaliger Ökonom des | |
IWF die Elfenbeinküste ausverkaufen wird? | |
Tiken Jah Fakoly: Ich mache mir deswegen keine Sorgen, weil Ouattara von | |
der Mehrheit der Ivorer gewählt wurde. Jetzt ist es an uns Ivorern, | |
Bedingungen an ihn zu stellen. Nach fünf Jahren endet seine Amtszeit und | |
dann wählen wir erneut. Sollte das heißen, dass Ouattara gar nicht | |
Präsident werden kann, weil er dem Westen nahesteht? Das würde doch auch | |
bedeuten, dass die Demokratie grundsätzlich in Frage gestellt wird. | |
Wir können uns das einfach nicht leisten, weil die Demokratie die Übernahme | |
der Macht durch das Volk ist. All jene, die gegen die Macht des Volkes | |
sind, müssen wir bekämpfen. Deswegen kämpfe ich gegen Laurent Gbagbo. Er | |
hat zehn Jahre lang regiert, und zehn Jahre lang hat er sich, seine Familie | |
und seine politischen Freunde bereichert. | |
Ihr neues Album heißt "African Revolution". Verwirklichen die Revolutionen | |
in Nordafrika, aber auch Aufstände, wie sie derzeit in Burkina Faso | |
stattfinden, Ihre Wünsche, als Sie die Aufnahmen machten? | |
Genau, schon letztes Jahr im September habe ich von dieser afrikanischen | |
Revolution gesprochen. Jetzt ist sie hier, ihre Zeit ist gekommen und sie | |
wird weitergehen. Früher konnten die politischen Führer das Volk mit Hilfe | |
eines einzigen Fernsehsenders manipulieren, weil die Leute nur diesen | |
Sender empfangen konnten. Jetzt, da immer mehr Menschen in Afrika das | |
Internet benutzen, können sie die unterschiedlichsten Nachrichten | |
aufnehmen. Dadurch hat sich die afrikanische Bevölkerung grundsätzlich | |
verändert. | |
Alle intelligenten Politiker, die länger als 20 Jahre an der Macht sind, | |
sollten jetzt ihre letzte Amtszeit ankündigen. All diejenigen, die das | |
nicht verstehen, werden dafür bitter bezahlen. Wie in Tunesien, in Ägypten | |
und auch in Libyen. Gaddafi wird auch gehen müssen. Wir können Gaddafi | |
nicht verteidigen. 42 Jahre an der Macht, das übersteigt alle Kriterien. | |
Wie erleben Sie den Kontrast zwischen Ihrer Konzerttour in Europa und dem | |
politischen Drama, das sich in Ihrem Heimatland abspielt? | |
Wenn ich jetzt auf der Bühne stehe, haben meine Songs plötzlich eine viel | |
intensivere Bedeutung. Die Texte sind jetzt so eng mit der Realität | |
verbunden, dass es mich tief berührt. Es gibt Leute, die kämpfen und das | |
Ergebnis ihres Engagements niemals sehen. Ich habe wirklich Glück, ich | |
singe von Revolution, und sechs Monate später findet sie statt. | |
Welche Rolle werden Sie zukünftig in der Elfenbeinküste spielen? | |
Zusammen mit Musikern wie Alpha Blondy werden wir eine Versöhnungstournee | |
durch das Land starten. Meine Botschaft ist klar: Ich bin kein | |
Ouattara-Unterstützer, ich bin ein Unterstützer der Elfenbeinküste und des | |
demokratischen Prozesses. Ich unterstütze das Erwachen der Menschen. Das | |
ivorische Fernsehen war dabei bisher ein sehr großes Hindernis, weil Gbagbo | |
ohne Ende propagandistische Nachrichten sendete. Es gelang ihm sogar für | |
einen Moment, die komplette Situation in ihr Gegenteil zu verkehren, als | |
plötzlich jeder in der Elfenbeinküste sagte: "Ja, es ist der Westen, der | |
gegen uns Krieg führt!" Nein, bei uns wurden Wahlen durchgeführt, und einer | |
ist gewählt worden. So einfach ist das. | |
Funktioniert das europäische Demokratie-Modell für afrikanische Länder, | |
wenn sie in ein internationales System integriert sind, das sie massiv in | |
ihrem Handlungsspielraum beschränkt? | |
Die Demokratie ist für uns ein gutes Modell. Es funktioniert allerdings nur | |
dann, wenn Nationen wie die Elfenbeinküste vereint auftreten. Sobald sie | |
zerstritten sind, wird es auch für den Präsidenten schwierig, bei | |
Entscheidungen freie Hand zu haben. Deshalb sollten wir uns auf die | |
Versöhnung konzentrieren. Wir müssen den Menschen erklären, dass wir alle | |
die gleichen Probleme haben, unabhängig von der ethnischen Zugehörigkeit | |
oder der Religion. | |
Unsere Kinder gehen nicht in gute Schulen, unsere Kranken liegen in | |
schlecht ausgestatteten Krankenhäusern. Wenn wir die gleichen Probleme | |
haben, müssen wir dafür die gleiche Lösung finden. Dann kann auch das | |
Modell der Demokratie in Afrika Fuß fassen, daran gibt es schließlich | |
nichts Kompliziertes. Wenn die Leute Wahlen nicht mehr als Krieg | |
wahrnehmen, wird dem Präsidenten endlich die Macht gegeben, die nationalen | |
Interessen zu verteidigen. | |
Ist Ouattara Ihrer Meinung nach der Richtige, um die Elfenbeinküste wieder | |
zu einen? | |
Ich glaube heute, dass Alassane Ouattara die Interessen des ganzen Volkes | |
verteidigen kann. Anders als Gbagbo verbreitet Ouattara keine | |
Propagandabotschaften des Hasses. Er hatte schon immer eher eine Botschaft | |
der Beschwichtigung und Versöhnung. Im Hinblick auf die Versöhnung hat | |
Gbagbo dagegen in zehn Jahren rein gar nichts unternommen. Dabei war das | |
alles, was wir als Ivorer von ihm erwarteten. Ich weiß, dass Alassane | |
Ouattara die Versöhnung erreichen wird. Er hat keine andere Wahl. | |
Bemerken Sie hier bei Ihren Konzerten eine Veränderung in der Art und | |
Weise, wie Afrika gesehen wird? | |
Wenn hier normalerweise über die Elfenbeinküste berichtet wird, dann geht | |
es nicht um die schönen Strände in Bassam oder Sassandra. Es geht um Krieg. | |
Doch die Menschen, die uns sehen, lernen ein neues Afrika kennen und | |
verlassen unsere Konzerte mit einer neuen Perspektive. Ich sehe Afrika als | |
einen Kontinent, der dem Schicksal der Sklaverei erst vor 400 Jahren | |
entkommen ist und in dem die ersten freien Nationen vor 50 Jahren gegründet | |
wurden. | |
Ich bin jetzt 42 Jahre alt. Als ich geboren wurde, waren die meisten | |
afrikanischen Staaten erst acht Jahre alt. Jetzt schreiben wir unsere | |
eigene Geschichte, während Länder wie Deutschland oder Frankreich dies | |
bereits seit 100 oder 200 Jahren tun. Wir brauchen nur noch ein wenig Zeit. | |
8 Apr 2011 | |
## AUTOREN | |
Moses März | |
## TAGS | |
Burkina Faso | |
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