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# taz.de -- Interview zu Parteitag auf Kuba: "Der Staat zieht sich zurück"
> Die Menschen drängen in die Selbstständigkeit, sagt der kubanische Ökonom
> Pérez Villanueva. Doch die Kleinunternehmer stoßen schnell an Grenzen, da
> es weder Kleinkredite noch Rohstoffe gibt.
Bild: Sie hat eine private Lizenz zum Verkauf von Souvenirs in Havanna.
taz: Herr Pérez Villanueva, worüber werden die Delegierten auf dem
Parteitag der Kommunistischen Partei diskutierten?
Omar Everleny Pérez Villanueva: Im Kern geht es um die Öffnung der
Wirtschaft. Welchen Spielraum wird es in Kuba künftig für private Akteure
geben? Diese zentrale Frage tangiert auch das Verhältnis von privaten und
staatlichen Anbietern: Kaufen staatliche Unternehmen künftig auch von
Privaten? Ist der freie An- und Verkauf von Wohneigentum denkbar? Darüber
muss diskutiert werden, genauso wie über die sozialen Herausforderungen,
das Steigen der Ausgaben, die Ausweitung der Autonomie der Unternehmen oder
die zunehmende Freisetzung von Arbeitskräften.
Es hat den Anschein, dass der Parteikongress alle ökonomischen Probleme auf
einmal lösen soll. Ist das realistisch?
Ich hoffe, ja, denn der Parteitag steht ganz im Zeichen der Wirtschaft. Es
gibt kein anderes zentrales Thema, und die Arbeit der letzten Monate war
darauf ausgerichtet, Delegierte und Bevölkerung darauf vorzubereiten.
Es gab in den letzten Monaten aber keine Ausweitung der Möglichkeiten für
Selbstständigkeit. Viele Fachleute, auch Sie, hatten das angeregt.
Richtig, aber trotz der nicht gerade optimalen Rahmenbedingungen wurden bis
heute 190.000 Lizenzen für Selbstständigkeit ausgegeben. Ich bin in den
letzten Tagen in Havanna unterwegs gewesen und habe neue Betriebe, neue
Restaurants, neue Kleinhändler entdeckt. Es ist eine Dynamik vorhanden.
Kann der Privatsektor ohne weitere Reformen wie anvisiert eine halbe
Million Arbeitnehmer beschäftigen?
Man stößt an Grenzen, weil es zwei Dinge bisher nicht gibt: Das eine sind
Programme mit Kleinkrediten für die neuen Selbstständigen, und das andere
ist ein Markt, wo sich die neuen Selbstständigen legal und zu vernünftigen
Preisen mit Rohstoffen und anderen Betriebsmitteln versorgen können. Beides
fehlt noch, wobei sich bei den Kleinkrediten ein Wandel abzeichnet.
Gleichwohl halte ich die Erwartungen für überzogen, in vier Monaten einen
radikalen Wechsel initiieren zu können.
Die Regierung hat das Tempo doch selbst vorgegeben und die Entlassung von
einer halben Million Angestellten bis Ende März angekündigt. Das wurde nun
gestoppt.
Ja, denn es gab viele Probleme. Grundsätzlich halte ich es aber für
positiv, dass das Interesse der Kubaner, selbstständig zu arbeiten, da ist.
Auch in der Dimension, die die Finanzministerin im Dezember vor dem
Parlament darlegte? Demnach plant die Regierung, bis 2015 insgesamt 1,8
Millionen Kubaner von der staatlichen Lohnliste zu streichen und in der
Privatwirtschaft unterzubringen. Wie soll das gehen angesichts von 4,9
Millionen Beschäftigten?
Das ist derzeit unmöglich, dazu müsste es ganz andere Möglichkeiten für
Privatinitiative geben. Ohne eine Erweiterung der Liste der Berufe, in
denen Selbstständigkeit möglich ist, kommen wir nicht weiter. Grundsätzlich
erleben wir aber einen Rückzug des Staates, einen Abbau von
Zentralisierung, was es so noch nie gegeben hat.
Reformen in der Landwirtschaft wurden bisher etwas außen vor gelassen.
Rechnen Sie mit einem Beschluss, dass das Acopio, das Ankaufsystem für
Agrarprodukte, das die Landwirtschaft bislang einzwängt, modifiziert wird?
In den letzten Monaten wurden an Landstraßen Verkaufsstände legalisiert, an
denen die Leute Obst und Gemüse verkaufen. Die Leute können anbauen und
verkaufen wie sie lustig sind - der Staat erhebt nur 5 Prozent Steuern auf
den Gewinn. Für mich ist das der Beginn der Demontage des Acopio. Zudem
gibt es Debatten, ob man den privaten Bauern nicht den direkten Verkauf
ihrer Produktion ermöglichen sollte. Das ist ein Schritt in eine neue
Richtung.
Seit einigen Tagen bieten Banken Kredite für die neuen Selbstständigen an.
Ist das verfrüht angesichts der prekären finanziellen Situation?
Generell ist der finanzielle Spielraum extrem gering, aber ich schätze die
Maßnahme als Signal in die richtige Richtung. Um allerdings ein
funktionierendes Kreditsystem für die neuen Selbstständigen aufzubauen,
brauchen wir finanzielle Hilfe aus dem Ausland.
Woher soll die kommen? Kuba ist mit rund 20 Milliarden US-Dollar in den
westlichen Industrieländern verschuldet.
Ich hoffe, dass wir nach dem Parteikongress mehr internationale
Bereitschaft sehen werden, aber natürlich hängt das auch von den
Entscheidungen ab.
Woher nehmen Sie den Optimismus? Ökonomisch steht Kuba mit dem Rücken zur
Wand.
Zentrale Aufgabe des Kongresses ist es, die ökonomische Neuausrichtung zu
definieren. Das hat es so noch nicht gegeben, und ich gehe daher davon aus,
dass es den Verantwortlichen damit ernst ist.
15 Apr 2011
## AUTOREN
Knut Henkel
## TAGS
taz.lab 2011 „Die Revolution haben wir uns anders vorgestellt“
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