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# taz.de -- Debatte Reformen auf Kuba: Raúl Xiaoping
> Steht Kuba vor einem historischen Wendepunkt wie China 1978? Staatschef
> Raúl Castro warnt, ohne Reformen drohe der Insel der "Untergang".
Fast fünf Jahre brauchte Kuba, um die Nachfolge Fidel Castros zu regeln.
Als der "Comandante en Jefe" sich im Sommer 2006 einer Notoperation
unterziehen musste, delegierte er seine Funktionen an seinen Vize und
Bruder Raúl - vorübergehend, wie betont wurde. Anderthalb Jahre später
wurde Raúl Castro dann offiziell Staats- und Regierungschef. Aber erst an
diesem Wochenende, wenn die Kommunistische Partei Kubas zu ihrem ersten
Parteitag seit mehr als 13 Jahren zusammentrifft, übergibt Fidel auch sein
letztes offizielles Amt, das des Parteichefs, an seinen jüngeren Bruder.
Kuba ist in der Nach-Fidel-Ära angekommen.
Natürlich, jeglicher Gedanke an Demokratisierung und Regimewechsel bleibt
weiter off limits. Doch seit Raúl die Amtsgeschäfte übernahm, hat er in
immer neuen Wendungen die desolate Lage der Ökonomie und der Staatsfinanzen
beschworen. Gesundheits-, Bildungs- und Sozialprogramme seien nicht
aufrechtzuerhalten, wenn sie von keiner entsprechenden Wirtschaftsleistung
gedeckt sind. Entweder, so beschwor Raúl Castro zuletzt im Dezember Kader
und Volk, wir ändern den Kurs - oder wir gehen unter.
Der am Freitag beginnende Parteitag soll nun eine umfassende
Wirtschaftsreform beschließen. Wird Raúl Castro, der ein halbes Jahrhundert
im Schatten seines charismatischen Bruders Fidel stand, zum kubanischen
Deng Xiaoping, der Staatssozialismus mit Marktdynamik mixt, dem Land
stabiles Wachstum beschert und dabei die Herrschaft seiner Kommunistischen
Partei bewahrt?
## Kann er oder will er nicht?
Raúls bisherige Amtszeit dämpft die Erwartungen. Sie war geprägt von vielen
Ankündigungen, die folgenlos blieben. Weshalb aber fällt es einer
Regierung, die ohne Opposition über alle Institutionen des Landes gebietet,
so schwer, ihre Pläne umzusetzen? Will sie nicht oder kann sie nicht?
Vielleicht eine Mischung aus beidem. Denn die ökonomische Logik beißt sich
mit der politischen Logik des Systemerhalts. Die dramatische
Wirtschaftslage verlangt schnelle und kohärente Veränderungen, mehr
Autonomie der Betriebe und Bürger. Politische Bedenken beharren auf
Abhängigkeiten und Kontrolle und sorgen im Zweifel immer für Aufschub und
nur schrittweise kleinteilige Maßnahmen.
Dazu kommt, dass Raúl Castro kein "Fidel II" ist. Er ist kein
überdimensionaler Revolutionsführer, sondern der oberste Verwaltungskader
eines bürokratischen Sozialismus. Sehr viel mehr als sein Bruder muss Raúl
die verschiedenen Kräfte im Apparat ausbalancieren und integrieren. Die
Angst vor Machtverlust und Übernahme durch Miami ist groß. Über allen
potenziellen Reformen thront so als oberster Imperativ, die Geschlossenheit
der politischen Elite zu wahren.
## Verspielte Glaubwürdigkeit
Das Ergebnis ist keine schwungvolle Reform, sondern ein zäher Prozess mal
halbherziger, mal ruckartiger Maßnahmen. Wie erratisch dies sein kann,
zeigte die Ankündigung im September, binnen sechs Monaten 500.000
Angestellte - ein Achtel der Erwerbsbevölkerung! - aus der aufgeblähten
Verwaltung und den hoffnungslos unrentablen Staatsbetrieben zu entlassen.
Gleichzeitig aber konnte sich der kubanische Staatsapparat nicht zu mehr
Mut bei der Öffnung für Selbstständige durchringen. Schon dass etwa drei
Arbeiter eine staatliche Cafeteria pachten und in eigener Regie betreiben,
geht zu weit. So konnte kein Funktionär erklären, wo denn eine halbe
Million Entlassene über Nacht neue Erwerbsmöglichkeiten finden könnten. Das
Ergebnis: Die angekündigten Entlassungen wurden fürs Erste wieder auf Eis
gelegt.
Doch der angerichtete Schaden bleibt. Die staatlichen Angestellten haben es
schwarz auf weiß, dass die politische Führung sie vor allem als Last auf
dem Staatssäckel empfindet. Aber auch wer auf der anderen Seite hoffte,
künftig in einem wachsenden legalen Privatsektor Arbeit und Gelderwerb zu
finden, verbuchte vermutlich eine neuerliche Enttäuschung. So verspielt die
Regierung nicht nur Zeit, sondern auch Glaubwürdigkeit, und zwar in beide
Richtungen.
Der Parteikongress verspricht, dass es nun aber ernst wird mit den
Veränderungen. Die Parteiführung hat wirtschaftspolitische Leitlinien
vorgelegt, die im Vorfeld auf viel Kritik gestoßen sind. Den Delegierten
wird eine überarbeitete Fassung vorliegen, die mehr gute Worte zur sozialen
Verantwortung des Staates findet als der ursprüngliche Entwurf. Die
Kernpunkte aber dürften kaum verhandelbar sein. Mit großem Konsens wird das
neue Programm verabschiedet werden.
## Zwei Schritte vor, zwei zurück
Parteitage regierender KPs ratifizieren in der Regel nur
Machtverschiebungen, die sich bereits vollzogen haben. Gleichwohl kann dies
grundlegende Bedeutung haben, so wie Deng Xiaopings Durchbruch auf dem
Parteitag der chinesischen KP im Jahr 1978. Doch ob das viertägige Treffen
der Kommunistischen Partei Kubas, das morgen in Havanna beginnt, ein
historischer Reformparteitag sein wird, entscheidet sich erst im
Nachhinein. The proof of the pudding is in the eating, sagt ein englisches
Sprichwort. Parteitagsbeschlüsse sind geduldig. Die Reform ist erst dann
eine, wenn es an ihre Umsetzung geht.
Es wäre fatal, wenn auch dieser Anlauf in einem erneuten "Zwei Schritte vor
und zwei zurück" stecken bliebe. Die Alternative zur Reform ist in der Tat
nicht eine Verlängerung des Status quo, sondern eine Abwärtsspirale der
Krise, ein weiterer Wertverfall der Löhne und eine Verschärfung der
Versorgungsengpässe. Fatal wäre aber auch, wenn Reform für die Kubaner als
das Schlechteste beider Welten daherkäme: Wenn sich die alten Parteikader
und Armeegeneräle um Raúl auch nach dem Parteitag nur auf die Rolle des
drakonischen Sparkommissars einigen können, der Ausgabenkürzungen und
Massenentlassungen durchdrückt, aber nicht auf die wirtschaftlichen
Freiräume und Rechtsgarantien, die unverzichtbar sind, wenn ein dynamischer
nichtstaatlicher Sektor den Entlassenen wieder Arbeit und dem Land neue
Entwicklungsperspektiven bieten soll. Von politischen Freiheitsrechten oder
einer pluralen Öffentlichkeit ganz zu schweigen.
15 Apr 2011
## AUTOREN
Bert Hoffmann
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