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# taz.de -- Kubanische Bloggerin zum Medienkongress: "Ihr dort drüben beschüt…
> Eigentlich sollte die kubanische Bloggerin Yoani Sánchez beim
> Medienkongress mit auf dem Podium sitzen. Aber wieder einmal ließ der
> Staat sie nicht reisen. Sie war dennoch dabei: Per Video.
Bild: Nachrichten per Video: die kubanische Bloggerin Yoani Sánchez.
Video-Botschaft von Yoani Sanchez zum taz-Medienkongress:
Ich möchte den Teilnehmern des Kongresses der tageszeitung einen Gruß von
hier aus Havanna in Kuba schicken. Ich möchte mich dafür entschuldigen,
dass ich nicht dabei sein kann. Leider ist das nichts, was ich selbst so
entschieden hätte, sondern es ist einfach so, dass ich hier bin und ihr
dort seid, weil wir Kubaner leider immer noch unter strikten
Ausreiseregelungen leben. Es ist aber auch andererseits nicht so schlimm,
weil diese kleine Webcam, mit der ich mich gerade Filme, meine Worte zu
Euch tragen kann.
Ich möchte diese Minuten nutzen. Es wird recht kurz werden, weil die
Internetverbindung in Kuba sehr langsam und schwer zugänglich sind, so dass
sich der Zugang oft zu einer echten Odysee entwickelt. Ich will Euch kurz
ein wenig über die alternative Blogosphäre in Kuba erzählen, über die
Möglichkeiten, die neuen Technologien zu nutzen und darüber, wie sich das
auf die Entwicklung der Zivilgesellschaft auswirkt.
Als ich 2007 anfing, meinen Blog "Generation Y" zu schreiben, fühlte ich
mich ziemlich unsicher. Ich hatte das Gefühl, dass ich da zur Pionierin
eines Phänomens geworden war, dessen Einflussmöglichkeiten auf die
wirkliche Welt noch nicht abzuschätzen waren. Für mich war es damals eher
eine innere Motivation, mit dem Blog zu beginnen, als dass ich das als eine
sozial oder zivilgesellschaftlich wichtige Aufgabe angesehen hätte. In den
ersten Monaten hab ich den Blog immer meinen "persönlichen Exorzismus"
genannt, meine Therapie, um all das loszuwerden, was sich aufgestaut hatte.
Ich hab das gemacht, um nicht verrückt zu werden, und um mein Heil weder in
der Flucht noch in der Indifferenz zu suchen.
Diese sehr individuelle Entscheidung am Anfang verwandelte sich allerdings
bald in eine ansteckende Gruppenerfahrung, die dann immer mehr
gesellschaftliche Zielsetzungen bekam. Es entstand eine kleine Blogosphäre.
Die kubanische Blogosphäre hat einige besondere Charakteristiken, von denen
ich euch berichten möchte. Zunächst hat sie eine völlig horizontale
Struktur. Sie hat keinen Anführer. Auch wenn viele inner- und außerhalb
Kubas in mir das Gesicht der kubanischen Bloggerszene sehen, so sind wir
doch einfach Menschen, die Gedanken, Argumente und Kriterien miteinander
austauschen. Niemand ordnet sich irgendjemandem unter. Das war
wahrscheinlich auch der Schlüssel dafür, dass es uns noch gibt, dass wir
leben und uns weiterentwickeln.
Regierungen wie das kubanische Regime, also vertikale Strukturen mit einer
sehr klar definierten Führungspersönlichkeit, mit einer klar strukturierten
Befehlskette von oben nach unten, solche totalitären Regimes sind sehr
effektiv darin, Strukturen zu bekämpfen, die so ähnlich sind wie sie
selbst. Deshalb fällt es ihnen so schwer, die Blogosphäre auszuschalten
oder zu neutralisieren. Bloggen ist wie ein Virus: Einer steckt den anderen
an, und die Bloggergrippe verbreitet sich immer weiter. Aber es gibt keinen
Kopf, den man abtrennen könnte, keinen Chef, den man einsperren könnte,
keinen Führer, den man zum Schweigen bringen könnte, damit alle schweigen.
Eine andere Charakteristik der kubanischen Bloggerszene ist, dass sie auf
eigene Rechnung und auf eigenes Risiko ins Netz geht. In einem Land mit dem
niedrigsten Internetzugang in der gesamten Hemisphäre wird es zu einem
schwierigen Abenteuer, ins Netz zu gehen und zum Internauten zu werden.
Nicht nur wegen der Zensur, den gesperrten Webseiten und den zensierten
Inhalten, sondern einfach weil wir zuhause keinen eigenen Internetzugang
haben. Von zuhause oder vom Arbeitsplatz aus können nur die hohen
Funktionäre und die Vertrauensleute des Systems ins Internet gehen. Wir
alternativen Blogger müssen uns behelfen: Internetcafés, die
internationalen Hotels. Einige nutzen kleine Räume mit Internetzugang, die
es in einigen europäischen Botschaften gibt. Wir machen das alles, haben
aber immer Angst, dass sie uns eines Tages am Eingang eines Internetcafés
aufhalten, dass sie uns den Einlass in ein Hotel verweigern, Dazu kommt,
dass eine Stunde Internet im Hotel umgerechnet 6 Euro kostet – das
entspricht etwa einem Drittel eines Monatsgehalts einer ausgebildeten
Fachkraft in Kuba.
Wenn man also das Pro und Contra abwägt, kann man schon überlegen, warum
man alternativer Blogger in einem Land sein sollte, wo alles so teuer ist.
Damit meine ich nicht nur das Geld. Auch die sozialen Kosten sind hoch.
Warum soll man die roten Linien übertreten und die übliche Maske ablegen,
wenn damit so viele Probleme verbunden sind? In meinem Fall zum Beispiel
Verteufelungs- und Stigmatisierungskampagnen, die Überwachung meines
Hauses, das Abhören meines Telefonanschlusses. Wer von Euch früher in der
DDR gelebt hat, wird sich erinnern, wie es sich anfühlt, wenn die
Repressionsorgane ins Privatleben eindringen. Ihr hattet die Stasi, wir
haben unsere Staatssicherheit, die viel daran setzt uns glauben zu machen,
dass wir in einer Glaskugel leben, in der der Große Bruder uns jederzeit
überwacht.
Jeder in Kuba weiß, dass der Staat mit seinem ganzen Gewicht über ihn
herfällt, wenn er bestimmte rote Linien übertritt: Mit staatlicher
Propaganda, Diffamierungen, mit Gesetzen und politischer Polizei. Wir
alternativen Blogger haben all das am eigenen Leib schon erlebt, wie alle,
die es in Kuba gewagt haben, die Regierung herauszufordern oder ihr offen
zu widersprechen. Bei mir kommt noch die Verurteilung zum Inselarrest dazu.
Deshalb bin ich hier hinter dieser Kamera, und ihr seid dort, tauscht Ideen
und Gedanken aus und verhaltet Euch wie freie Bürger. Ich bin dafür
bestraft worden, dass ich eine Meinung habe, dass ich sie sage, dass ich
von meiner Realität erzähle. Genauso geht es vielen alternativen Bloggern.
Trotzdem: Statt damit das Phänomen des Bloggens zu beseitigen, statt uns zu
entmutigen, statt uns dazu zu bringen, nicht mehr zu sagen, was wir denken,
hat das alles uns vielmehr ermuntert. In dem Maße, wie ich die Mauern
verstanden habe, die mich umgeben, die Enge, die uns einzwängt, umso mehr
habe ich auch begriffen, wie notwendig es ist, dass jemand darüber spricht.
Dass es jemand aus seiner eigenen Erfahrung berichtet.
Ich habe auch wundervolle Momente erlebt, nicht nur solche der Repression.
Es gibt Augenblicke, die sind Balsam für die Seele. Ich habe die
alternative Bloggerszene wachsen sehen. Sicher, das sind immer noch Zahlen,
die Euch, die ihr individuellen Zugang zum Internet habt, sehr klein
erscheinen mögen. Aber es ist dennoch eine Riesenentwicklung: Von
wortwörtlich einer Handvoll Bloggern zu Beginn sind wir auf heute mehr als
200 angewachsen, die überall auf der Insel - wenngleich vor allem in den
Provinzhauptstädten - von ihrer Realität berichten, Alltagschroniken,
kleine Eingaben. Sie alle wollen sich mit dem staatlichen
Informationsmonopol nicht abfinden, das in Kuba schon seit so vielen
Jahrzehnten besteht.
Dazu kommt, dass es seit etwas über einem Jahr ein weiteres wunderbares
Werkzeug für uns gibt: Twitter. Die meisten Leute auf der Welt nutzen
Twitter von ihrem Internetzugang aus oder von ihren Smartphones mit den
entsprechenden Apps fürs Iphone, Blackberry oder Nokia. Wir Kubaner haben
eine kleine Lücke in der staatlichen Kontrolle entdeckt: Twitter kann man
auch per SMS betreiben. Und so gibt es seit Mitte 2009 die Invasion einer
kleinen Twittosphäre im Netz mit ihren Kurznachrichten, ihren Rettungsrufen
und ihren Anklagen. Wir twittern aus Not: Ihr werdet nie einen alternativen
kubanischen Twitterer sehen, der schreibt, wie lecker doch der Kaffee sei,
den er gerade zum Frühstück trinkt oder wie schön der Regenbogen nach dem
Platzregen sei. Wir twittern auf 140 Zeichen Notrufe, Anklagen, dringende
Bitten. Wir twittern nicht aus Frivolität, sondern aus Notwendigkeit.
Damit komplettiert sich das Bild: Auch wenn die Regierung uns gern zum
Schweigen bringen will, auch wenn sie uns bekämpft oder uns nicht reisen
lässt, können sie doch nicht verhindern, dass unsere Stimmen auf der Welt
gehört werden. Ihr dort drüben beschützt uns, indem ihr uns lest, uns
zitiert, uns verlinkt oder indem ihr uns zu solchen Veranstaltungen wie
dieser hier einladet. Nur aufgrund dieses Schutzes sind wir so weit
gekommen. Es ist uns gelungen, das Informationsmonopol ein wenig
aufzubrechen, das diese Insel für so viele Jahre zu einer Art geschlossener
Anstalt gemacht hatte und die stets in der Message bestand, dass alles auf
der Insel großartig sei und alles in der Welt draußen die Hölle. Die
Kubaner begreifen langsam, dass wir belogen und betrogen worden sind, dass
uns Information vorenthalten wurde.
Und ich habe den Eindruck, dass wir Blogger und Twitterer nicht mehr nur in
der virtuellen Welt bleiben. Es ist nicht mehr nur im Cyberspace, sondern
hat seinen Einfluss auf das wirkliche Leben. Wenn ich durch die Straßen
gehe, passiert es immer öfter, dass Leute mich erkennen. Oft werde ich um
Kopien meines Blogs gebeten, oder jemand spricht mich auf einen Text von
mir an, den er gelesen hat. Leute, die sich nicht trauen, mich offen
anzusprechen, machen mir ein Zeichen oder zwinkern mir zu, als wollten sie
sagen: Ich bin auf deiner Seite. All das scheint mir ein Beweis dafür, dass
sie uns lesen. Das einzige, was die kubanische Regierung damit erreicht
hat, dass sie unsere Seiten wie desdecuba.com oder Vocescubanas.com mehr
als drei Jahre lang blockierte, war, dass der Wunsch, unsere Texte lesen zu
können, immer größer wurde.
Ich glaube nicht, dass sie die Blogosphäre kontrollieren können. Sie wird
sich weiterentwickeln, und es wird immer neue technische Möglichkeiten
geben. Heute freuen wir uns über Twitter - wer weiß, was es morgen gibt.
Und das gibt Hoffnung.
Trotzdem bleibt eine Menge zu tun in der wirklichen Welt, dem Kuba, das man
anfassen kann. Aber Stück für Stück lernen wir, uns in der virtuellen Welt
wie Bürger zu bewegen.
Das ist die große Rolle, die Twitter, Facebook und so weiter in Kuba
spielen, trotz aller Zensur. Es hilft uns, die Grenzen der Ideologie zu
überwinden, andere kennenzulernen, uns zu versammeln. Das Internet erlaubt
uns all das, was auf den öffentlichen Plätzen Kubas verboten ist. Und
jemand, der den Geruch der freien Meinungsäußerung einmal kennengelernt
hat, wird sich nie wieder diese Maske des Schweigens aufsetzen. Die
kubanische Blogosphäre hilft uns, und ich hoffe, noch viele Jahre lang, das
Schweigen zu überwinden.
Ich sende Euch viele Grüße, ich bedauere sehr, dass ich nicht bei euch sein
kann. Eines Tages werden wir Gelegenheit bekommen, die verlorene Zeit
nachzuholen. Aber ich habe hier auch viel zu tun. Jeder Tag, den ich in
Kuba bin, verschicke ich mehr Twitternachrichten, jeden Tag habe ich neue
Ideen, und jeder Spaziergang durch Havanna gibt mir neues Rohmaterial für
mein Schreiben. Und jeden Tag gibt es neue Blogger, denen ich die Technik
beibringen kann. Und immer mehr Bürger, die das Twittern lernen.
So glaube ich, dass ihr Versuch, mich durch den Entzug der Reisefreiheit zu
bestrafen, voll nach hinten losgegangen ist. Hier bin ich stärker, hier
komme ich auf Ideen, und hier versuche ich jeden Tag neue Wege zu finden,
um die Zensur zu umgehen.
Eine große Umarmung, bis bald, ich wünsche euch eine wunderbare
Veranstaltung, und dass ihr uns dabei helfen könnt, unsere Stimmen zu
verbreiten, Denn das bedeutet, klar und direkt, Schutz für uns.
Vielen Dank!
Übersetzung: Bernd Pickert
8 Apr 2011
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taz.lab 2011 „Die Revolution haben wir uns anders vorgestellt“
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