# taz.de -- Wahl in Nigeria: Präsident nur noch Kunstobjekt | |
> Die wortgewaltigen intellektuellen Kritiker von Brutaloherrschaft und | |
> Korruption schwanken bei den Wahlen zwischen Präsident Jonathan und | |
> Fundamentalopposition. | |
Bild: Bilderreise durch den Wahlkampf von Präsident Goodluck Jonathan. | |
ABUJA taz | Der Medienrummel ist gewaltig im YarAdua Centre in der | |
nigerianischen Hauptstadt Abuja, obwohl es sich eigentlich nur um eine | |
Ausstellungseröffnung mit 50 Farbfotos handelt. "The Peoples President" | |
heißt sie: der Präsident des Volkes. Es ist eine Bilderreise durch den | |
Wahlkampf von Präsident Goodluck Jonathan und seiner Partei PDP (Peoples | |
Democratic Party). | |
Über fünf Monate lang hat ihn dafür der Fotograf George Esiri begleitet. | |
Nachdem Jonathan und die übrigen Politpromis ihre Plätze eingenommen haben, | |
schwärmt Esiri: "Zum ersten Mal hat jemand aus Süd-Süd die Möglichkeit, zum | |
Präsidenten gewählt zu werden. Goodluck Jonathan wird in die Geschichte | |
eingehen." Dann wird Esiri still, im Hintergrund läuft klassische Musik. | |
Süd-Süd heißt in Nigeria die Ölregion des Niger-Flussdeltas, historisch | |
marginalisiert und jetzt plötzlich an der Macht, seit Jonathan vor einem | |
Jahr die Nachfolge seines verstorbenen Vorgängers Umaru Musa YarAdua | |
übernahm. | |
Heute stellt sich Präsident Jonathan erstmals den 150 Millionen Nigerianern | |
zur Wahl. Und die Zeit, in der Schriftsteller, Nigerias Sänger und Künstler | |
hart mit der Führungsclique ins Gericht gingen, scheint vorbei. Nirgendwo | |
dröhnt mehr Fela Kutis "Sorrow, Tears and Blood", das die Angst einer | |
ganzen Nation vor ihrem brutalen und korrupten Staat beschreibt, durch | |
Straßen oder Nachtclubs. Stattdessen ist ausgerechnet Amtsinhaber Jonathan | |
zum begehrten Kunstobjekt geworden. Straßenmaler haben sein markantes | |
Gesicht und den schwarzen Hut längst entdeckt. | |
## Korruption wie während der Militärherrschaft | |
Dabei haben die Lieder, die Nigerias berühmtester Sänger Fela Kuti in den | |
70er und 80er Jahren zu den Zeiten der Militärherrschaft schrieb, nichts | |
von ihrer Aktualität eingebüßt. Wenn im New African Shrine von Lagos die | |
ersten Takte von "Coffin for Head of State" erklingen, dann könnten die | |
Zeilen über Korruption auch von heute sein. "Genau das ist es, was | |
Politiker heute noch von meinem Vater lernen können. Sie sollen nicht | |
korrupt sein. Der Wohlstand Afrikas gehört Taxifahrern, Krankenschwestern | |
und Lehrern. Er gehört allen Menschen, nicht nur der politischen | |
Führungsebene", sagt Femi Kuti. | |
Femi ist der zweite Sohn von Fela Kuti und führt mit dem New African | |
Shrine, der wohl spektakulärsten Konzerthalle Nigerias, das musikalische | |
Erbe seines Vaters weiter. Gerade bereitet sich der Musiker in der | |
Garderobe im ersten Stock auf seinen Auftritt vor. Wenn er an die | |
sogenannte "demokratische" Kultur denkt, kann er nur den Kopf schütteln. | |
"Vor den Wahlen betteln Politiker nur darum, gewählt zu werden. Dann sind | |
sie plötzlich Präsident und vergessen, dass sie eine Aufgabe erfüllen | |
müssen", sagt Femi Kuti. Daher ist es für ihn auch egal, wer die Wahl | |
gewinnt. | |
## Führungserfahrung fehlt | |
Unter Nigerias Intellektuellen könnte Nuhu Ribadu, einstiger Chef der | |
Antikorruptionsbehörde, Stimmen sammeln. Denn Ribadu wirkt als Kämpfer für | |
Reformen wie ein Gegenentwurf zu Jonathan und Oppositionsführer Muhammadu | |
Buhari, ein ehemaliger Militärdiktator aus dem muslimischen Norden des | |
Landes. In Umfragen liegt Jonathan vorn, gefolgt von Buhari mit Ribadu an | |
dritter Stelle. | |
Trotzdem hat Ribadu auch in Künstlerkreisen einige Kritiker. "Vielleicht | |
hat er die Korruption bekämpft. Gleichzeitig ist er Werkzeug der PDP | |
gewesen, die ihn ernannt hat. Für sie hat er jahrelang die politische | |
Opposition im Land bekämpft", sagt Toni Kan, der für seine Gedichte mehrere | |
internationale Preise erhalten hat. Auch für Kinderbuch-Autorin Fatima | |
Akilu aus Abuja ist Ribadu nicht der nächste Präsident. "Das wäre zu früh | |
für ihn", schätzt sie ein. | |
Ihrer Meinung nach muss das neue Staatsoberhaupt vor allem | |
Führungserfahrung haben. Damit fällt auch ein weiterer Prominenter aus, der | |
im vergangenen September seine Kandidatur angekündigt und dafür viel | |
mediale Aufmerksamkeit bekommen hatte: der Literaturnobelpreisträger Wole | |
Soyinka. Mit bitterbösen Romanen und Theaterstücken hält er Nigeria | |
regelmäßig den Spiegel vor. Auf seine Kandidatur hat er inzwischen | |
verzichtet. Richtig so, findet Toni Kan. "Wir brauchen Menschen, die | |
Opposition sind und uns immer deutlich machen, wenn etwas nicht | |
funktioniert." Soyinka macht sich jetzt für Ribadu stark. | |
15 Apr 2011 | |
## AUTOREN | |
Katrin Gänsler | |
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