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# taz.de -- Neue Amtszeit für Nigerias Präsident: Die Killer bleiben straflos
> Hunderte von Menschen starben in der nordnigerianischen Stadt Kafanchan
> bei Massakern nach dem Wahlsieg von Präsident Jonathan. Ein Besuch in den
> Ruinen.
Bild: In den Ruinen von Kafanchan: der Händler Adamu Kurah mit den Überresten…
KAFANCHAN taz | Wer von Kaduna nach Kafanchan reist, wird vorbereitet. Von
der großen Moschee rechts, erst vor einigen Jahren fertiggestellt, steht
nur noch ein Skelett. Ein paar Kilometer weiter lassen einstige Häuser
hinter winzigen, leeren Marktständen erahnen, was hier passiert ist: Sie
sind bis auf die Grundmauern heruntergebrannt, in die Steine haben sich
tiefschwarze Rauchspuren gefressen.
All das ist nichts im Vergleich zu dem, was sich in den Tagen nach Nigerias
Präsidentenwahl am 16. April in Kafanchan zugetragen hat. Die Stadt gut
zwei Autostunden südlich der nordnigerianischen Millionenmetropole Kaduna
hat 80.000 bis 100.000 Einwohner, für nigerianische Verhältnisse eine
Kleinstadt. Man kannte sich, man hat miteinander gelebt - auch auf dem
großen Markt im Zentrum. Der ist jetzt zu weiten Teilen niedergebrannt.
Direkt gegenüber befindet sich die dunkelrote Moschee. Die Mauern stehen
noch, aber wo noch vor sechs Wochen der Imam lebte und sich Schüler zum
Koranunterricht trafen, ist nur noch Schutt und Asche. Auf dem
Nachbargrundstück erinnert nur ein verkohltes Bettgestell daran, dass dort
gewohnt wurde. Es gehörte einer Ibo-Familie, die aus dem Südosten Nigerias
in den Norden gekommen war, um als Händler ihr Geld zu verdienen. Christen
waren es.
## Er hatte damit gerechnet
Adamu Kurah hatte Glück. Der Vater von vier Kindern lebt nur einige Minuten
vom großen Markt entfernt - in einer Geisterstraße. Denn bis auf sein Haus
wurden alle zerstört. Er sitzt in seinem kleinen Wohnzimmer auf einem
großen Plüschsofa. Er spricht langsam. In der Nacht zum 19. April geschah
es, erzählt er. Die muslimischen Imame riefen zum Gebet, um 22 Uhr. "Das
war sehr ungewöhnlich. Und kurze Zeit später hörten wir die ersten
Schüsse." Der große, hagere Mann flüchtete mit seiner Familie für eine
Nacht ins staatliche Krankenhaus, versteckte sich später. Heute kommt die
Familie tagsüber zwar zurück. Doch nicht über Nacht. Die Angst ist zu groß.
Dass es so weit kommen würde, hat Adamu Kurah nicht verwundert. "Ich habe
vor den Wahlen viel Radio gehört. Und da ist gesagt worden, es sei o. k.,
wenn Buhari gewinnt. Doch wenn Jonathan siegt, haben wir die Krise." Der
Hass im muslimischen Norden Nigerias richtete sich gegen jeden, der nicht
den Exdiktator Muhammadu Buhari vom Congress for Progressive Change (CPC)
unterstützte, sondern Staatspräsident Goodluck Jonathan, Südnigerianer und
Christ von der Peoples Democratic Party (PDP).
Genau zu dem Zeitpunkt, als die ersten Schüsse in Kafanchan fielen,
verkündete die Wahlkommission Jonathans Wahlsieg. Das Feuer begann, in dem
nach Schätzungen von Human Rights Watch mehr als 800 Menschen umkamen,
mehrere hundert allein in Kafanchan.
## "Das ist Religion"
Immer wieder wird argumentiert, dass solches Blutvergießen mehr einen
politischen als einen religiösen Hintergrund hat. Garba Abdullahi Maisukuni
schüttelt dazu den Kopf. Der Muslim arbeitet im Palast des Emirs in
Kafanchan und sitzt gerade mit dem traditionellen Herrscher und einer
Gruppe von Männern zusammen. Dann findet er für ein paar Minuten Zeit, über
Kafanchan zu sprechen. "Politik ist das nicht. Das ist Religion. Eine
Moschee ist kein PDP-Anhänger. Eine Kirche ist nicht politisch", sagt er.
Dann greift er mit seiner rechten Hand auf den Schreibtisch, wo ein weißer
Briefumschlag liegt.
In ihm befindet sich eine Fotoserie des Grauens - aufgenommen mit einer
Handykamera. Die verschwommenen Umrisse zeigen Jugendliche, die vor einer
Moschee im Staub liegen. Garba Abdullahi Maisukuni deutet auf einen: "Du
siehst, er bettelt um Gnade." Ein Foto später ist er tot. Auf dem letzten
sind dunkelrote Blutlachen zu sehen. Jungs, die in keiner Partei waren und
weder für Buhari noch für Jonathan gestimmt haben - weil sie viel zu jung
zum Wählen waren.
Maisukuni möchte Gerechtigkeit. Er will, dass die Täter zur Verantwortung
gezogen werden. "Wir kennen sie doch. Und niemand hat sie verhaftet", sagt
er und sucht nach einer anderen Aufnahme, auf der einer mit einer
blutverschmierten Machete vor der Kamera posiert.
Doch das scheint viele Politiker nicht sonderlich zu interessieren. Sie
sind mit der Amtseinführung von Goodluck Jonathan am Sonntag beschäftigt.
Die könnte zu einer erneuten Zitterpartie für Nigeria werden. Die
islamistische Sekte Boko Haram hat Anschläge angekündigt.
27 May 2011
## AUTOREN
Katrin Gänsler
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