# taz.de -- Kolumne Das Schlagloch: Stütze für alle | |
> Die Lobbyisten des Grundeinkommens verkaufen Resignation als Fortschritt. | |
> "Bedingungslose" Versorgung birgt die Vorstellung einer Existenzsicherung | |
> ohne Gegenleistung. | |
Bild: Kundgebung für ein "bedingungsloses Grundeinkommen" vor dem Brandenburge… | |
Auf einer Brache an der Spree sitzt ein Häufchen Prekärer und blickt nach | |
Osten, ans andere Ufer, wo die untergehende Sonne auf der Backsteinfassade | |
von Sascha Waltz' "Radialsystem" liegt. Aber heute wird dort nicht getanzt; | |
die Verhältnisse sollen zum Tanzen gebracht werden. Junge Menschen füllen | |
den großen Saal, so viele, dass Yogamatten auf den Bühnenrand gelegt werden | |
müssen. Am Eingang Bücherstapel, auf deren Umschlag ist ein | |
1.000-Euro-Schein gedruckt und die rote Parole: "1.000 Euro für jeden. | |
Freiheit, Gleichheit, Grundeinkommen". Das erste Wort im | |
Veranstaltungsflyer aber lautet: "Angst". | |
"Junge Kreative" aus der "Hauptstadt der prekären Verhältnisse", die, | |
getrieben "von der Allgegenwart drohender Armut ein spezielles | |
Gemeinschaftsgefühl" entwickelt haben - wie die Zielgruppe im Buch | |
beschrieben wird -, hören für 10 Euro Eintritt die frohe Botschaft: Nach | |
13.000 Jahren "Mangel, Hunger und Kriegen" sind wir, so verkündet es | |
Autorin Adrienne Goehler, dem ewigen Menschheitstraum nahegekommen: "Tun | |
können, was man will, und nicht tun müssen, was man nicht will." Und damit | |
werde die Forderung der Aufklärer John Stuart Mill, Montesquieu und Thomas | |
Morus wahr. | |
## Utopia falsch verstanden | |
Nun, wir sind offenbar noch nicht ganz angelangt in der | |
"Bildungsgesellschaft", von der Co-Autor Götz Werner spricht: Morus wollte | |
zwar niemanden verhungern lassen, aber anders, als Wikipedia und unsere | |
Autoren suggerieren, mussten auf seiner Insel Utopia alle arbeiten, wenn | |
auch, dank Technik, nur noch sechs Stunden am Tag. Aber | |
Arbeitszeitverkürzung, die alte Forderung von Mill und Marx und Keynes und | |
der Gewerkschaften, ist kein Thema hier; das Dogma lautet: | |
Vollbeschäftigung ist ein Mythos, aber die Löhne reichen auch nicht aus. | |
Also: Kombilohn für alle. | |
Es mag billig sein, über ein Buch zu spotten, das mit dem "bedingungslosen | |
Grundeinkommen" auch noch alle anderen Grundprobleme zu lösen verspricht: | |
Geschlechterkampf, Bildungsnot, Klimaprobleme, Hunger im Süden, Ausbeutung. | |
Ein Buch, dessen Rechenexempel gelegentlich schon an der | |
Multiplikationsregel scheitern, oder das mal eben Einkommen und Vermögen | |
verwechselt - und in dem "das Kapital" schon gar nicht vorkommt. Es ist | |
vielleicht auch gemein, eine Veranstaltung zu karikieren, in der ein | |
Unternehmer das Paradies mit "Monopoly" anpreist: "Ziehen Sie über Los und | |
streichen Sie 1.000 Mark ein. Jeden Monat." Das ist Propagandistenrhetorik | |
in der Verkaufszone, denn natürlich müssen auch hier die Arbeitenden | |
diejenigen alimentieren, denen der Ausschluss aus der Gesellschaft mit | |
1.000 Euro versüßt wird. | |
## Wo es ärgerlich wird | |
Und als Ende der Entfremdung verkauft. Und das ist wirklich ärgerlich. Hier | |
wird ein Notprogramm als Freiheitsfanal in die Welt geblasen. Kein Zweifel: | |
die Kritik an Hartz IV, an sinnlosen Disziplinierungsmaßnahmen, | |
Behördenwillkür und bürokratischer Verschleuderung von öffentlichen Geldern | |
ist nötig. Aber die Idee des "bedingungslosen" Grundeinkommens schillert | |
gefährlich zwischen der Schlaraffenlandvorstellung eines "Rechts auf | |
Existenz- und Teilhabesicherung ohne Zwang zur Arbeit oder andere | |
Gegenleistung" und der ultraliberalen Idee, die Alimentierung der | |
Überflüssigen ein für alle Mal auf preiswerte Dauer zu stellen. | |
Ob nun 750, 800 oder 1.000 Euro - nichts an dieser Idee ist | |
systemerschütternd. Sie liegt voll im Trend. Vor einem Jahrzehnt haben SPD | |
und Grüne den Unterschied zwischen Arbeitslosen und Sozialfällen | |
grundsätzlich beseitigt und damit dem Ziel der Vollbeschäftigung den | |
Abschied gegeben. Die Idee des bedingungslosen Grundeinkommens verklärt nun | |
eine verallgemeinerte Sozialhilfe oder einen "Kombilohn für alle" (Werner) | |
zum Reich der Freiheit und der Kreativität. | |
"Freiheit statt Vollbeschäftigung" - in dieser Parole aus Ulrich Becks | |
semantischem Schatzkästchen ist der bürgerliche Fortschrittsgedanke, | |
schwächegedrungen, endgültig defensiv geworden. Das Ethos der | |
Arbeitsgesellschaft, in der die Kooperation aller ein gesellschaftliches | |
"Wir" und damit die Idee der Gleichheit begründete, ist ersetzt durch ein | |
Grundrecht auf lebenslange Stütze für alle. | |
Cui bono? "Wer nicht um seine eigene Existenz fürchten muss, wer sein | |
Grundauskommen hat", der könne, so steht es im 1.000-Euro-Buch, | |
"großzügiger und gelassener sein" hinsichtlich der Unterschiede zwischen | |
Arm und Reich. "Soziale Probleme", so Götz Werner im Radialsystem, "sind | |
Oberschichtenprobleme. Wenn die Oberschicht ihre Intelligenz nicht nutzt, | |
wird uns der Laden demnächst um die Ohren fliegen." | |
## Arbeit hat ihren Preis | |
Zyniker sehen darin den Kern der Grundeinkommensforderung: die Hoffnung, | |
dass man mit dem garantierten Geldversprechen die Hartz-IV-Community und | |
die kreative Jeunesse dorée auf Dauer befrieden kann. Aber darüber liegt, | |
das muss man den Autoren zugute halten, ein geschrumpftes | |
Fortschrittsprogramm, das sich mit der kargen Auspolsterung von Inseln | |
bescheidener Autonomie begnügt: ob nun Genossenschaften, private Nischen, | |
Landkommunen, kreative Hinterhöfe inmitten einer Gesellschaft, deren | |
Funktionsmechanismen unangetastet bleiben und deren Spaltungen dadurch | |
nicht geheilt werden. | |
Der Applaus der "jungen Kreativen mit dem speziellen Gemeinschaftsgefühl" | |
war groß, anschließend signierte Götz Werner die Bücher mit dem | |
1.000-Euro-Versprechen: "Wenn Sie das Buch verschenken, nachdem Sie es | |
gelesen haben, haben Sie praktisch 50 Prozent Rabatt." Die Brache gegenüber | |
dem Radialsystem lag nun im Dunkeln, nur ein paar glühende Pünktchen waren | |
noch zu sehen; und riesengroß darüber, auf der Fassade der Bundesverwaltung | |
von Ver.di, das Transparent: "Würde hat ihren Wert, Arbeit hat ihren Preis. | |
Gesetzlicher Mindestlohn". - Im Artikel 24 der Landesverfassung von NRW | |
steht der Satz: "Der Lohn muss den angemessenen Lebensbedarf des | |
Arbeitenden und seiner Familie decken." Es gibt Erfindungen, die werfen uns | |
zurück. Das gilt auch für Ideen. | |
27 Apr 2011 | |
## AUTOREN | |
Mathias Greffrath | |
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