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# taz.de -- Egon Bahr über die chinesische Politik: "Es schweigt doch niemand"
> Ein Gespräch mit Egon Bahr über Wandel durch Annäherung, Ai Weiwei und
> die Kunst der Aufklärung. Der SPD-Politiker plädiert für Geduld im Umgang
> mit China.
Bild: Das Prestige einer Großmacht zu verletzen könne einem Künstler wie Ai …
taz: Herr Bahr, brauchen China und die Chinesen Nachhilfe in der Kunst der
Aufklärung?
Egon Bahr: Sie spielen auf den Titel der Ausstellung an. Auf die
historische Epoche im 18. Jahrhundert. Die war damals umstritten. Heute ist
sie das nicht mehr. Ob die Chinesen sie als stille Aufforderung empfinden
werden, sich dieser Aufklärung zuzuwenden, werden sie selbst entscheiden.
Jedenfalls ist es für sie ungewohnt, um es einmal milde zu sagen.
Die Inhaftierung des Künstlers Ai Weiwei und vieler anderer spricht nicht
gerade für einen aufgeklärten Umgang mit den Kritikern im eigenen Land.
Das demonstriert die Nervosität der Regierung in Peking. Was damit zu tun
haben könnte, dass wir in der Zeit des unbegrenzten Netzes leben. Das hat
die arabische Welt destabilisiert. Seine Auswirkungen reichen bis nach
Deutschland. Ohne das Netz wären die Betrügereien von zu Guttenberg nicht
so schnell aufgeflogen. Und die Petition mit 25.000 Unterschriften für
Angela Merkel nicht zustande gekommen. Diese Signale hört man auch in
China. Trotzdem möchte ich zwischen diesem Fall und den Erfahrungen, die
wir seinerzeit gemacht haben, unterscheiden. Salman Rushdie hat sie vor
Kurzem so formuliert, dass kein System überlebt hat, das versucht hat, die
Kunst beziehungsweise die Künstler zu eliminieren. Und er hat dabei an die
Sowjetunion erinnert.
Wer war zur Zeit der Entspannungspolitik Ihr Ai Weiwei?
1970 hieß unser Ai Weiwei Alexander Solschenizyn. Die Sowjetunion hat
damals sogar Nobelpreisträger nicht ausreisen lassen. Und Solschenizyn war
gefährdet. Wir haben ihn herausgebracht. An allen öffentlichen normalen
Regelungen vorbei. Bei Lew Kopelew hat es etwas länger gedauert. Und danach
habe ich angefangen, mit meinen Gesprächspartnern über Sacharow zu reden.
Das war abrupt zu Ende, als der amerikanische Präsident Carter öffentlich
erklärt hat, er mache Sacharow zu seiner persönlichen Sache. Meine
Gesprächspartner kamen dann zu mir und haben erklärt, es sei ihnen verboten
worden, über Sacharow zu reden. Sie haben maliziös hinzugefügt: Wir werden
mal sehen, wie weit er kommt. Wir wissen, wie weit er gekommen ist. Erst
der dritte Nachfolger von Breschnew, Michail Gorbatschow, hat ihn aus der
Verbannung entlassen. Mit anderen Worten: Wenn ich das Prestige einer
Großmacht verletze, kann es sein, dass das, was zum Nutzen eines
Inhaftierten dienen sollte, zu seinem Schaden wird.
Ist es nicht eine Frage der Selbstachtung, ein deutlicheres Signal für
Menschenrechte und Kunstfreiheit zu setzen?
Es schweigt doch niemand. Die Solidarisierung mit Ai Weiwei ist einmütig.
Ich kenne niemanden, der den Appell zu seiner Freilassung jetzt nicht
unterstützt. Aber die Frage ist, wie weit wir kommen. Was hat das mit der
Ausstellung in Peking zu tun? Noch eine Erinnerung: Wir haben damals den
Sowjets eine Ausstellung von Günther Uecker zugemutet. Seine Nagelbilder
waren ja sogar in Deutschland umstritten. Aber sie haben sie zugelassen.
Sie haben zwar den Kopf geschüttelt. Aber doch zugelassen, dass
Interessierte dort hingegangen sind und sich ihr eigenes Bild gemacht
haben, eine eigene Meinung gebildet haben. Ich bin der Auffassung dass man
denen dankbar sein sollte, die diese Ausstellung gemacht haben. Das ist in
jedem Fall ein Verdienst. Und ich finde es, gelinde gesagt, provinziell,
wenn man überlegt, ob man die Ausstellung zurückziehen soll. Im schlimmsten
Fall ist es kontraproduktiv.
Aber es war schon eine Provokation, zum Zeitpunkt der Eröffnung der
Ausstellung einen der bekanntesten chinesischen Künstler zu verschleppen …
Natürlich war es das. Aber was sollen wir machen? Wir stehen doch vor der
Entscheidung: Entweder wir lassen das geschehen. Oder wir ziehen uns
zurück. Das würde eine langfristige Politik kultureller Zusammenarbeit
erschweren. Für die man einen langen Atem braucht. Außerdem: Zu unserer
verbalen Empörung kann die chinesische Regierung schweigen. Ich rate dazu,
das mit großer Gelassenheit zu sehen.
Passt Ihr Konzept "Wandel durch Annäherung" wirklich auf die gegenwärtige
Situation? Das stammt doch aus der Zeit des Kalten Krieges …
Jedenfalls passt es mindestens insofern dazu, als es Gelassenheit und
langen Atem braucht. Große Mächte haben nun einmal die Eigenschaft, sich
nicht öffentlich provozieren lassen zu wollen. Wenn ich damals mit den
Sowjets über unser Menschenbild hätte reden sollen, wäre das de facto dem
ideologischen Versuch gleichgekommen, dass die Gesprächspartner ihr
Menschenbild aufgeben sollen. Und das ist von einer Großmacht nicht zu
verlangen. Das ist einfach töricht. Und das gilt heute für China genauso.
Aber was ist dann die Veränderungshoffnung in einem Kulturdialog des langen
Atems?
Die Zeit. Sie wird weisen, ob Rushdie recht hat, dass kein Regime die Kunst
überleben kann.
Haben wir die Zeit? Ein Effekt der Entspannungspolitik war doch, dass sie
die Eliten stabilisierte. Der Alltag wurde für die Menschen kaum
freizügiger.
Das ist richtig. Ich möchte nur wissen, ob es ein anderes Konzept gegeben
hätte, das erfolgreicher gewesen wäre. Unser Konzept war es. Wir wussten
doch, dass in dem Moment, in dem wir mit Breschnew und Gromyko geredet
haben, viele Leute unrechtmäßig in Haft saßen. Und wir konnten denen nicht
helfen. Bis auf einzelne Fälle. Man kann sehr leicht über Menschenrechte
reden. Aber wichtiger war für mich immer, einzelnen Menschen zu helfen. Das
war mein Weg. Und das kann auch nur der Weg gegenüber China sein.
Ist es nicht trotzdem naiv, zu glauben, die Supermacht China würde sich auf
ein Konzept einlassen, deren erklärtes Ziel die Veränderung, ja
Untergrabung ihrer Macht ist?
Die Chinesen werden selbst entscheiden, welchen Weg sie gehen. Sollen wir
deshalb die Kontakte etwa abbrechen? Nein, wir waren damals froh, dass die
Wirtschaft ihren Interessen folgt. Und dabei de facto unser Konzept
unterstützt hat. Das gleiche gilt heute. Sogar für Amerika.
Die neuen Zauberworte der internationalen Politik heißen "Soft Power" und
"Cultural Diplomacy", eine sanfte Macht, ohne wirtschaftlichen Druck oder
militärische Drohungen. Reicht Kultur tatsächlich dorthin, wo die Politik
machtlos ist?
Ja. Es ist das Einzige, was so weit reicht. Sollen wir denn die klassischen
Machtmittel einsetzen? Wollen wir Krieg machen? Wollen wir versuchen, China
zu isolieren? Das wäre doch alles hirnverbrannt.
Mir fällt ein Beispiel erfolgreicher Cultural Diplomacy ein. Der Kölner
Kunstsammler Peter Ludwig. Er hat die Deutschen sowohl mit der
amerikanischen Pop-Art konfrontiert als auch mit der DDR-Malerei. Und so
ihr Weltbild verändert.
Es gibt Prozesse, die sich der Entscheidung von Regierenden entziehen.
Denken Sie an die "innere Einheit" in Deutschland. Die Arbeitslosigkeit in
Ost und West führt zu einer Abstimmung mit den Füßen. Das ist die stille,
ungeheure Kraft einer neuen kulturellen Realität. Und ich kann das Wort von
Jean Monnet, dem Begründer der Europäischen Bewegung, nicht vergessen. Wenn
er damit noch mal anfangen müsste, würde er mit Kultur anfangen und nicht
mit Kohle und Stahl, hat er einmal gesagt.
Wo sind die Grenzen der Zusammenarbeit? Meinhard von Gerkan, der Architekt
des neuen Pekinger Nationalmuseums, bewundert die großen Aufbauleistungen
der chinesischen Regierung und hält die Forderung, nicht für sie zu
arbeiten, für "weltfremd". Hat er zu viel Empathie für die Regierenden?
Nein, hat er nicht. Ich unterstütze ihn absolut. Denn es ist doch eine
ungeheuerliche Leistung dieses chinesischen Systems, unter dem ich nicht
leben möchte, dass es zum ersten Mal dafür gesorgt hat, dass es in diesem
Riesenland keinen Hunger mehr gibt. Die Vorstellung, in diesem Land
herrschten bürgerkriegsähnliche Zustände, weil Menschen hungern, ist doch
für die ganze Welt abschreckend.
Darüber darf man aber die Solidarität mit den bedrängten Individuen nicht
vergessen …
Ich bin doch nicht dafür, dass man sich desolidarisiert mit Ai Weiwei. Die
Frage ist nur, wie kann man ihm am besten helfen, statt ihm vielleicht zu
schaden.
Sollen die deutschen Museen die Ausstellung abbrechen?
Auf keinen Fall.
Sie haben die Entspannungspolitik als die "Politik der kleinen Schritte"
bezeichnet. Welcher Schritt wäre jetzt der angemessene nächste?
Die Ausstellung genauso, wie sie ist, auch genau für diese Dauer, laufen
lassen. Und sich daran zu erinnern, dass dort, wo die Gewalt ausscheidet,
mit Gewaltfreiheit die Stärke der Schwachen beginnt. Und gegenüber China
sind wir nur begrenzt stark.
27 Apr 2011
## AUTOREN
Ingo Arend
## TAGS
Egon Bahr
SPD
People of Color
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