# taz.de -- Die Bundesbank in der Identitätskrise: Alberich und der nette jung… | |
> Früher mächtigstes Finanzinstitut, leidet die Bundesbank seit der | |
> Euro-Einführung an einer Krise. Am Montag bekommt sie mit Jens Weidmann | |
> einen neuen Chef. | |
Bild: Alter Sack Bundesbank: fürs Schreddern und Entsorgen von Geldscheinen is… | |
So grau wie Frank Herzogs Haare ist das Häuflein Asche vor ihm. Angeblich | |
waren diese dürren Fetzchen und verbrannten Schnipsel mal Geldscheine, | |
1.500 Euro insgesamt. "Jetzt bitte nicht niesen und auch nicht schnell | |
bewegen", sagt Herzog, "sonst fliegt alles weg." Seine großen braunen Augen | |
blicken ins Mikroskop auf der Suche nach vertrauten Details. Und | |
tatsächlich, da, sieht man da nicht einen Teil des Tempels auf dem | |
50-Euro-Schein? | |
So geht das manchmal den ganzen Tag. Dann hat Herzog die wahre Identität | |
der bei Wohnungsbränden verkohlten, von Hunden zerfressenen oder von | |
jahrelanger Feuchtigkeit in vergessenen Verstecken zersetzten Geldscheine | |
ermittelt. Er arbeitet bei der Bundesbank in Mainz, einer Außenstelle, die | |
"Nationales Analysezentrum" heißt. | |
Herzog ist einer der zwölf Bundesbanker, die Deutschlands kaputtes Geld | |
untersuchen. 20.000 Hilfsanfragen haben ihn 2010 erreicht. Entpuppen sich | |
die Rudimente unter Herzogs Mikroskop tatsächlich als Geldscheine, erhalten | |
die Besitzer den Wert in frischen Noten von der Bundesbank ausgezahlt. | |
Doch, doch, die Bundesbank hat was zu tun. Das wird auch für Jens Weidmann | |
gelten, ihren neuen Präsidenten, der am 2. Mai offiziell sein Büro in der | |
Frankfurter Zentrale bezieht. Und trotzdem ist die Bank auch ein | |
mythologisches Wesen, ähnlich dem Zwergenkönig der Nibelungen Alberich, der | |
auf den Schatz im Berg aufpasst. | |
Früher schützte die Bank die harte D-Mark. Die inflations- und | |
kriegsversehrten Deutschen sahen sie als Bewahrerin ihres neuen Wohlstands. | |
Im Laufe der Nachkriegsjahrzehnte wurden die D-Mark so hart und Bundesbank | |
so stark, dass diese ihren Nachbarn die Bedingungen von Sparsamkeit und | |
hohen Zinsen diktierten. David Marsh, der ehemalige Herausgeber der | |
Financial Times, schrieb kürzlich: "Die Bundesbank herrschte einst über ein | |
größeres Territorium in Europa als jedes Deutsche Reich der Geschichte." | |
Aber schon vor 12 Jahren übergab die Bundesbank ihre geld- und | |
währungspolitische Macht an die Europäische Zentralbank (EZB). Vor neun | |
Jahren wurde die D-Mark endgültig ausrangiert. Von dieser Bedeutungskrise | |
hat sich die Bank bis heute nicht erholt. | |
Nun wird Jens Weidmann, der nette junge Mann, der bis vor kurzem für Angela | |
Merkel im Bundeskanzleramt die Finanzkrise verwaltete, neuer Präsident | |
dieser Institution. Im Februar musste plötzlich alles ganz schnell gehen. | |
Weidmanns Vorgänger Axel Weber schmiss das Amt hin, unter anderem weil er | |
befürchtete, sich in der Europäischen Zentralbank mit seinem harten Kurs | |
gegenüber dem verschuldeten Griechenland nicht durchsetzen zu können. | |
## Die Geldmüllmänner | |
Die EZB rettet den Euro, schleppt Griechenland durch die Krise, ihr | |
Präsident Jean-Claude Trichet schützt unser neues Geld. Welche Rolle spielt | |
die Bundesbank da überhaupt noch – außer der Rekonstruktion verbrannter | |
Geldscheine? | |
Sie betreibt auch Müllbeseitigung. Der hochgewachsene Helmut Rittgen in | |
seinem dunkelblauen Anzug legt ein ordentliches Päckchen auf den Tisch, | |
durch dessen durchsichtige Plastikfolie ein Gewirr bunter Papierstreifen | |
leuchtet. Dieses Gebinde fühlt sich an wie ein vakuumverpacktes Pfund | |
Kaffee, nur schwerer. Es enthält geschreddertes Geld im Wert von einstmals | |
50.000 Euro. | |
Rittgen weiß sehr viel über unser Bargeld. Er ist ein Kenner, er leitet die | |
entsprechende Abteilung der Bundesbank. Und es macht ihm Spaß, sein | |
Gegenüber mit Insiderwissen zu beeindrucken. Nein, diese Antwort auf seine | |
Frage sei nicht ganz richtig, verbessert er: "Die Lebensdauer der | |
durchschnittlichen Fünf-Euro-Note beträgt nur gut ein Jahr." Weil sie so | |
oft den Besitzer wechsele, sei sie schnell zerfleddert und würde von der | |
Bundesbank eingezogen und verbrannt. "500-Euro-Noten dagegen halten viele | |
Jahre." | |
Der Abteilungsleiter kennt unsere Gewohnheiten und unser Geld deshalb so | |
gut, weil die Bundesbank die Deutschen immer noch mit selbigem versorgt – | |
nicht etwa die EZB. Tatsächlich gibt die Bundesbank den Druck von | |
Geldscheinen in Auftrag, schickt das Bargeld mit Lkws zu den Geldautomaten | |
und zieht es auch wieder ein. Diesen Umlauf des Geldes steuert Helmut | |
Rittgen aus der Zentrale im Frankfurter Stadtteil Dornbusch. | |
## Der Geister der 1960er | |
Dort am Autobahnzubringer steht die Wirtschaftswunder-Variante deutscher | |
Machtarchitektur. Strebt man von der Pforte mit Uniformen, Schranke und | |
Ausweiskontrolle die schnurgerade Zufahrtstraße entlang in Richtung | |
Haupteingang, kommt ein Versailles-Gefühl auf. Ziemlich weit da hinten | |
thront quer das Hochhaus der Bank, 217 Meter breit, 17 Stockwerke Beton. In | |
Baustil und künstlerischer Ausstattung atmet es die 1960er und 1970er | |
Jahre. Manche Leute, die man drinnen trifft, sehen aus wie | |
Operettensängerin Anneliese Rothenberger oder Eduard Zimmermann von | |
"Aktenzeichen XY". | |
Ganz oben in der Vorstandsetage sind die Teppichböden weich und beige, | |
nicht hart und blau wie in den unteren Stockwerken. Am Panorama-Fenster mit | |
Blick auf die Skyline von Frankfurt weist Sprecher Benedikt Fehr fast ein | |
bisschen trotzig auf ein neues Gebäude unten links neben den japanischen | |
Kirschbäumen im Garten und sagt: "Hier wird aufgebaut, nicht abgebaut." | |
Dort residiert nun die neue Abteilung für Finanzstabilität, die man nach | |
der großen Krise dringend braucht, um das labile Finanzystem unter | |
Kontrolle zu halten. | |
Solche Ausbauten ändern aber nichts daran, dass die Bundesbank schrumpft. | |
1991 hatte sie 16.500 Beschäftigte, nächstes Jahr sollen es noch 9.000 | |
sein. Filialen in den Bundesländern werden geschlossen, demnächst die in | |
Cottbus, und frühere Tätigkeiten wie das Aussortieren abgegriffener Scheine | |
privatisiert. Das, was die Bundesbank zu tun hat, lässt sich mit viel | |
weniger Leuten erledigen – was nicht bedeutet, dass es unwichtiger | |
Kleinkram wäre. | |
Denn auch den Staat versorgt sie nach wie vor mit Geld. Wie das geht, | |
demonstriert André Bartholomae, der Leiter des Zentralbereichs Märkte, ein | |
Herr mit Einstecktuch, Krawattennadel und tropfenförmiger Goldrandbrille. | |
Es ist Mittwoch, 10.56 Uhr, die Auktion läuft noch vier Minuten. Heute | |
bietet die Bank Bundesschatzanweisungen mit 1,5 Prozent Zinsen an. | |
Geschäftsinstitute wie die Deutsche Bank oder die Commerzbank können sie | |
kaufen und an ihre Kunden weiterveräußern. Zu welchem Kurs werden die | |
Institute dem Staat seine Schuldscheine diesmal abnehmen? | |
Im Handelsraum der Bundesbank stehen die Arbeitstische in einem großen | |
Halbkreis, darauf Dutzende Bildschirme, dicke schwarze Telefonanlagen, die | |
Händler mit Headsets nehmen die Angebote der Banken entgegen. Drei, zwei, | |
eins, und Schluss, 11.00 Uhr. 7 Milliarden Euro haben die Besitzer | |
gewechselt. Die Privatbanken bekommen die Schatzanweisungen des Bundes, die | |
Bundesbank das Geld, das sie dann an die Regierung überweist. | |
Das nennt man Staatsverschuldung. Mittlerweile ist sie auf gut 2.000 | |
Milliarden Euro angestiegen. Einen großen Teil davon wickelt die Bundesbank | |
ab. Ohne eine solche Institution würde schon lange kein staatlicher Lehrer | |
mehr bezahlt und kein Schlagloch in den Straßen geflickt. | |
André Bartholomae ist stolz, dass alles so gut klappt. "Zwei bis drei | |
Minuten nach Abschluss der Auktion erfolgt die Zuteilung." Dann wissen die | |
Geschäftsbanken, wie viele Schuldpapiere des Staates sie zu dem Kurs | |
erhalten, den sie geboten haben. "Wir sind sehr schnell", sagt Bartholomae. | |
Zu Selbstzweifeln besteht für ihn kein Anlass. | |
Andreas Worms dagegen begibt sich in Verteidigungshaltung. Er leitet die | |
Abteilung für Geldpolitik. An seinem Schreibtisch hat früher der künftige | |
Präsident Jens Weidmann gesessen, bevor er ins Bundeskanzleramt wechselte. | |
Worms ist ein lockerer Typ, Sportlerfigur, auf das Jackett verzichtet er, | |
die Ärmel des Hemdes sind hochgekrempelt. Vielleicht liegt es an den | |
Fragen, dass er etwas richtigstellen muss. | |
Worms sagt: "Die Bundesbank hat ein starkes Gewicht im Rat der Europäischen | |
Zentralbank. Wir sind ein wichtiger Teil des Eurosystems." Das stimmt. Die | |
EZB hat die Bundesbank und die anderen ehemaligen Notenbanken der heutigen | |
Eurostaaten nicht ersetzt, sondern überwölbt sie. | |
Und doch ist es ganz anders als früher. Worms und seine Kollegen definieren | |
ihre harte Geldpolitik heute nicht mehr alleine, sondern müssen versuchen, | |
sie in der EZB durchzusetzen. Früher bestimmten sie Leitzinsen und | |
Inflationsbekämpfung in Deutschland – zu 100 Prozent. Andere Länder waren | |
gezwungen, sich anzuschließen. Jetzt haben Worms und seine Volkswirte 30 | |
Prozent Einfluss auf die Entscheidungen im ganzen Euroraum. Welche Rolle | |
ist wichtiger? | |
Die Bedeutung der Bundesbank in Europa sicher nicht gestärkt hat Axel | |
Webers hastiger Abschied. Nun wird vermutlich nicht er, sondern Mario | |
Draghi, der Chef der der italienischen Notenbank, neuer Präsident der EZB. | |
Aber ist das ein Schaden? Nein, Draghi wird den Euro ebenso beschützen, wie | |
Bundesbankchef Weber es getan hätte. Denn auch der Italiener lehnt es ab, | |
verschuldete Staaten wie Griechenland über Gebühr zu unterstützen und damit | |
den Wert der gesamten Währung aufs Spiel zu setzen. | |
In jedem EZB-Präsidenten steckt ein guter Teil Bundesbank. Einfach, weil | |
Deutschland die stärkste Macht im Euroraum ist und bleibt. | |
28 Apr 2011 | |
## AUTOREN | |
Hannes Koch | |
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