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# taz.de -- Europas Atomkraftwerke: Oettingers witzloser Stresstest
> Europa ist übersät mit alten Atomkraftwerken. Ein Stresstest der EU
> sollte deren Schwächen offenbaren. Kaum liegen die Kriterien auf dem
> Tisch, hagelt es Kritik.
Bild: Terrorszenario für Atomkraftwerke? Nein, danke!
BERLIN taz | Mehr als die Hälfte der Atomkraftwerke in Europa ist einer
Liste von Greenpeace zufolge veraltet: 76 von 146. Besonders drastisch
sieht es an vier Standorten in Spanien, Tschechien, Ungarn und der Slowakei
aus, in denen 13 Reaktoren nicht durch eine zweite Schutzhülle gesichert
sind – wie die havarierten AKWs in Fukushima.
Das jüngste Atomkraftwerk des Kontinents im rumänischen Cernavoda hat eine
sogenannte positive Reaktivität, die ein entscheidender Grund für die
Explosion in Tschernobyl war: Dort würde bei einer Notabschaltung die
Leistung des Reaktorkerns zunächst kurz ansteigen. Während in Deutschland
die 7 ältesten Meiler derzeit aus Sicherheitsgründen stillstehen, sind 58
Reaktoren in Europa älter als 30 Jahre – teilweise mit bekannten Problemen
wie etwa Notfallsystemen, die alle auf einmal ausfallen können.
Eigentlich wollte die EU diese Reaktoren auf Herz und Nieren prüfen, doch
die Pläne von Energiekommissar Günther Oettinger stoßen auf Kritik. Die
Prüfkriterien umfassen zwar Überschwemmungen und Erdbeben, nicht jedoch
andere Risiken wie Cyber-Attacken oder Terrorangriffe.
## "Verwässerung der Stresstests wäre Armutszeugnis"
Auch bereits bekannte Mängel an den AKWs werden nicht extra geprüft. "Eine
Verwässerung der AKW-Stresstests wäre ein Armutszeugnis für die Fähigkeit
der Europäischen Union, die größtmögliche Sicherheit bei Atomkraftwerken zu
garantieren", sagt der SPD-Politiker Jo Leinen, Vorsitzender des
Umweltausschusses im EU-Parlaments. "Oettingers vollmundige Versprechen zu
umfassenden Sicherheitsüberprüfungen aller europäischen Atomkraftwerke sind
leer", sagt Rebecca Harms, die für die Grünen im EU-Parlament sitzt. Als
problematisch sieht sie die Struktur der Tests an: Die Kriterien werden von
der Dachorganisation der Atomaufsichtsbehörden in Europa erarbeitet.
Sie sehen vor, dass die Betreiber der Kraftwerke sich selbst testen, nur
nationale Behörden können zusätzlich prüfen. Die EU-Kommission sammelt die
Daten einfach. "Die Atombehörden der EU-Länder sind empört, weil der
Stresstest ihre eigenen Prüfungen in Frage stellt", sagt Harms. Wenn die
Behörden sich selbst kontrollieren, werde kaum etwas Neues herauskommen,
kritisiert sie. Die EU-Kommission gibt an, die Behörden könnten nun zum
ersten Mal die Baupläne der Meiler einsehen, und spricht von einem
Fortschritt. "Die EU-Kommission blendet unabhängige Stimmen bisher aus",
sagt dagegen Greenpeace-Experte Jan Haverkamp.
Oettinger selbst hatte gefordert, auch Terrorszenarien müssten in die
Stresstests aufgenommen werden. Offenbar konnte er sich damit nicht
durchsetzen. Die Kommission hat bei der Sicherheit von Atomkraftwerken nur
begrenzt Mitspracherecht. "Das führt dazu, dass es für toxische Abfälle
härtere Auflagen gibt, als sie für Atommüll geplant sind", kritisiert
Haverkamp. Endgültig sollen die Kriterien für den Stresstest erst nächste
Woche festgelegt werden, die Prüfung bis Ende des Jahres abgeschlossen
sein.
4 May 2011
## AUTOREN
Ingo Arzt
## TAGS
Schwerpunkt Atomkraft
Schwerpunkt Atomkraft
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