# taz.de -- Politologe über die Globalisierungskritiker: Ach, Attacis! | |
> Ende Mai findet in Berlin ein großer Attac-Kongress statt. Die | |
> eingetragene Marke der Globalisierungskritik sieht alt aus, sie ist in | |
> den Mainstream eingegangen. | |
Bild: Globalisierungsgegner in Frankfurt: Attac-Aktivisten demonstrieren gegen … | |
Seit seiner Gründung im Jahr 2000 gilt Attac Deutschland in Medien und | |
Forschung als ein herausragender Akteur der globalisierungskritischen | |
Bewegung. Dies hängt sicherlich auch noch mit dem - mittlerweile etwas | |
verblassten - Nimbus zusammen, den viele Medien der Organisation während | |
und kurz nach den Protesten gegen den G-8-Gipfel 2001 in Genua zuschrieben. | |
Attac wurde zur „Marke für Globalisierungskritik“ (von Lucke) und gab der | |
Bewegung ein medientaugliches Gesicht. Sein Erfolg lag dabei nicht nur in | |
der anfänglich starken Präsenz, sondern auch bzw. heute fast nur noch in | |
der stetig steigenden Zahl der Mitglieder - nach eigenen Angaben in | |
Deutschland immerhin rund 23.000. | |
Attac möchte Bildungsbewegung sein, Expertise liefern und per Aktion | |
Resonanz hervorrufen. Dabei etablierte es für sich einen „neuen | |
Organisationstyp“, der Bewegungs- mit NGO-Elementen verbinden soll und der | |
seinen „weltanschaulichen Pluralismus“ als große Stärke begreift. | |
## Anspruch und Wirklichkeit | |
Doch mit der Umsetzung der eigenen Ansprüche sieht es nach über zehn Jahren | |
seines Wirkens eher schlecht als recht aus. Schlimmer noch: Attac | |
Deutschland hat auf seinem ureigensten Feld - dem Thema „Finanzmärkte“ - | |
bislang kläglich versagt. Beide Aspekte sind auf ein strukturelles | |
Grundproblem zurückzuführen. | |
Zum Ersten: Der von Attac als Stärke verkaufte „weltanschauliche | |
Pluralismus“, wonach eben jeder und jede alles einbringen kann, was dem | |
Attac-Grundkonsens nicht widerspricht, hat zur Herausbildung einer | |
thematischen Konfusion geführt, die ihresgleichen sucht. Ein Blick auf die | |
in bundesweiten AGs, in anderen Arbeitszusammenhängen oder mit | |
unterschiedlichen Wortmeldungen bearbeiteten Themen macht dies deutlich. | |
Es gibt AGs zu Grundeinkommen, Kultur, Genderfragen, Lateinamerika, | |
Welthandel und Finanzmärkten. Es gibt Arbeitszusammenhänge zu Steuern, | |
Europa, Privatisierung, geistigen Monopolrechten, Ökologie und | |
Rechtsextremismus. Und es gibt unzählige Texte, die alles Mögliche von | |
Stuttgart 21 bis Nahost behandeln. | |
Bei Aktionen, Kampagnen und Kongressen verhält es sich ähnlich diffus. Ob | |
Arbeitsbedingungen bei Lidl, Agenda 2010, Kapitalismus, Börsengang der Bahn | |
oder aktuell mal eben Atompolitik, Wachstum und der „Demokratienotstand“ - | |
alles scheint irgendwie wichtig, zu allem muss etwas gesagt und getan | |
werden. | |
Das Resultat dieser Ausrichtung kann Attac selbst nicht gefallen: Es ist | |
mittlerweile völlig unklar, für was Attac steht, was es will und welche | |
Lösungen es anzubieten hat. Die Globalisierungskritik von Attac ist zu | |
einem Sammelsurium von Einzelaspekten degeneriert, die „Marke Attac“ hat | |
außer sich selbst keinen greifbaren Inhalt. Und so ist es kein Wunder, dass | |
Attac in keinem der beackerten Felder als „Experte“ gefragt ist. | |
## Harmlos und staatsgläubig | |
Zum Zweiten: Das Beharren auf thematischer Konfusion rächt sich in der | |
Finanzkrise. Immerhin bezeichnete sich die Organisation vor ihrer | |
Umfirmierung in Attac Deutschland als „Netzwerk zur demokratischen | |
Kontrolle der internationalen Finanzmärkte“. Man sollte also meinen, dass | |
Attac diesbezüglich etwas Konkretes anzubieten hätte. | |
Doch weit gefehlt. Es gab zwar ein paar an die Medien gerichtete Aktionen | |
und ein öffentlich verhalten aufgenommenes Bankentribunal. Inhaltlich | |
präsentiert sich Attac jedoch mit einer Vielzahl von Einzelbeiträgen und | |
Analysen als bunter Basar der Möglichkeiten. Es existiert lediglich eine | |
Erklärung zur Finanzkrise, die als Wortmeldung von Gesamt-Attac verstanden | |
werden kann. Dabei handelt es sich um einen kleinen Forderungskatalog, der | |
unter der Überschrift „Das Casino schließen“ in mehreren Variationen | |
publiziert und der vom Ratschlag - also der Vollversammlung von Attac - im | |
Herbst 2008 verabschiedet wurde. | |
Darin wird zwar einerseits ein „Systemwechsel“ angemahnt, die Forderungen | |
bleiben aber eher harmlos und vor allem streng staatsgläubig: Die | |
Bundesregierung möge bitte für die Schließung von Steueroasen Sorge tragen, | |
sich für eine Finanztransaktionssteuer einsetzen, bestimmte Finanzprodukte | |
verbieten und gestützte Banken verstaatlichen. | |
Zudem sollten Banken allgemein „demokratischen Kontrollmechanismen“ - was | |
immer das auch sein soll - unterworfen werden. Die staatlichen Akteure, die | |
in der Vergangenheit per Gesetzgebung und eigenen Rückzug die Bedingungen | |
für die Finanzkrise mit schufen, gehören für Attac also zu dem Teil des | |
„Systems“, dem mit Appellen zu neuen Einsichten verholfen werden kann. | |
Diesem Glauben nach könnten die Herrschenden, nun gesalbt von besserer | |
Erkenntnis, auf einmal den Gestaltungsanspruch entwickeln, Politik gegen | |
die Interessen zu machen, für die sie bis dato Politik gemacht haben. Und | |
die Übernahme einzelner Schlagworte wie Finanztransaktionssteuer, | |
Transparenz und Kontrolle durch Vertreter der Bundesregierung war sodann | |
auch für Attac der Anlass, zu erklären, man habe den „neoliberalen | |
Mainstream im öffentlichen Diskurs“ aufgebrochen. | |
## Generalrevision angesagt | |
Dabei ist den Attacis in ihrer Staatseuphorie jedoch der wichtigste Aspekt | |
entgangen: Die Herrschenden nahmen ihre zaghaften Maßnahmen nicht mit dem | |
Ziel eines Systemwechsels vor, sondern zur Systemstabilisierung, was sich | |
ja in der Betitelung entsprechender Gesetze zeigt. Selbst die | |
Verstaatlichung der Hypo Real Estate geschah in diesem Sinne. | |
Das verbale Umschwenken verantwortlicher Politiker, das Attac als Erfolg | |
verkaufen will, erweist sich demnach keineswegs als Abkehr vom | |
„neoliberalen Mainstream“, sondern umgekehrt: Attacs Forderungen und | |
Vorstellungen erweisen sich als absolut mainstreamtauglich und sogar | |
nützlich zur Systemstabilisierung - sonst hätten die Herrschenden doch | |
niemals laut darüber nachgedacht. | |
Attac muss sich also dringend einer Generalrevision unterziehen. Man wird | |
nicht hegemoniefähig, indem man seine Forderungen in Einklang mit den | |
Vorstellungen der Herrschenden bringt. Und eine „andere Welt“ wird so erst | |
recht nicht möglich. | |
9 May 2011 | |
## AUTOREN | |
BENEDICT UGARTE CHACÓN | |
Benedict Ugarte Chacón | |
## TAGS | |
Attac | |
Bedingungsloses Grundeinkommen | |
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