# taz.de -- Debatte Globalisierungskritik: Nicht neu, aber richtig | |
> Die globalisierungskritische Bewegung hat Probleme. In der Finanzkrise | |
> kam weniger als von vielen erwartet. Das liegt auch an den Medien. Und am | |
> neoliberalen Mainstream. | |
Bild: Da war Schwung drin: Erster Attac-Kongress im Jahr 2001. | |
Ja, die globalisierungskritische Bewegung hat Probleme. Als sie in den | |
1990er Jahren aufkam, stand sie mit ihrer Kritik am neoliberalen | |
Globalisierungsmodell im fundamentalen Widerspruch zum Mainstream. | |
Privatisierung, Liberalisierung und Deregulierung wurden als Ursachen von | |
sozialer Ungleichheit und Umweltzerstörung entlarvt, dem blinden Glauben an | |
die freien Märkte wurde widersprochen, die Alternativlosigkeit neoliberaler | |
Politik widerlegt. Diese Position war richtig und neu. Deswegen hat die | |
Bewegung eine erstaunliche Dynamik erfahren. Richtig ist die Position immer | |
noch. Nur neu nicht mehr. | |
Spätestens mit der Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise ist manche Kritik am | |
Neoliberalismus zum Mainstream geworden. Attac war plötzlich der Akteur, | |
der schon immer vor all dem gewarnt hatte, was nun geschah. Und jetzt, wo | |
auch Schwarz-Gelb die Finanztransaktionssteuer will und die G 20 über | |
Bankenregulierung diskutiert, stellen Journalisten gern die Frage, wozu | |
Attac überhaupt noch gebraucht wird. | |
Ganz einfach: Weil all das nichts als fadenscheinige Rhetorik ist. In der | |
politischen Realität wird die Krise genutzt, um den Neoliberalismus in | |
einer Geschwindigkeit voranzutreiben, die zuvor undenkbar war. Die | |
Spardiktate von EU, EZB und IWF in Griechenland, Irland und Portugal sind | |
das beste Beispiel dafür. Deswegen braucht es dringender denn je eine | |
Bewegung, die ein klares "Nein" zum Neoliberalismus artikuliert. | |
## Pluralismus ist unsere Stärke | |
Eine kritische Auseinandersetzung mit Attac ist hilfreich, um | |
Schwachstellen ausfindig machen und darauf reagieren zu können. Allerdings | |
ist vieles von dem, was Benedict Ugarte vorwirft, falsch beziehungsweise | |
arg verkürzt. So kritisiert er die Pluralität von Attac, die angeblich zu | |
"thematischer Konfusion" führe. Als Beleg führt er an, dass es in Attac | |
Projektgruppen gibt, die sich mit so unterschiedlichen Themen wie sozialer | |
Sicherheit, Welthandel, Gender, Rechtsextremismus, Steuern und Finanzmärkte | |
beschäftigen. | |
Dabei übersieht er, dass dies nicht willkürlich geschieht, sondern aus dem | |
ganz bestimmten Blickwinkel der Kritik an der neoliberalen Globalisierung. | |
Neoliberalismus hat nun mal viele Folgen, vom Wegfall sozialer Sicherheit | |
über unfaire Welthandelsstrukturen, Benachteiligung von Frauen und | |
Ausländerfeindlichkeit bis hin zu Steuerdumping und spekulativen | |
Finanzattacken. | |
Ähnlich verhält es sich mit den Kampagnen. Der Autor hält es für diffus, | |
dass in verschiedenen Attac-Kampagnen die Arbeitsbedingungen bei Lidl, die | |
Agenda 2010 und der Börsengang der Bahn kritisiert werden. Mal ehrlich: Ist | |
der Zusammenhang nicht offensichtlich? Natürlich sind sowohl Niedriglöhne | |
als auch Sozialabbau und die Privatisierung öffentlichen Eigentums eine | |
Folge neoliberaler Politik. Eine Bewegung, die die neoliberale | |
Globalisierung kritisiert und Alternativen aufzeigen will, muss | |
pluralistisch aufgestellt sein. Das ist keine Schwäche, sondern eine Stärke | |
von Attac. | |
## Konkrete Gegenentwürfe | |
Darüber hinaus behauptet der Autor, dass "Gesamt-Attac" zur | |
Finanzmarktkrise inhaltlich nicht mehr zu bieten habe als die Erklärung | |
"Das Casino schließen!" aus dem Jahr 2008. Dabei übersieht er, dass im März | |
2009 gut 3.000 Menschen beim "Attac-Kapitalismuskongress" über Perspektiven | |
inner- und außerhalb des Wirtschaftssystems diskutierten und dass kurze | |
Zeit später - in einem Plagiat der Zeit - sehr konkrete | |
Alternativvorschläge in hunderttausendfacher Auflage in Umlauf gebracht | |
wurden. | |
Er übersieht zudem, dass Attac 2010 ein ausführliches Umverteilungspaket | |
vorgelegt hat, das sich als Gegenentwurf zum Sparpaket der Bundesregierung | |
versteht. 2011 folgte das Papier "Das europäische Projekt retten und | |
umgestalten!", dessen Forderungen bei der internationalen Sommerakademie im | |
August in Bewegungsstrategien umgewandelt werden sollen. | |
Benedict Ugarte meint außerdem, dass Attac zur Bankenkrise nicht viel mehr | |
zustande gebracht habe als ein "öffentlich verhalten aufgenommenes | |
Bankentribunal". Sicher, die öffentliche Resonanz war unbefriedigend. Aber | |
dass viele Medien kaum auf sachliche Kritik, sondern nur auf spektakuläre | |
Aktionen reagieren, ist kein Problem, das nur Attac hat. | |
Tatsächlich haben viele soziale Bewegungen damit zu kämpfen. Trotzdem war | |
das Bankentribunal ein wichtiges und erfolgreiches Ereignis. Ihm folgte der | |
Bankenaktionstag samt der "Financial Crimes". Sie stellten Verbindungen | |
her, die die Veröffentlichung des Gutachtens zur BayernLB möglich machten, | |
das kürzlich dank einer Hausdurchsuchung bei Attac noch mal viel | |
Aufmerksamkeit erhalten hat. | |
## Wer verbietet Hedgefonds? | |
Bei all diesen Auslassungen und Fehlern verwundert es nicht, dass auch | |
Benedict Ugartes Fazit fragwürdig ausfällt. Der Ruf nach einer | |
"Generalrevision" macht sich gut in einem angriffslustigen Beitrag. Doch | |
wie die aussehen soll, dazu sagt der Autor nichts. Kein Wunder, kennt er | |
Attac doch gut genug, um zu wissen, dass es immer wieder gut ist für neue | |
und überraschende Wege. Die Parole "Alle kehrt marsch!" allerdings kann in | |
einem stark basisorientierten Zusammenhang wie Attac überhaupt nicht | |
funktionieren - und das ist gut so! | |
Dass Attac versuche, seine Interessen mit jenen der Herrschenden in | |
Einklang zu bringen, ist zudem eine haltlose Unterstellung. Unsere | |
Forderungen werden ja nicht dadurch falsch, dass sie unter dem Eindruck der | |
Krise von mächtigen Politikern aufgegriffen werden. Und wir Attacies würden | |
uns zu Recht freuen, wenn die Finanztransaktionssteuer tatsächlich | |
eingeführt oder Hedgefonds verboten würden. | |
Gleichzeitig ist klar, dass eine Bewegung den Widerspruch zum Mainstream | |
braucht. Einen starken Beitrag dazu soll der Kongress "Jenseits des | |
Wachstums?!" leisten. Es geht darum, Ökologie und Soziales endlich | |
zusammenzudenken und politische Strategien zu entwickeln, die verhindern, | |
dass das eine gegen das andere ausgespielt wird. Die eigenen Interessen mit | |
jenen der Herrschenden in Einklang zu bringen sieht anders aus. Denn die | |
pfeifen auf die Umwelt und auf soziale Rechte. | |
12 May 2011 | |
## AUTOREN | |
Steffen Stierle | |
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