# taz.de -- Debatte arabischer Frühling: Keine Zukunft für Diktatoren | |
> Der Libyenkrieg kann noch lange dauern - am Ende wird Gaddafi sich | |
> verantworten müssen. Nun muss in Syrien der Druck auf Assad wachsen. | |
Bild: Hillary Clinton (links) und der neue Chef der arabischen Liga, Nabil Elar… | |
Der internationale Haftbefehl gegen Diktator Gaddafi kam gerade noch | |
rechtzeitig. Er wird den libyschen Oppositionellen Aufwind geben, durch | |
gezielte Angriffe das libysche Regime weiter zu schwächen. Bedeutet dies | |
nun, dass alles in kurzer Zeit beendet sein wird? Eher nicht. | |
Trotzdem sind die letzten Ereignisse ermutigend: Die Nato ist - nun auch | |
mit Hubschraubern und höherem Risiko für ihre Soldaten - gewillt, die | |
Intensität ihrer Luftangriffe zu verstärken, sie bereitet sich auf eine | |
längere Intervention vor, und die Staatengemeinschaft ist sich in ihrem | |
Ziel, dass am Ende der Intervention auch das Ende des Gaddafi-Regimes | |
stehen muss, einig. Dafür sind einige Monate ein annehmbarer Zeitraum. | |
Zynikern, die behaupten, der Haftbefehl aus Den Haag verhindere nur ein | |
zügiges Exil für Gaddafi, soll erwidert werden, dass der Internationale | |
Strafgerichtshof genau dies zur Aufgabe hat: zu verhindern, dass Diktatoren | |
sich irgendwo auf der Welt nett einrichten können und ihrer gerechten | |
Strafe entgehen. Damit sendet er auch ein klares Signal an den syrischen | |
Diktator Assad und insgesamt an alle Unrechtsregime. Institutionen wie die | |
in Den Haag brauchen Zeit - viel zu oft zu viel Zeit -, um aktiv zu werden; | |
aber der lange Atem lohnt sich. | |
## Neunmalkluger Westerwelle | |
Nachdem die Nato das Kommando übernahm und die Angriffe nachließen, sah es | |
für eine Weile so aus, als könnte Gaddafi darauf setzen, die internationale | |
Staatenwelt wäre gleichzeitig in ihren Zielen gespalten und einig darin, | |
keine Bodentruppen entsenden zu wollen. Es muss hier nicht noch einmal im | |
Detail dargelegt werden, welch fatale Rolle Westerwelles Enthaltung im | |
UN-Sicherheitsrat in Gaddafis perfider Kalkulation gespielt hat. | |
Betont werden muss nur noch, dass sie letztendlich keinen Einfluss auf | |
reale Prozesse hatte. Denn der neunmalkluge Spruch von Westerwelle, in | |
Libyen müsse eine politische Lösung gefunden werden, war etwas, was alle an | |
der Intervention Beteiligten längst auf dem Schirm hatten, ohne dabei zu | |
vergessen, dass man einen Diktator nicht durch freundliches Zureden von | |
weiteren Verbrechen abhalten kann; und dass daher militärisches Handeln | |
unvermeidbar war und ist. | |
Nur so kann der libyschen Zivilgesellschaft ein sicherer Raum geschaffen | |
werden, um die politische Konfliktlösung zu organisieren: Freie Wahlen, | |
eine demokratische Verfassung und eine hoffentlich bessere Zukunft ihres | |
Landes. Gaddafis Machtapparat hat diese Sehnsucht nach Freiheit, mit der | |
gerade in Deutschland oft herablassend umgegangen wird, nie ganz zerstören | |
können. Die Libyer haben der Welt eindrucksvoll gezeigt, dass sie sowohl | |
für Unterstützung werben als auch in einer Transformationsphase das | |
Schicksal ihrer Gesellschaft selbst in die Hand nehmen können. | |
## Nato nach Syrien? | |
Mal angenommen, es gelänge der Nato schon in den nächsten Wochen, die | |
Mission in Libyen erfolgreich zu beenden - bedeutete dies, dass dann | |
Kapazitäten für Syrien frei würden? Jedenfalls muss über die Möglichkeiten, | |
militärischen Druck auf Baschar Assad auszuüben, schon jetzt intensiv | |
nachgedacht werden. Die syrische Opposition fordert dies erst für den Fall, | |
dass Sanktionen scheitern. Assad - so viel kann heute jeder wissen - ist | |
zum erbarmungslosen Kampf gegen die Syrer bereit. | |
Sanktionen müssen so stark sein, dass klar wird: Ein Syrien mit Assad darf | |
es nicht mehr geben. In einem von Großbritannien, Frankreich, Deutschland | |
und Portugal dem UN-Sicherheitsrat vorgelegten Papier soll nun die Tötung | |
und Folter friedlicher Demonstranten durch Truppen Assads verurteilt sowie | |
ein sofortiges Ende der Gewalt gefordert werden. Außerdem soll das Regime | |
aufgefordert werden, umgehend Schritte einzuleiten, um echte politische | |
Teilhabe zu erlauben. Und schließlich will auch der G-8-Gipfel im | |
französischen Deauville die Gewaltanwendung in Syrien verurteilen. | |
Das ist ein neuer Ton. Noch am 4. Februar diesen Jahres sagte | |
Bundesverkehrsminister Ramsauer (CSU) anlässlich eines Besuchs in Damaskus: | |
"Ich messe dem autokratischen System in Syrien eine vergleichsweise hohe | |
Stabilität bei. Das kann man mit Ägypten und Tunesien nicht ganz | |
vergleichen. […] Syrien hat im Nahen Osten eine politische und | |
wirtschaftliche Schlüsselfunktion." Bei seinem "Kurzbesuch" habe es "kaum | |
eine Möglichkeit" gegeben, Menschenrechtsfragen anzusprechen. | |
In den vergangenen Jahren hatte sich aber nicht nur Europa sehr | |
Assad-freundlich gezeigt. Auch mehrere hochrangige US-Politiker - allen | |
voran der ehemalige Präsidentschaftskandidat und Senator John Kerry - | |
machten sich für eine Einbindung des syrischen Regimes stark. Um den | |
gesamten Globus ging der Mythos, Assad sei ein leidenschaftlicher Reformer | |
und ein kalkulierbarer Partner für den Westen. Dieser Mythos hat sich | |
endgültig erledigt - zu einem hohen Preis: Assad hat das Blut unschuldiger | |
Syrer vergossen und durch eine eklatante Provokation an der Grenze zu | |
Israel gezeigt, dass er lieber einen neuen Krieg riskiert als sein Land aus | |
dem Würgegriff der Diktatur zu entlassen. | |
## Der Opposition wirklich helfen | |
Nun endlich hat sich die EU zu etwas stärkeren Sanktionen durchgerungen. | |
Doch obwohl auch die USA ihre Sanktionsmaßnahmen verstärkt haben, hat sich | |
Präsident Obama in seiner Nahostrede vergangene Woche nicht eindeutig dazu | |
bekannt, dass der Folterer Assad nicht mehr Teil der syrischen Zukunft sein | |
kann. Der Umgang der internationalen Gemeinschaft mit der syrischen | |
Protestbewegung könnte nicht enttäuschender sein. Es ist zu hoffen und | |
gleichzeitig zu fordern, dass sich insbesondere Europa an die eigenen Werte | |
erinnert und entschiedener handelt, bevor es zu spät ist. | |
Was nach Assad kommen soll, diese Frage müssen die Syrer selbst | |
beantworten. Der Opposition in Damaskus vorwiegend mit Zweifeln und Ängsten | |
zu begegnen - wie schon mit den libyschen Freiheitskämpfern geschehen -, | |
und damit weiterhin eine verantwortungsfreie Zuschauerposition gegenüber | |
dem Leid der syrischen Gesellschaft einzunehmen, wäre armselig. Und | |
kurzsichtig: Denn die Tage von Baschar Assad sind gezählt. Genauso wie auch | |
Gaddafi fast schon Geschichte ist. | |
27 May 2011 | |
## AUTOREN | |
Saba Farzan | |
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