# taz.de -- Aus "Le Monde diplomatique": Die palästinensische Harmonie-Revolte | |
> In Ramallah und Gaza ist der "arabische Frühling" spät gekommen – mit | |
> besonderen Forderungen: Junge Palästinenser wollen von ihren Politikern | |
> weniger Streit. | |
Bild: Sollte der Frieden in Gaza nicht kommen, legen sich diese Kinder wohl bal… | |
Jahrzehntelang waren die Palästinenser für die gesamte arabische | |
Öffentlichkeit ein bewundertes Vorbild, sowohl wegen ihrer Standhaftigkeit | |
angesichts der israelischen Okkupation als auch wegen ihrer Bereitschaft | |
zum aktiven Widerstand, der sich bereits zweimal in einer längeren | |
Rebellion gegen die israelische Unterdrückung geäußert hat. | |
Es waren die Palästinenser, die den Rest der arabischen Welt mit dem Wort | |
"Intifada" vertraut gemacht haben. Als die tunesischen Demonstranten ihren | |
Diktator Ben Ali verjagten und die ägyptischen Massen die Schläger der | |
Mubarak-Polizei überwältigten, ließen sich in beiden Ländern zweifellos | |
viele Menschen von den Palästinensern inspirieren. | |
Umso paradoxer ist es, dass die Palästinenser während der letzten Monate, | |
in denen die arabische Welt einen politischen Aufbruch erlebte, weitgehend | |
unsichtbar blieben. Sie standen nicht etwa an der Spitze der Unruhen, | |
sondern mussten zusehen, wie ihr eigener politischer Kampf in Vergessenheit | |
geriet. | |
Doch jetzt regt sich der "arabische Frühling" mit einiger Verspätung auch | |
im geteilten Territorium Palästinas, im Westjordanland und im Gazastreifen. | |
Am 4. Mai unterzeichneten die Führungen der Fatah und der Hamas ein | |
Versöhnungsabkommen – und zwar in Kairo, dem Ort der machtvollsten | |
arabischen Volkserhebung. Wenn alles nach Plan läuft, werden sie eine | |
Regierung der nationalen Einheit bilden, bis im nächsten Jahr allgemeine | |
Wahlen stattfinden können. Die praktischen Details der Vereinbarung sind | |
noch unklar. Das gilt vor allem für die Frage, wie die zwei Fraktionen, die | |
beide eigene bewaffnete Milizen unterhalten, sich die sicherheitspolitische | |
Kooperation zwischen dem Fatah-kontrollierten Westjordanland und dem von | |
der Hamas regierten Gazastreifen vorstellen. | |
Israel ist entschieden gegen das Abkommen. Am Tag der Unterschrift in Kairo | |
sprach Ministerpräsident Netanjahu von einem "großen Sieg für den | |
Terrorismus". Und die US-Regierung begrüßte die Versöhnung nur kühl. Beide | |
Regierungen befürchten, das Abkommen könnte das Ende der seit vier Jahren | |
betriebenen Blockadepolitik gegenüber dem Gazastreifen einläuten, mit der | |
die Hamas in Schach gehalten und geschwächt werden sollte. | |
## | |
Die Ägypter, die zwischen Fatah und Hamas vermittelten, hatten zuvor | |
bereits ihre Bereitschaft erklärt, ihre Grenze zum Gazastreifen wieder zu | |
öffnen. Das aber würde die Blockade der Israelis unwirksam machen. Zudem | |
herrscht in Jerusalem und Washington die Befürchtung, eine geeinte | |
politische Führung werde die Position der Palästinenser stärken, sollten | |
sie im September bei der UN-Vollversammlung versuchen, die offizielle | |
Anerkennung eines palästinensischen Staates durchzusetzen, wie es Mahmud | |
Abbas, der Präsident der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA), bereits | |
angekündigt hat. | |
Die Versöhnung zwischen Abbas’ säkularer Fatah-Partei und der | |
islamistischen Hamas scheint das erste Resultat einer Social-Media-Kampagne | |
palästinensischer Jugendgruppen zu sein, die ganz bewusst nach dem Vorbild | |
der Revolten in Tunesien und Ägypten aufgezogen wurde. In den arabischen | |
Ländern machten die Jugendlichen aus Facebook und Twitter wichtige | |
Instrument, um die Repression der Regime zu unterlaufen und oppositionelle | |
Kundgebungen zu organisieren, die zuvor undenkbar waren. Auch in Palästina | |
hat man begonnen, sich die neuen Medien nutzbar zu machen, ohne dass es | |
bislang zu ähnlichen Massendemonstrationen gekommen wäre. | |
Das erklärt sich zum Teil daraus, dass die Palästinenser schlicht erschöpft | |
sind. Und zutiefst entmutigt angesichts der Tatsache, dass Israel, trotz | |
der jahrzehntelangen Kämpfe gegen die Besatzung, seine Präsenz in den | |
palästinensischen Gebieten immer weiter gefestigt hat. Selbst während der | |
langen zweiten Intifada hat Israel seine Siedlungen im Westjordanland | |
erfolgreich ausgebaut und begonnen, auch auf palästinensische Hochburgen in | |
Ostjerusalem wie Scheich Dscharrah und Silwan überzugreifen, die in der | |
Nähe der Altstadt und der heiligen Stätten liegen. | |
Ein Großteil der jüngsten Siedlungsaktivitäten – inzwischen wohnt eine | |
halbe Million jüdischer Israelis auf besetztem palästinensischen Land – | |
vollzog sich in einer Periode, in der die USA offiziell behaupteten, die | |
Sache der Palästinenser zu unterstützen. Deshalb haben die Palästinenser in | |
den letzten beiden Jahren erkannt, dass selbst das Weiße Haus den Israelis | |
nicht einmal ein kleines Zugeständnis wie das Einfrieren des Siedlungsbaus | |
abringen kann, um den Friedensprozess am Leben zu halten. | |
## Verzierte Schekel-Scheine | |
Es gibt aber noch einen weiteren wichtigen Grund für die Zurückhaltung der | |
palästinensischen Massen: Man weiß nicht, wo der Kampf für die Befreiung | |
beginnen soll. Khaled Abu Toameh, ein palästinensischer Journalist, der in | |
der rechtsgerichteten israelischen Tageszeitung Jerusalem Post schreibt, | |
erklärt das Problem wie folgt: "Falls und wenn die Palästinenser zu | |
revoltieren beginnen, werden sie in alle Richtungen feuern: gegen Fatah und | |
Hamas, gegen Israel, gegen die UN, die USA und andere westliche Mächte | |
sowie gegen die arabischen Regime, denen sie vorhalten, dass sie die | |
Palästinenser in all den Jahren alleingelassen haben." | |
Diese Verwirrung kommt auch in den unterschiedlichen Kampagnen zum | |
Ausdruck, die idealistische junge Palästinenser in den sozialen Medien | |
lanciert haben. Auf einer Facebook-Seite schlägt etwa ein junger Mann vor, | |
Parolen gegen die Besatzung auf Geldscheine zu schreiben, zum Beispiel: | |
"Befreit Palästina". Die Schekel-Scheine sind ein Symbol der Besatzung und | |
der ökonomischen Abhängigkeit, weil Israel damit den Handel und den | |
Geldumlauf der Palästinenser kontrolliert. | |
Der Initiator dieser Facebook-Kampagne, Salah Barghouti aus Ramallah, | |
hofft, dass die so verzierten Schekel-Scheine sich auch in Israel | |
verbreiten: "Unser Ziel ist, dass diese Banknoten bei israelischen | |
Politikern und sogar bei Regierungschef Netanjahu ankommen, sodass auch sie | |
die Botschaft lesen." Weniger realistisch ist seine Hoffnung, dass eine | |
Antibesatzungsparole auf einem 100-Schekel-Schein die Einstellung | |
Netanjahus – oder der Israelis insgesamt – tiefgreifend verändern könnte. | |
Auf einer anderen Facebook-Seite wurde für den 15. Mai – dem 63. Jahrestag | |
der Gründung Israels 1948 – zu einer dritten Intifada aufgerufen. Die Seite | |
wurde zwar von Facebook gesperrt, fand aber hunderte Nachahmer. Ihr Inhalt | |
verdeutlicht allerdings die gravierenden Probleme bei solchen Bemühungen, | |
eine Revolte über die neuen Medien zu organisieren. | |
So lassen viele der Kommentare und Debatten auf dieser Webseite erkennen, | |
dass deren Anhänger – wenn nicht ihre Begründer – nicht in den besetzten | |
Gebieten leben. Viele wollten wissen, wie die Millionen junger | |
Palästinenser im Libanon, in Jordanien oder in Syrien ihre Forderung nach | |
einem freien Palästina zum Ausdruck bringen können. Ihnen wurde | |
vorgeschlagen, an den Grenzen zu Israel zu protestieren. Aber damit würden | |
sie nicht israelischen Soldaten, sondern den jordanischen, syrischen und | |
libanesischen Sicherheitskräften gegenüber stehen. | |
Die bislang erfolgreichste und spektakulärste Kampagne wurde von einer | |
Gruppe gestartet, die sich als "Bewegung des 15. März" bezeichnet, in | |
bewusster Anlehnung an die "Bewegung des 25. Januar" in Ägypten. Sie umgeht | |
das schwierige Thema der "Befreiung", indem sie zur Versöhnung innerhalb | |
der tief gespaltenen palästinensischen Nationalbewegung aufruft, also | |
zwischen der Fatah-Führung im Westjordanland und der Hamas, die im | |
Gazastreifen regiert. | |
Die Parole dieser Bewegung lautet: "Die Menschen wollen ein Ende der | |
Spaltung." Sie geht also realistischerweise davon aus, dass ohne politische | |
Einheit eine erfolgreiche dritte Intifada gar nicht denkbar ist. Aber sie | |
hatte auch andere Gründe, ihre Kampagne auf dieses Ziel auszurichten. Einer | |
davon ist die schlechte wirtschaftliche Situation in den besetzten | |
Gebieten: Die protestierenden Palästinenser haben dasselbe soziale Profil | |
wie ihre Altersgenossen in Ägypten. Die meisten haben einen akademischen | |
Abschluss, etliche auch von Universitäten im Ausland, finden aber | |
angesichts der stagnierenden Wirtschaft im Westjordanland und im | |
Gazastreifen keine Arbeit. Zu dieser Situation hat, wie sie glauben, auch | |
die Spaltung zwischen Fatah und Hamas beigetragen, weil die beiden | |
rivalisierenden Fraktionen ihre Anhänger gezielt mit Jobs versorgen. Bei | |
dieser Vetternwirtschaft kommen junge Leute ohne Parteibindung natürlich zu | |
kurz. | |
Hinzu kommt, dass die palästinensische Führung, anders als die Regime der | |
meisten arabischen Staaten, über eine gewisse demokratische Legitimität | |
verfügt. Sowohl die Hamas-Regierung in Gaza als auch Präsident Abbas in | |
Ramallah sind aus freien und korrekten Wahlen hervorgegangen. Aber die | |
überfälligen Neuwahlen konnten bislang nicht stattfinden, weil zwischen | |
beiden politischen Lagern quasi ein Kriegszustand herrschte. Die Versöhnung | |
ist also eine Voraussetzung für die Abhaltung von Wahlen und ein größeres | |
Maß an Verantwortung der politischen Mandatsträger gegenüber der | |
Bevölkerung. | |
## | |
Die Demonstrationen für die "politische Einheit" fanden im Lauf des März in | |
allen Städten des Westjordanlands und in Gaza-Stadt statt. Die Teilnehmer | |
waren aufgefordert, nur die palästinensische Flagge und keine Parteifahnen | |
mitzubringen. Doch die Beteiligung war (jedenfalls verglichen mit Kairo) | |
eher enttäuschend: in Ramallah, Nablus, Hebron und Bethlehem kamen jeweils | |
nur ein paar tausend Menschen, in Gaza waren es immerhin etwa 15.000. Aber | |
selbst diese bescheidenen Zahlen sind irreführend. Insbesondere die | |
Kundgebung in Gaza wurde von Parteigängern der Hamas quasi gekidnappt. Und | |
sobald die Kamerateams und die meisten Leute nach Hause gegangen waren, | |
wurde der harte Kern der Demonstranten von den Sicherheitskräften bedrängt, | |
verprügelt und sogar verhaftet. Beide politischen Fraktionen, die Fatah wie | |
die Hamas, wollten den Protest lediglich für ein, zwei Stunden zulassen. | |
Das eigentlich Bedeutsame an der Forderung nach Einheit ist, dass die | |
Demonstranten damit das Ziel der Befreiung – ob nun von israelischen | |
Besatzung oder der Repression durch ihre eigenen Führungen – in den | |
Hintergrund rückten. Statt sich gegen repressiven Regime aufzulehnen, wie | |
in Tunesien und Ägypten geschehen, forderte die Bewegung des 15. März ihre | |
eigenen Führungen zu einer engeren Zusammenarbeit auf. Damit sprach sie ein | |
Problem an, mit dem sich die palästinensische Nationalbewegung seit den | |
bewaffneten Auseinandersetzungen der beiden Fraktionen im Gazastreifen 2007 | |
herumschlägt. Seither schienen sich Fatah wie Hamas darauf zu beschränken, | |
ihre eigenen Herrschaftsbereiche zu verwalten, während Israel und die USA | |
bemüht waren, die Spaltung in zwei Palästinas noch zu vertiefen. | |
Dieser Zustand war in letzter Zeit für beide Fraktionen immer unhaltbarer | |
geworden. Die Demonstrationen vom 15. März spiegelten deshalb, obwohl sie | |
keine großen Massen mobilisierten, eine weit verbreitete Unzufriedenheit | |
der Palästinenser über die Orientierungslosigkeit ihrer Führung. Hamas wie | |
Fatah befürchteten eine Eskalation der Proteste, und das Abkommen von Kairo | |
entspringt offenbar dem Kalkül beider Lager, dass eine Versöhnung für sie | |
die beste Chance darstellt, sich an der Macht zu halten. | |
## Nach dem Sturz Mubaraks | |
Vor allem Abbas hat allen Grund, eine neue Einheit anzustreben. Vor der | |
Absetzung von Mubarak hatte der Präsident der Autonomiebehörde jede | |
Demonstration von Solidarität mit dem ägyptischen Aufstand brutal | |
unterdrücken lassen. Mubarak war sein wichtigster Verbündeter in der | |
arabischen Welt und zugleich sein einziges Bollwerk gegen Israel. Die | |
anderen arabischen Führer sind mit ihren eigenen Problemen mehr als | |
ausgelastet. Viele von ihnen sind nicht einmal sicher, ob ihr Regime die | |
kommenden Monate überleben wird. Abbas ist folglich auf sich allein | |
gestellt. | |
Der Kampf seiner PA steht völlig im Schatten der "arabischen Revolution". | |
Zudem ist seine eigene Glaubwürdigkeit auf null gesunken, seit al-Dschasira | |
die sogenannten Palästina-Papiere veröffentlich hat, aus denen hervorgeht, | |
dass seine Unterhändler in den geheimen Friedensverhandlungen mit Israel in | |
den meisten Punkten kampflos nachgegeben haben. Der einzige Ausweg aus | |
dieser misslichen Lage besteht darin, eine Internationalisierung des | |
Palästina-Konflikts anzustreben. Genau das versucht Abbas, indem er im | |
September bei der UN-Vollversammlung die Anerkennung eines | |
Palästinenserstaats anstrebt. Aber auch eine solche Anerkennung bliebe ein | |
rein symbolischer Akt, wenn Abbas nicht die internationale Unterstützung | |
als legitimer Präsident der PA genießt, der sein Volk auf demokratische | |
Weise repräsentiert. | |
Sobald Mubarak gestürzt war, hat Abbas bezeichnenderweise die Taktik | |
gewechselt und Neuwahlen gefordert. Und nach den Demonstrationen vom 15. | |
März machte er das Angebot, nach Gaza zu fahren und mit der Hamas-Führung | |
über die politische Einheit zu sprechen. Sein Ministerpräsident Salam | |
Fayyad, ein Technokrat, der großen Rückhalt im Weißen Haus, aber nicht bei | |
den palästinensischen Wählern genießt, versprach die Bildung einer neuen, | |
politisch breiteren Regierung. Um sein Kabinett "repräsentativer" zu | |
machen, kündigte er einen Dialog mit der palästinensische Jugend an – | |
natürlich über Facebook. Derzeit ist aber völlig offen, ob Fayyad in einer | |
Interimsregierung nach der Versöhnung noch Ministerpräsident bleiben kann. | |
Die Hamas schätzt die Lage zwar anders ein, drängte jedoch ebenfalls – wenn | |
auch weniger begeistert – auf eine Aussöhnung. Ihr offizielles Programm des | |
bewaffneten Widerstands erscheint den Palästinenser derzeit weniger | |
attraktiv. Zum einen, weil es so aussieht, als könnte Abbas den Israelis | |
vor den UN – also auf diplomatischer Ebene – eine Niederlage bereiten; zum | |
anderen, weil die Tunesier und Ägypter demonstriert haben, dass ein | |
gewaltloser Aufstand erfolgreich sein kann. | |
## | |
Im Übrigen ist die Hamas, genau wie Abbas, in der arabischen Welt zunehmend | |
isoliert. Ihre Exilführung, die mit Chaled Meschal in Damaskus sitzt, muss | |
befürchten, dass sie demnächst die Protektion des syrischen Präsidenten | |
Baschar al-Assad verliert, dessen Regime durch eine massenhafte Rebellion | |
erschüttert wird. Und Ägypten, das gerade dabei ist, seine Führungsrolle in | |
der arabischen Welt wiederzuerlangen, spielt den Paten und Gönner sowohl | |
der Hamas als auch der Fatah. | |
Was der Hamas zugutekommt, ist die Tatsache, dass die neue Regierung in | |
Kairo dem Druck der öffentlichen Meinung in Ägypten stärker ausgesetzt ist. | |
Sie muss zwangsläufig größere Sympathien mit dem antiisraelischen | |
Widerstand der Hamas zeigen als auch die humanitären Nöten der Bevölkerung | |
in Gaza stärker berücksichtigen. Das zeigte sich bereits in der Ankündigung | |
des ägyptischen Außenministers Nabil al-Arabi, dass man den Grenzübergang | |
zum Gazastreifen in Rafah öffnen werde – womit die von Israel und den USA | |
praktizierte Blockadepolitik am Ende wäre. Die Hamas erhofft sich von | |
diesem Beschluss eine Stärkung ihrer Herrschaft in Gaza und neue Waffen, um | |
künftigen Angriffen Israels besser begegnen zu können. | |
Wie brüchig die Versöhnung zwischen Fatah und Hamas ist, zeigte sich jedoch | |
bereits während der Unterzeichnung des Abkommens in Kairo: Die Zeremonie | |
begann mit Verspätung, weil der Hamas-Führer Meschal darauf bestand, neben | |
Abbas auf dem Podium zu sitzen und nicht unter den anderen | |
palästinensischen Delegierten im Parkett. | |
Netanjahu hat bereits angedeutet, dass er eine neue palästinensische | |
Interimsregierung als Rechtfertigung benutzen will, um sich Verhandlungen | |
weiterhin zu verweigern. Israel dürfte zudem versuchen, die neue | |
palästinensische Einheit durch verschiedene Maßnahmen zu torpedieren. So | |
hat Netanjahus Finanzminister Juval Steinitz bereits verkündet, man habe | |
die Überweisung von Steuergeldern an die PA gestoppt. Zudem könnte Israel | |
bei den USA und den EU-Staaten darauf dringen, die Hilfsgelder für die PA | |
einzufrieren. Darüber hinaus könnte man die Zusammenarbeit mit der PA in | |
Sicherheitsfragen einstellen oder sogar die gezielte Tötung von | |
Hamas-Politikern wieder aufnehmen. | |
Für den Fall, dass eine große Mehrheit der UN-Mitgliedstaaten im kommenden | |
September einen Palästinenserstaat innerhalb der Grenzen von 1967 | |
anerkennen sollte, würde Israel alles tun, um diesen Erfolg substanziell | |
auszuhöhlen. Als Vergeltungsmaßnahme wurde bereits angedroht, weitere | |
Siedlungen in den besetzten Gebieten zu bauen oder gar die größten | |
Siedlungsblöcke offiziell zu annektieren. Unklar bleibt auch, wie die | |
Palästinenser einen vereinigten Staat schaffen wollen, wenn die israelische | |
Seite keinen freien Verkehr zwischen dem Westjordanland und Gaza zulässt. | |
Sollte die palästinensische Einheit nicht von Dauer sein oder sollten sich | |
die Hoffnungen auf einen funktionsfähigen Staat nach dem September 2011 | |
nicht erfüllen, könnten die Palästinenser zu dem Schluss kommen, dass die | |
Zeit reif sei für eine neue Revolte von unten und dass sich diese gegen den | |
wahren Urheber ihres Elends, nämlich Israel, richtet. | |
Doch auf dieses Szenario ist Israel vorbereitet. Nach israelischen | |
Medienberichten herrscht in der Armeeführung große Sorge, dass die | |
palästinensische Facebook-Generation eine neue Bürgerrechtsbewegung ins | |
Leben rufen könnte – und zwar eine gewaltlose. Das Modell gibt es bereits: | |
mit der ersten Intifada, die zur Bildung der Autonomiebehörde führte, und | |
mit den über viele Jahre gehenden Protestaktionen im Westjordanland, bei | |
denen sich Dorfbewohner gegen den Landraub durch den Bau der israelischen | |
Trennmauer gewehrt haben. Bislang hat jedes Dorf den Kampf um seine Felder | |
und Olivenhaine allein geführt. Aber wenn die in den Städten entstandene | |
Bewegung des 15. März ihren Kampf mit den Dorfbewohnern koordinieren | |
sollte, könnte daraus ein machtvoller Widerstand entstehen. | |
Die israelische Armee hat als Vorbereitung auf ein solches Szenario bereits | |
schnelle Eingreiftrupps gebildet, die an strategischen Punkten des | |
Westjordanlands stationiert sind und Massenproteste im Keim ersticken | |
sollen. Ihr größte Sorge ist, dass palästinensische Demonstranten auf die | |
Siedlungen, die Grenzkontrollstationen und die Trennmauer marschieren | |
könnten. Offiziere der israelischen Armee haben bereits angekündigt, dass | |
sie in einem solchen Fall das Feuer eröffnen werden. | |
Aus dem Englischen von Niels Kadritzke | |
29 May 2011 | |
## AUTOREN | |
Jonathan Cook | |
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