# taz.de -- Kommentar Vorratsdatenspeicherung: Der allseits ignorierte Kompromi… | |
> Der Kompromissvorschlag der Justizministerin zur Vorratsdatenspeicherung | |
> wird von allen Seiten ignoriert - auch von ihr selbst. | |
Kein Zweifel, hier geht es wirklich um etwas. Der Streit um die | |
Vorratsdatenspeicherung ist die zentrale kriminalpolitische | |
Auseinandersetzung dieser Legislaturperiode. Soll der Staat vorsorglich die | |
Speicherung aller Telefon- und Internetverbindungsdaten anordnen, nur damit | |
die Polizei im Fall eines Verdachts oder einer Gefahr darauf zugreifen | |
kann? Im Kern geht es bei der Vorratsdatenspeicherung um die Frage, ob und | |
in welchem Ausmaß wir einen Überwachungsstaat akzeptieren, bei dem die | |
Polizei Beweise ohne Anlass und auf Vorrat speichern lässt. | |
Es ehrt Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP), dass sie | |
hier nicht vorschnell nachgibt wie ihre SPD-Vorgängerin Brigitte Zypries, | |
die es bereits als Erfolg verkaufte, dass die Vorratsdatenspeicherung in | |
Deutschland nur sechs Monate dauern soll, während andere EU-Staaten eine | |
Speicherung von zwei oder drei Jahren forderten. | |
Jetzt hat Leutheusser-Schnarrenberger einen Gesetzentwurf vorgelegt, der | |
mehr Kompromisspotenzial enthält als die Debatte der letzten Tage vermuten | |
lässt. Zwar will die Ministerin bei den Telefondaten ("Wer telefonierte von | |
wo wann mit wem wie lange") nicht auf Vorrat speichern, sondern nur | |
vorhandene Daten im Verdachtsfall einfrieren ("Quick Freeze"). Aber bei den | |
Internet-Daten ("wer war mit welcher IP-Adresse wann im Netz") enthält ihr | |
Entwurf immerhin eine siebentägige Vorratsspeicherung. | |
Bundesdatenschützer Peter Schaar hat bereits ähnliches vorgeschlagen, er | |
vermutet, dass damit die drängendsten Bedürfnisse der Polizei befriedigt | |
wären. Doch Leutheusser-Schnarrenberger und die FDP tun so, als gäbe es | |
dieses Kompromissangebot gar nicht. In der medialen Darstellung betonen sie | |
nur das Quick-Freeze-Verfahren, nicht aber die eigene | |
Vorratsdatenspeicherung light. | |
Gerade so, als hätten die Beamten des Ministeriums diesen Passus gegen den | |
Willen der Ministerin in den Gesetzentwurf geschmuggelt. | |
Leutheusser-Schnarrenberger will in der öffentlichen Wahrnehmung | |
offensichtlich nicht mit Kompromissbereitschaft punkten, sondern mit | |
Standfestigkeit. | |
## Überlegungen für Leute, die über die nächste Wahl hinausdenken | |
Bei der Union ist spiegelbildlich das gleiche zu beobachten, als habe man | |
sich abgesprochen. Niemand erwähnt, dass Leutheusser-Schnarrenberger jetzt | |
trotz grundsätzlicher Bedenken auch eine (eng begrenzte) Vorratspeicherung | |
vorschlägt. Alle erklären nur, wie unzureichend sie eine | |
Quick-Freeze-Regelung finden ("wo nichts gespeichert ist, kann auch nichts | |
eingefroren werden"). | |
Offensichtlich haben beide Seiten überhaupt kein Interesse an einem | |
Kompromiss. Der Justizministerin scheint es zu genügen, wenn während ihrer | |
Amtszeit keine Vorratsdatenspeicherung eingeführt wird. Sie weiß: die | |
Mühlen der EU mahlen langsam. Bis die EU-Kommission beim EuGH ein | |
Zwangsgeld gegen Deutschland erwirkt, können noch Jahre vergehen. Dann ist | |
die FDP längst nicht mehr in der Regierung und sie nicht mehr im Amt. | |
Die Überlegung von Peter Schaar, dass mit einem deutschen Minimalkompromiss | |
die derzeit laufende Überprüfung der EU-Richtlinie im bürgerrechtlichen | |
Sinn beeinflusst werden kann, scheint sie daher nicht zu interessieren. Das | |
sind Überlegungen für Leute, die über die nächste Wahl hinausdenken. | |
Aber auch die fehlende Kompromissbereitschaft der Union sagt einiges über | |
deren Prioritäten aus. Offensichtlich hält die Polizei (oder jedenfalls die | |
Union) die Einführung einer Vorratsspeicherung von Telefon- und | |
Internetdaten lang nicht für so wichtig, wie immer getan wird. Lieber | |
riskiert man, dass die nächsten Jahre gar nichts passiert, als nun einem | |
Kompromiss unterhalb EU-Niveau zuzustimmen. Es scheint also durchaus ohne | |
Vorratsspeicherung zu gehen. Auch das ist gut zu wissen und sollte von der | |
Öffentlichkeit richtig gedeutet werden. | |
13 Jun 2011 | |
## AUTOREN | |
Christian Rath | |
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