# taz.de -- Pakistan nach Osama bin Laden: "Wir brauchen weniger Militärhilfe" | |
> Die Macht der Armee in Pakistan ist ungebrochen. Die Streitkräfte setzen | |
> weiterhin auf den Antiamerikanismus im Land, meint die Militärexpertin | |
> Ayesha Siddiqa. | |
Bild: Hohes Ansehen: Das Macht des Militärs in Pakistan ist ungebrochen. | |
taz: Frau Siddiqa, nach der US-Kommandoaktion in Abottabad, bei der Osama | |
bin Laden getötet wurde, standen Pakistans Militär und sein Geheimdienst | |
ISI weltweit als Versager da. Für die Regierung wäre dies eine Chance | |
gewesen, beide stärker unter Kontrolle zu bekommen. Stattdessen hat sie das | |
Militär verteidigt. Warum? | |
Ayesha Siddiqa: Sie unterschätzen die große Schwäche unserer Regierung. Die | |
langjährige Vormachtstellung des Militärs hat unsere Gesellschaft | |
entpolitisiert - und seit drei Jahren führt die Armee zudem eine massive | |
Propagandakampagne gegen die gewählte Regierung. Deren Strategie besteht | |
nur noch darin, das Militär sich selbst vorführen zu lassen. Denn das | |
Militär frontal zu kritisieren, kann sich keine pakistanische Regierung | |
leisten. Der ISI hat sogar die Macht, wie es nach der Tötung bin Ladens der | |
Fall war, die ausgearbeitete Erklärung des Informationsministers komplett | |
durch eine eigene Erklärung zu ersetzen, die dieser dann vortragen musste. | |
Warum war Pakistans Öffentlichkeit weit empörter darüber, dass die USA | |
Pakistans Souveränität verletzt haben, als darüber, dass bin Laden hier | |
jahrelang untertauchen und in direkter Nachbarschaft zur Militärakademie | |
leben konnte? | |
Weil das Militär in alle Medien interveniert. Es gibt keine Medien jenseits | |
seiner Kontrolle. Die Macht des pakistanischen Militärs drückt sich nicht | |
nur in der Zahl seiner Waffen und der Ressourcen aus, die ihm zur Verfügung | |
stehen - sondern auch darin, wie es den nationalen Diskurs dominiert. | |
Wie macht es das? | |
Die Medienmacht des Militärs ist kaum zu überschätzen. Ein Beispiel: Zwei | |
Tage nach der Tötung von Osama bin Laden verschickten unsere Streitkräfte | |
zehntausende SMS, in denen sie daran erinnerten, wie sie sich bisher für | |
uns aufgeopfert haben. Das sollte zeigen, dass wir die jetzige Krise völlig | |
missverstehen. Damit wird der Boden für ihre Neuinterpretation bereitet. | |
Als Rache für den Tod bin Ladens gab es zwei Wochen später, am 21. Mai, | |
einen Taliban-Angriff auf eine Marinebasis in Karatschi. Wie gehen | |
Pakistans Armee und sein Geheimdienst ISI mit solchen Demütigungen um? | |
So wie immer: Sie lancieren Verschwörungstheorien und behaupten, dass | |
ausländische Kräfte dahinter steckten. Nach dem Angriff auf die Marinebasis | |
hieß es, die Zerstörung der Aufklärungsflugzeuge hätte amerikanischen oder | |
indischen Interessen gedient. Das Militär hat es stets verstanden, solche | |
Angriffe nicht als Zeichen seiner Schwäche darzustellen, sondern als | |
Ergebnis einer feindlichen Verschwörung. Kurzfristig hat das Militär sogar | |
von dem Angriff auf die Marinebasis profitiert, weil es damit seine | |
Bedeutung unterstreichen konnte. | |
Hat sich die Rolle des Militärs und seines Geheimdienstes seit dem Ende der | |
diktatorischen Herrschaft des Generals Pervez Musharraf 2008 denn gar nicht | |
geändert? | |
Nein, die Rolle des Militärs ist unverändert, die Macht des ISI | |
ungebrochen. Der einzige Unterschied ist, dass wir jetzt einen zivilen | |
Präsidenten haben. Doch im Militär geben noch immer fast dieselben Generäle | |
den Ton an. | |
Musharraf spielte gern den starken General, der durchgriff. Hatte er die | |
Fäden denn stärker in der Hand als die zivile Regierung jetzt? | |
Nein, Musharraf trat nur gegenüber der Bevölkerung als starker Mann auf: | |
Die kommandierte er herum. Aber an das Militär als Institution traute er | |
sich nicht heran. Im Westen wollten das viele leider nicht sehen. | |
Während der Flutkatastrophe im vergangenen Sommer war die Armee - anders | |
als die Regierung - in der Lage, den Menschen zu helfen. Konnte sie damit | |
ihren Ruf aufpolieren? | |
Die Flut gab dem Militär in der Tat die Gelegenheit, sich wieder neu zu | |
erfinden. Leider fehlt in unserer Zivilgesellschaft die kritische Masse, | |
die das hinterfragt. So ist das Militär wieder und wieder in der Lage, sich | |
als Retter der Nation darzustellen. Und immer, wenn die Leute etwa im | |
Internet über dessen Rolle diskutieren, werden sie daran erinnert, das | |
Militär nicht infrage zu stellen. Denn das schütze und und opfere sich für | |
uns auf. | |
Pakistans Armee erhält viel Militärhilfe aus den USA. Warum ist der | |
Antiamerikanismus in ihren Reihen dennoch so weit verbreitet? | |
Dieses Militär wird seit mindestens drei Jahrzehnten mit Antiamerikanismus | |
gefüttert: mit Parolen wie, dass die USA Pakistan ins Verderben führen | |
wollen und es nur benutzen, um es bald darauf fallen zu lassen. Bisher hat | |
es jede Generation pakistanischer Generäle geschafft, den USA einzureden, | |
dass nur sie ihre Freunde sind. Der Antiamerikanismus ist ein Hebel, um den | |
USA noch mehr Mittel abzupressen. Die Militärs profitieren also direkt vom | |
Antiamerikanismus. | |
Oft scheint es, als ob Angriffe auf das Militär von Mithelfern aus den | |
eigenen Reihen kommen. Demoralisiert das nicht die Soldaten? | |
Wenn Soldaten in ihrer Freizeit ihre Uniformen ablegen, weil sie fürchten, | |
sonst angegriffen zu werden, mag das nach Demoralisierung aussehen. Doch | |
wenn man sieht, wie das Militär der Nation weiter wie selbstverständlich | |
Ressourcen abpresst, dann wirkt es nicht demoralisiert. Die Debatte | |
innerhalb des Militärs hat bisher leider nicht zu mehr Rechenschaft, | |
Transparenz oder gar ihrer Unterordnung unter Zivilisten geführt. | |
Welche Reformen sind nötig, und wie kann Europa diese unterstützen? | |
Aus Europa hat es seit sehr langer Zeit keine Aufforderung mehr an Pakistan | |
gegeben, doch bitte seinen hohen Verteidigungshaushalt zu reduzieren. Auch | |
der Internationale Währungsfonds und die Weltbank machen das schon lange | |
nicht mehr. Die EU initiiert zwar nette Bildungsprojekte. Aber sie macht | |
keinen Druck auf die Regierung, ihr Haus in Ordnung zu bringen und in die | |
Menschen zu investieren. Dieser Druck wäre nötig. Unnötig ist dagegen die | |
Unterstützung für unser Militär. Wir bräuchten mehr Hilfe für eine zivile | |
Grundstruktur. Trotz all der Ineffizienz und Probleme ist ein ziviles | |
System besser, als wenn die Militärbürokratie die Regierung führt. | |
13 Jun 2011 | |
## AUTOREN | |
Sven Hansen | |
Sven Hansen | |
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Pakistan | |
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