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# taz.de -- Atompolitik in Pakistan: "Atomwaffen gegen Muslime"
> Die internationale Wahrnehmung Pakistans hängt eng mit dem Atomprogramm
> zusammen. Der Nuklearphysiker Pervez Hoodbhoy über Pakistan nach dem GAU
> in Fukushima.
Bild: Im Test: Atomwaffenfähige Rakete in Pakistan.
taz: Herr Hoodbhoy, wie reagiert Pakistan auf die Atomkatastrophe im
japanischen Fukushima?
Pervez Hoodbhoy: Wenn die Atombehörden könnten, würden sie hier hundert
statt der bisher drei Reaktoren betreiben. Doch diese sind so teuer und der
Rest der Welt will uns keine geben, was ich völlig richtig finde. Unsere
Atomenergiekommission hat in Sicherheitsfragen keine große Glaubwürdigkeit.
Ihr fehlt das Verständnis für die Gefahren radioaktiver Strahlung. Dafür
gibt es keine Notpläne. Das AKW in Karatschi steht an einem der
dichtbesiedeltsten Orte der Welt mit 18 Millionen Menschen. Es liegt direkt
liegt am Meer. Beim Austritt von Radioaktivität würde der Seewind den
Fallout in die Stadt wehen. Davor warne ich seit 20 Jahren. Es ist der
falscheste Standort für einen Reaktor, aber trotz Fukushima werden jetzt
genau dort weitere Reaktoren geplant.
Wie steht die Bevölkerung zu Pakistans zivilem Atomprogramm?
Generell unterstützt sie es, weil ihr eingeredet wurde, Atomkraft sei
preiswert, sicher und dass uns unsere Freunde Atomreaktoren geben. Deshalb
gibt es diese Dankbarkeit gegenüber China. Die Chinesen sind die Einzigen,
von denen wir AKWs bekommen. Atomenergie deckt nur zwei Prozent des
pakistanischen Strombedarfs - nach einem halben Jahrhundert Arbeit unserer
Atomenergiekommission mit mehr als 50.000 Mitarbeitern! Stellt man deren
Kosten in Rechnung, wird der Preis unseres Stroms aus Atom pro
Kilowattstunde wohl zehn- bis zwanzigmal teurer sein als der aus Erdöl.
Warum gibt es in Pakistan keine Anti-AKW-Bewegung?
Pakistan ist ein Sicherheitsstaat. Unsere Kinder lernen, dass Indien uns
verschlingen will. Und dass eigene Atomwaffen das Beste sind, was Pakistan
je passieren konnte. In der Bevölkerung hält sich der Mythos, dass uns die
Atomwaffen schützen.
Ist Pakistans ziviles Atomprogramm ein Vorwand zur Produktion von
Atomwaffen?
Pakistans Atomwaffenprogramm begann unter zivilem Vorwand. Das war auch in
Indien so. Dort wurde spaltbares Material aus Kanada zum Bau der Bombe
benutzt, die 1974 getestet wurde. Pakistan versuchte das auch, konnte aber
nicht die Anreicherungsanlage bekommen, so dass es einen anderen Weg
einschlug: Die Anreicherung von innerhalb Pakistans abgebautem Uran. Das
unterbrach die Verbindung zwischen zivilen und militärischen Pogrammen. Das
militärische hat jetzt zwei Ebenen: Anreicherung von Uran in Kahuta und
anderen Orten, wo es bis zu zehntausende Zentrifugen gibt. Dies ist der
Kernbereich des pakistanischen Programms. Aber inzwischen gibt es auch in
Khushab Reaktoren zur Plutoniumproduktion, woraus kleinere Atomwaffen
hergestellt werden können. In Khushab sind zwei Reaktoren im Betrieb, ein
dritter im Bau und ein vierter in Planung. Sie sind vom Energieprogramm
getrennt. Aber letztlich sind die jeweils damit Beschäftigen in der
pakistanischen Atomenergiekommission vereint. Die Antwort auf die Frage
lautet also Ja und Nein.
Baut Pakistan auch wegen seines Atomwaffenprogramms sein ziviles Pogramm
trotz Fukushima weiter aus?
Der Ausbau des zivilen Programms steht nicht in direktem Zusammenhang mit
dem Wunsch nach mehr Atomwaffen. Denn welchen Reaktor auch immer die
Chinesen bei uns bauen werden, so wird dieser von der Internationalen
Atombehörde inspiziert. Sollte Pakistans ziviles Atomprogramm von heute 700
Megawatt auf 8.000 Megawatt in den nächsten 20 Jahren wachsen, hat dies
keinen Einfluss auf die Produktion von Atomwaffen. Pakistan will mehr
Atomwaffen haben, aber die versucht es mit Reaktoren des Militärs zu
bekommen, die nicht von der Internationalen Atombehörde kontrolliert
werden.
Es wird vermutet, dass Pakistan in wenigen Jahren mehr Atomwaffen hat als
Großbritannien.
Der offizielle Grund Pakistans für mehr Atomwaffen ist ihre taktische
Verwendung, also um indische Panzerverbände anzugreifen, wenn diese auf
pakistanisches Territorium vordringen. Indien hat einen Plan namens "Cold
Start". Darin geht es um ein schnelles Vordringen indischer Panzer nach
Pakistan. Um das zu verhindern, droht Pakistan mit dem Einsatz von
Atomwaffen. Dabei machen Atomwaffen gegen Panzer wenig Sinn, eine
20-Kilotonnen-Bombe schaltet nur zehn bis fünfzehn von ihnen aus. Man
bräuchte also ganz viele solcher Waffen. Das ist auch die offizielle
Begründung. Doch ich halte Pakistans nukleare Aufrüstung vielmehr für ein
Instrument der Erpressung. Pakistan steckt in einer tiefen Wirtschaftskrise
und muss von der Weltgemeinschaft finanziert werden. Wären wir ein Land wie
Kongo oder Somalia, würde sich niemand für uns interessieren. Aber wegen
unserer Atomwaffen können es die USA, Europa und Japan nicht zulassen, dass
Pakistan zusammenbricht. Auf dieser Furcht aufbauend setzt Pakistans
Establishment diese als Instrument der Erpressung ein.
Warum haben Atomwaffen Pakistan nicht sicherer gemacht?
Pakistan verlor bisher 36.000 Menschen bei terroristischen Angriffen.
Atomwaffen haben uns davor nicht schützen können. Kürzlich gab es einen
Anschlag auf einen Marinestützpunkt in Karatschi von einer Handvoll
Angreifern, die einige der wichtigsten Flugzeuge unserer Marine zerstörten.
Dieses Versagen der Armee und ihres Geheimdienstes zeigt, dass sie nicht
kampfbereit sind. Unsere Generäle ruhen sich auf den Atomwaffen aus. Meiner
Meinung nach sind die Dschihadis Pakistans wirklicher Feind, denn sie
zielen auf unsere Bevölkerung, Regierung, Armee und Polizei. Aber der
Großteil der Bevölkerung denkt leider nicht so.
Schützen Pakistans Atomwaffen vor einem Angriff Indiens?
Wollte man die Schuld am nuklearen Wettrüsten verteilen, ginge sie
zweifellos an Indien. Indien wollte die Bombe schon 1948, testete sie
erstmals 1974 und erneut 1998. Indien zwang Pakistan, sich die Bombe
zuzulegen, was der größte strategischer Fehler der Inder war. Denn damit
wurde es für Indien unmöglich, Pakistan militärisch bestrafen zu können.
Vergrößert Osama bin Ladens Versteck in Abbottabad wie seine vom
pakistanischen Militär unbemerkte Tötung die Zweifel an der Sicherheit der
pakistanischen Atomwaffen?
Seit 15 Jahren sage ich, dass Pakistans Atomwaffen nicht sicher sind.
Deshalb ist die Armee wütend auf mich. Ich bin überzeugt, dass innerhalb
der Armee nicht nur einige sogenannte Schurken zu Islamisten wurden,
sondern ein großer Teil. Alle technischen Sicherungssysteme werden
unzureichend bleiben, weil letztlich die Menschen zählen. Was passiert,
wenn ein Raketenkommandeur meint, dass die Atomwaffe "zum Wohl des Islams"
anders eingesetzt werden müsste als geplant? Deshalb sind die Sorgen der
Welt berechtigt. Die Möglichkeit der Tragödie ist nicht, dass ein Ziel in
Europa oder den USA angegriffen wird, sondern eines in Indien oder
Pakistan, vor allem eine Stadt. Wir haben schon erlebt, wie Pakistaner beim
Beten in einer Moschee angegriffen wurden. Deshalb fürchte ich, dass
diejenigen, die von so einer Atombombe getroffen werden, auch Muslime sind
- in Islamabad, Lahore oder Karatschi.
Nach ihren Atomtests 1998 wurden Indien und Pakistan vom Westen mit
Sanktionen belegt, doch später schlossen die USA mit Indien den sogenannten
Atomdeal. Was halten Sie davon?
Der Nukleardeal der USA mit Indien wird in Pakistan mit Verbitterung
gesehen, was ich für richtig halte. Die Inder haben für ihre Bombe Material
genutzt, das sie nicht hätten nutzen dürfen, wofür sie bestraft gehörten
wie auch Pakistan in einem vergleichbaren Fall. Aber irgendwann setzte die
Realpolitik ein und führte zur offenen US-Unterstützung für Indiens
Atomprogramm. Jetzt kann Indien 30 Atombomben im Jahr produzieren, während
es zuvor nur eine bis drei waren. Den Pakistanern ist die Scheinheiligkeit
nicht entgangen.
AQ Khan, der als Vater der „pakistanischen Bombe“ gilt, sagte kürzlich, sie
habe Pakistan gerettet. Er sagte aber auch, Pakistan hätte seinen Status
als Atommacht bisher nicht nutzen können.
Der Nutzen von Atomwaffen besteht vor allem in ihrer Möglichkeit zur
Erpressung. Sie haben Pakistan keine Sicherheit gebracht, aus ihm keine
Technologienation gemacht und uns nicht zum Helden in der muslimischen
Welt. Sie ermöglichten Pakistan nur, militanten Islamisten Schutz zu
bieten. Für Indien ist es deshalb heute unmöglich, einen Vergeltungsangriff
für deren bisherige oder künftige Terroranschläge durchzuführen. Militante
Islamisten florieren in Pakistan unter dem atomaren Schutzschirm. Doch so
sollte Pakistan weder Außenpolitik betreiben noch Kaschmir von indischer
Herrschaft befreien.
In Pakistan sind Stromausfälle alltäglich. Wie könnte eine Lösung der
Energiekrise aussehen?
Die Energieknappheit muss auf zwei Ebenen angegangen werden: Durch
kurzfristige Maßnahmen zur Energieeinsparung und Effizienzsteigerung. Zehn
bis 15 Prozent der Elektrizität gehen bei der Weiterleitung verloren. Viel
Elektrizität wird gestohlen - von armen wie reichen Leuten. Wo für Energie
nicht bezahlt wird, gibt es Missbrauch. Aber trotzdem brauchen wir mehr
Elektrizität. Sie sollte zum Teil aus erneuerbarer Energie stammen -
Solarenergie, Windkraft und Wasserkraft. Aber wir brauchen auch mehr
thermische Kraftwerke. Wir müssen Technologien für unsere eigenen
Kohlevorräte entwickeln, die von schlechter Qualität sind.
21 Jun 2011
## AUTOREN
Sven Hansen
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