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# taz.de -- 10 Jahre Wowereit: Countdown für das Alphatier
> Klaus Wowereit ist seit zehn Jahren Regierender Bürgermeister. Bei der
> Abgeordnetenhauswahl am 18. September geht es für ihn um alles oder
> nichts.
Bild: Grauer aber nicht weniger lustig: Klaus Wowereit im Roten Rathaus
Ist er zurück? Der Mann, der sagte, Berlin sei arm, aber sexy, und der
seine Kinder, wenn er denn welche hätte, nicht auf eine Kreuzberger Schule
schicken wollte? Es ist morgens um Viertel nach sieben, als ein gut
gelaunter Klaus Wowereit in einem Radiointerview auf 104,6 RTL anmoderiert
wird, einen Kalauer nach dem anderen bringt und die
Grünen-Spitzenkandidatin "Karate Künast" nennt. Als das Interview mit "Bis
baldrian" endet, dämmert es dann doch: Das ist nicht wirklich der
Regierende Bürgermeister, sondern eine Parodie. Der echte Wowereit kloppt
heute kaum mehr lockere Sprüche. Zu nah ist die Abgeordnetenhauswahl, zu
groß die Gefahr, durch einen einzigen falschen Satz wichtige Prozente zu
verlieren.
Zehn Jahre ist Klaus Wowereit am heutigen Donnerstag im Amt. Zehn Jahre ist
es her, dass ihn SPD, Grüne und Linkspartei - damals noch PDS - am 16. Juni
2001 im Abgeordnetenhaus zum Nachfolger des CDU-Manns Eberhard Diepgen
wählten. Die SPD hatte die Krise wegen der Bankgesellschaft strategisch
genutzt, kündigte die schwarz-rote Koalition und schickte die CDU dauerhaft
in die Opposition. Sieben Monate lang regierte Wowereit, toleriert von der
PDS, mit den Grünen. Im Januar 2002 schließlich begann nach einer Neuwahl
des Parlaments die rot-rote Koalition, in der Wowereit zunehmend
präsidialer wirkt, nicht zuletzt, wenn er Gästen aus aller Welt sein Berlin
zeigt.
Wenige Politiker haben sich so durch einzelne Sätze in Erinnerung gebracht
wie Wowereit. "Ich bin schwul, und das ist auch gut so", war der erste.
Wowereit sagte ihn vor gut 10 Jahren auf einem SPD-Sonderparteitag, der ihn
zum Spitzenkandidaten wählte. Er wurde damit zum ersten offen schwulen
Spitzenpolitiker in Deutschland. "Sparen, bis es quietscht", war sein
zweiter prägender Slogan. Er sollte auf die weithin gelobten
Sparanstrengungen in einem Land vorbereiten, das über seine Verhältnisse
lebte. "Arm, aber sexy" fanden viele schon weniger passend, vor allem jene,
die tatsächlich arm waren. Ganz daneben lag Wowereit schließlich, als er
Anfang 2010 einen Einsatz des Technischen Hilfswerks gegen Eisglätte mit
den Worten "Wir sind nicht in Haiti" ablehnte. Die Angst vor Knochenbrüchen
durch den Verweis auf die Erdbebenkatastrophe in der Karibik
beiseitezuwischen löste Empörung aus. Das aber war der letzte wirklich böse
Klopper des Regierenden Bürgermeisters, den Mitarbeiter auch mal
Regiermeister nennen.
Seriös, aufmerksam, interessiert wirkend - so bewegt sich Wowereit seither
durch die Stadt, hört Menschen zu. Darauf hatten seine SPD-Freunde
gedrängt: Er müsse wieder zu den Leuten, sich mehr zeigen. Denn dann kann
er ausspielen, was seine zentrale Fähigkeit ausmacht: Distanz überbrücken,
Nähe aufbauen. Wowereit mag genauso wie andere mit der Floskel "Wie gehts
uns denn heute?" einsteigen, und doch kommt es bei ihm in der Regel nicht
abgedroschen rüber.
Dass sich Wowereit über viele Monate wenig für Berlin zu interessieren
schien, lag an Ambitionen, sich mehr in der Bundespolitik zu engagieren.
Nach der verlorenen Bundestagswahl 2009 wurde er, der auf Landesebene kein
Parteiamt hat, tatsächlich einer der vier stellvertretenden
SPD-Vorsitzenden. Er galt als derjenige, der die Partei auch bundesweit für
die Linkspartei öffnen könnte. Inzwischen aber ist Wowereit wieder so tief
in die Landespolitik eingetaucht, dass es völlig überrascht, wenn der
Besuch aus Westdeutschland danach fragt, was man denn so von Wowereit als
Kanzlerkandidaten im Jahr 2013 halten würde.
Ein Spagat tut sich da auf: Überregional ist Wowereit der charmant-seriöse
Talkshowgast, der die Bundes-SPD vertritt, daheim in Berlin das
wahlkämpfende Stadtoberhaupt. Es ist schon bezeichnend, dass die Grüne
Konkurrentin Renate Künast es als einen ersten Erfolg ihrer Kandidatur
wertet, Wowereit aufgeweckt zu haben. Die Frage ist: Was macht Wowereit,
wenn er zwar die Wahl gewinnt, aber das Amt verliert? Wenn seine SPD zwar -
wie jetzt in den Umfragen - mit 30 Prozent sicher vor den Grünen landet,
diese aber mit der CDU koalieren, weil Künast nur so Regierungschefin
werden kann?
Einige der zuletzt abgewählten und noch nicht rentenreifen
SPD-Ministerpräsidenten kamen schnell im Bundeskabinett unter. Reinhard
Klimmt aus dem Saarland wurde 1999 nach seiner Wahlniederlage
Verkehrsminister, der für die Kanzlerschaft jetzt wieder hoch gehandelte
Peer Steinbrück wenige Monate nach einer Klatsche in Nordrhein-Westfalen
2005 neuer Bundesfinanzminister. Der heutige SPD-Chef Sigmar Gabriel durfte
zur gleichen Zeit Umweltminister werden, nachdem er zwei Jahre zuvor für
die SPD Niedersachsen vergeigt hatte. Derzeit hat die SPD bloß keine
Bundesministerposten zu vergeben - das geht im Falle eines Wahlsiegs
frühestens wieder 2013.
Dann wäre da noch Wowereits Selbstverständnis. Für jemand wie ihn, immer in
der Kategorie "politisches Alphatier" gehandelt, kommen keine Fachressorts
wie Verkehr oder Umwelt infrage, mit denen man etwa Gabriel versorgen
konnte, damals noch eher Rubrik "SPD-Nachwuchstalent". Die Alternativen
scheinen somit klar: nach der Abgeordnetenhauswahl am 18. September
Regierender Bürgermeister bleiben und fortan mit Steinbrück und Gabriel um
die Kanzlerkandidatur ringen. Oder im für Politiker eher jungen Alter von
57 Jahren komplett aus der Politik ausscheiden. Als Oppositionschef oder
als Senator in einem Kabinett Künast zu bleiben, kommt für ihn nicht
infrage.
Wird Wowereit also Sylt-Urlauber wie der ausgestiegene Hamburger
Regierungschef von Beust (CDU) oder Berater wie Exkanzler Schröder (SPD)?
Memoiren schreiben scheidet aus - das hat er schon erledigt. "Ich habe die
Erfahrung gemacht, dass allzu genaue Vorstellungen, was man in Zukunft
anstellen will, oftmals nur zur Beruhigung der eigenen Nerven dienen",
schreibt Wowereit in diesen 2007 veröffentlichten Erinnerungen. "Oftmals
geschehen Dinge aus heiterem Himmel. Es bleibt spannend. Und auch das ist
gut so."
16 Jun 2011
## AUTOREN
Stefan Alberti
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