# taz.de -- Vor dem Grünen-Parteitag: Der quälende Sieg | |
> Darf die Partei dem Atomausstieg der Bundeskanzlerin zustimmen? Sie muss, | |
> sagt Claudia Roth. Doch viele Mitglieder empfinden das als Verrat am | |
> Gründungsmythos. | |
Bild: "Sicher ist nur das Risiko", waren sich Claudia Roth und Cem Özdemir 200… | |
BERLIN taz | Den schönsten Abend seit langer Zeit hat der CSU-Haudegen | |
Peter Gauweiler Claudia Roth beschert. Es war am Dienstag in der Münchner | |
Gaststätte Nockherberg, das ungleiche Paar redete über den Atomausstieg: | |
"Mich juckt's am ganzen Körper", sagte Gauweiler irgendwann. "Aber man muss | |
sagen, dass die Grünen diese Debatte gewonnen haben." Roth lacht, als sie | |
davon erzählt. Gewonnen. Sagt ein Tiefschwarzer. Vor hunderten CSUlern. | |
Genau diese Botschaft will die Grünen-Chefin der Republik im Ganzen und den | |
Delegierten des Sonderparteitags im Besonderen vermitteln: Wenn die Grünen | |
der schwarz-gelben Atomgesetznovelle zustimmen, besiegeln sie nicht den | |
Sieg der Atomausstiegs-Kanzlerin. Sondern den eigenen. "Dieser Ausstieg ist | |
der größte Erfolg, den eine Oppositionspartei jemals erreicht hat", sagt | |
Roth in ihrem Büro und wedelt mit einem Lokalzeitungsartikel zum | |
Gauweiler-Treffen. | |
Es gibt da nur ein Problem: Die grüne Basis ist nicht Gauweiler. | |
Am [1][Samstag entscheiden die gut 700 Delegierten], ob die Partei Merkels | |
Atomausstieg unterstützt (siehe Kasten). Doch wer sich mit Grünen | |
unterhält, bekommt den Eindruck, dass mehr auf dem Spiel steht. Der | |
Gründungsmythos oder die Regierungsfähigkeit. Mindestens. | |
## Fukushima-Szenario denkbar | |
Der radikalste Gegenspieler von Roth ist Karl-Wilhelm Koch. Er ist aus der | |
Vulkaneifel angereist, sitzt in einer austauschbaren Hotellobby in Berlin, | |
dicht bedruckte Papiere in der Hand, Lachfältchen und ergrauten | |
Dreitagebart im Gesicht. Er sagt: "Schon bei einem mittleren Störfall im | |
AKW Gundremmingen ist ein Fukushima-Szenario denkbar. So ein Ding noch | |
jahrelang vor der Haustür von München laufen zu lassen ist Wahnsinn." Für | |
Koch zählt jeder Tag ohne Atomenergie. | |
Deshalb hat er zu Hause einen Alternativantrag für den Parteitag getippt. | |
Koch will den Sofortausstieg. Bis 2013 wäre das Abschalten ohne Probleme | |
technisch machbar, glaubt er. Weil erst die Grünen - mit der SPD als | |
Juniorpartner - die Macht übernehmen müssen, steht 2017 in dem Papier. "Das | |
wäre eine heiße Nummer, aber zu schaffen." | |
Ein Laie ist der Lehrer Koch nicht. Er hat ein Buch zum "Störfall | |
Atomkraft" herausgegeben und ein Ingenieursstudium hinter sich. Koch, das | |
ist nicht unwichtig, opponiert zwar frontal gegen den Vorstand, vertritt | |
aber eine offizielle grüne Position. 2017, das hatte noch im März der | |
Parteirat beschlossen. "Es ist schon verrückt, wie schnell ich in dieser | |
Frage an den ganz linken Rand gerückt bin." | |
In der Logik der [2][Parteispitze ist das Klammern an den eigenen Beschluss | |
überholt], ja naiv. "Mit Verlaub, die Grünen sind in der Opposition", sagt | |
Roth. Selbst wenn sie 2013 an die Regierung kämen, würde die Zeit knapp für | |
einen Schnellausstieg, sagt Roth. "Ich will doch nichts in der Opposition | |
versprechen, was ich dann nicht halten kann." | |
Dahinter steckt eine nüchterne Rechnung: Selbst wenn es 2013 für Rot-Grün | |
reicht, wird die SPD niemals einen schnelleren Ausstieg mittragen. Mehr ist | |
in der Sache also politisch nicht drin, analysiert der Vorstand, lieber | |
will er deshalb die Kanzlerin mit einem starken Kompromiss verhaften. Zumal | |
selbst Grünen-Anhänger laut Umfragen den Ausstieg ganz okay finden. | |
## Eine Prognose für den Parteitag? Schwer zu sagen | |
Die Zäsur war Merkels Runde mit den Ministerpräsidenten. Anfang Juni ließ | |
sie sich darauf ein, die Kraftwerke schrittweise abzuschalten. Das geht | |
weiter als der 2001 vereinbarte Ausstieg von Rot-Grün. Den hat damals | |
Jürgen Trittin als Umweltminister erfunden. Für ihn muss undenkbar sein, | |
sich sein Baby von Merkel klauen zu lassen. Zusammen mit dem Realo Cem | |
Özdemir drängte er im Vorstand früh auf die grüne Zustimmung. | |
Roth war zögerlicher. Als Fachfrau für Emotion hat sie den kürzesten Draht | |
zur Basis, sie schätzt Leute wie Klaus-Wilhelm Koch. Eine Prognose zum | |
Ergebnis des Parteitags wagt sie nicht: "Dafür bin ich zu lange bei den | |
Grünen. Das Anstrengende und Wunderbare an der Partei ist ja, dass wir | |
tatsächlich unsere Streite ausfechten." | |
Die [3][Kritiker mobilisierten zuletzt stark], die Grüne Jugend besetzte in | |
Kreisverbänden systematisch die Delegiertenlisten. Gleichzeitig tingelten | |
die Funktionäre in strapaziösen Touren durch die Städte. | |
Bärbel Höhn telefoniert am Donnerstag aus dem Zug nach Gorleben. "Es war | |
eher eine harte Woche." Was eher eine Untertreibung ist. Fraktionsvize Höhn | |
besuchte Kreisvorstände, Mitglieder, Anti-AKW-Kämpfer, in Münster, | |
Oberhausen, Aachen, Dannenberg. Und fasst zusammen: "Das waren sehr ruhige | |
und sachliche Diskussionen, das Interesse an Information ist hoch." Viele | |
Mitglieder wüssten gar nicht genau, was im Atomgesetz steht, welchen | |
Punkten die Grünen zustimmen würden. Höhn tippt: In NRW, einem kritischen | |
Verband, steht es 50:50. | |
## Nur die Machbarkeit ist in der Partei strittig | |
Die Sache ist also offen, und beim Vorstand ist die Erinnerung an Göttingen | |
noch frisch. Göttingen, das war der berühmte Afghanistanparteitag im | |
September 2007. Damals haute die Basis dem Vorstand seinen Kompromiss zu | |
einer Antiterrormission um die Ohren. Droht ein Göttingen II? "Der große | |
Unterschied ist, dass in Göttingen die Meinungen diametral | |
auseinandergingen", sagt Roth. "Bei der Atomfrage ist es anders: Eigentlich | |
sind sich inhaltlich alle einig, nur die Schlussfolgerungen unterscheiden | |
sich." | |
Dieses Mal geht es nicht um Krieg oder Frieden. Beim Atomausstieg herrscht | |
in der Partei breiter Konsens. Möglichst schnell, das sagen alle, nur die | |
Machbarkeit ist strittig. Roth betont im Gespräch, dies sei kein | |
Oben-gegen-unten-Konflikt. | |
Bleibt die Frage: Was für einer dann? Während scharfe Worte von der Grünen | |
Jugend kommen und hunderte Basisleute kritischen Anträge unterschreiben, | |
hat sich kaum ein bekannterer Grüner mit Amt oder Mandat klar gegen die | |
Vorstandslinie positioniert. Außer Ströbele. Und wer es doch tut, will | |
entweder nicht zitiert werden oder betont gewunden, wie wunderbar die | |
Analyse des Vorstands aber ganz grundsätzlich sei. | |
Das hat etwas Verklemmtes. Man ist sich einig in der Funktionärsebene, will | |
sich aber unterscheiden. Dagegen wirkt die CDU wie ein Debattierclub nach | |
fünf Stunden Freibier. Letztlich fragt man sich, ob all das überhaupt so | |
dramatisch ist. Zerreißen wird die Partei, wie es Die Welt am Freitag | |
titelte, an einer Ablehnung sicher nicht. Schwarz-Gelb würde das Gesetz mit | |
der SPD beschließen, nach ein paar Wochen spräche niemand mehr davon. | |
"Außerdem goutieren unsere Wähler sogar, wenn die Basis den Vorstand | |
abwatscht", sagt einer in der Parteizentrale. | |
Claudia Roth sieht das natürlich anders. In ihrem Büro hängt ein Bild, das | |
sie seit 1985 begleitet. Ein Mädchen steht im Wind, in der rechten Hand | |
hält es eine Fahne. Die Grünen-Chefin redet darüber, so ausführlich, dass | |
man den Gedanken nicht loswird, ihr wäre die Erwähnung in diesem Text nicht | |
unlieb. Roth, eine grüne Jeanne dArc, die die Basis gegen Atom-Merkel | |
führt. Jetzt müssen die Truppen nur noch folgen. | |
24 Jun 2011 | |
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## AUTOREN | |
Ulrich Schulte | |
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