Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Menschenrechte in Russland: Moskau will Straßburg ignorieren
> Die Duma berät ein Gesetz, mit dem sich das Verfassungsgericht über
> Urteile des Gerichtshofes für Menschenrechte hinweg setzen kann. Das
> gefährdet den Sitz im Europarat.
Bild: Der Gerichtshof in Strassburg: Sind seine Urteile künftig in Russland be…
MOSKAU taz | Sollte das Gesetz verabschiedet werden, wäre dies ein Skandal.
Seit letzter Woche befasst sich die Duma mit einem Gesetzesprojekt, das es
dem russischen Verfassungsgericht erlauben würde, Urteile des Straßburger
Menschengerichtshofes (EGM) zu ignorieren. Entscheidungen eines russischen
Gerichtes unterlägen danach auch nach einem abweichenden Straßburger
Richterspruch nicht mehr der Revision. Es sei denn, ein russisches Gericht
hätte mit seinem Urteil gegen die russische Verfassung verstoßen.
Damit verabschiedet sich Russland von seinen Verpflichtungen, zu denen es
sich bei Aufnahme in den Europarat vor 15 Jahren noch bekannte. Das Projekt
brachte der Vorsitzende i. A. der Oberkammer des Parlaments, Alexander
Torschin, ein. Der Senator aus der Staatspartei Vereinigtes Russland
begründete die Initiative mit drohendem Souveränitätsverlust Russlands.
Weder sähe die russische Verfassung einen vollen noch teilweisen Verzicht
auf Souveränität vor. Er wäre nur bereit, das Projekt zu stoppen, wenn
Jesus Christus dem Menschengerichtshof vorsäße.
Dieser spektakuläre Vorstoß ist nicht auf den Alleingang eines Senators
zurückzuführen. Seit langem sind die Urteile Straßburgs der
Kremladministration und politischen Elite ein Dorn im Auge. Je mehr der
Glaube der Bürger an den russischen Rechtsstaat abnahm, desto deutlicher
wuchs ihr Vertrauen in den Menschengerichtshof. Ein Fünftel aller Klagen
eines Europarats-Mitgliedes stammen aus Russland.
## Angst vor Russophobie und politischen Interessen
Die Menge der Klagen und Urteile zuungunsten Russlands zeichnen ein
verheerendes Bild vom Zustand von Gerichtsbarkeit und Rechtswesen. Kein
Wunder, dass die politische Führung den Bürgern den Weg nach Straßburg
verbauen möchte. Sie sieht wie immer Russophobie, politische Interessen und
"doppelte Standards" am Werk.
Russland müsse sich nicht gegenüber dem EGM verteidigen, aber gegen
"politisch eingefärbte und ungerechte Urteile des Gerichts", meinte der
Dumaabgeordnete Sergej Markow.
Angeblich war das Urteil im Streitfall des Offiziers Konstantin Markin
gegen die russische Armee der Anlass, aus der europäischen Rechtsprechung
auszuscheren. Der Offizier hatte die Armee verklagt, weil sie ihm als
alleinerziehenden Vater von drei Kindern den bislang nur Frauen
vorbehaltenen Elternurlaub nicht gestatten wollte. Der EGM sah darin den
Gleichheitsgrundsatz der Geschlechter der Europäischen Konvention verletzt.
Präsident Dmitri Medwedjew, von Haus aus Jurist, kommentierte die
Entscheidung im Sinne Torschins: "Wir haben nie einen Teil unserer
Souveränität abgegeben, die es einem internationalen oder ausländischem
Gericht erlauben würde, Entscheidungen zu fällen, die unsere nationale
Gesetzgebung verletzen". Der Kremlchef scheint unentschlossen, denn an
anderer Stelle bekannte er: "Für uns ist die Mitgliedschaft in europäischen
Instituten außerordentlich wichtig", Russland sei Mitglied des Gerichts,
habe alle Dokumente unterzeichnet und verpflichtet, sie auch zu erfüllen.
Ja wie nun?
Klar ist, der Kreml will sich ein Schlupfloch offenhalten. Bald stehen
EGM-Entscheidungen an, die teuer werden könnten. Jurij Schmidt, Anwalt des
Ex-Oligarchen Chodorkowski, vermutet, der anhängige Fall Yukos habe den
Kreml zu prophylaktischer Schadensbegrenzung bewogen. Russische
Menschenrechtler befürchten indes, dass Russland die Mitgliedschaft im
Europarat verlieren könnte, sollte das Gesetz passieren. Oleg Orlow, von
der NGO Memorial, glaubt eher an einen Bluff des Kreml, der Straßburg
warnen soll: "Denkt nach, bevor ihr über uns urteilt. Sonst knallen wir die
Tür zu".
30 Jun 2011
## AUTOREN
Klaus-Helge Donath
## ARTIKEL ZUM THEMA
Minderheitenrechte in Russland: Keine Versammlungsfreiheit für Homos
Ein Gesetz in Sankt Petersburg will öffentliche Auftritte von Schwulen und
Lesben mit Geldstrafen ahnden. Offiziell dient die Maßnahme dem
Jugendschutz.
Chodorkowski-Doku in Russland: Aufführungen abgesagt
Russische Kinos wollen die Dokumentation "Der Fall Chodorkowski" von Cyril
Tuschi vorerst nicht aufführen. Auch alle großen russischen Verleiher haben
abgesagt.
Kommentar EGM-Urteil zu Yukos: Ganz vorsichtig mit Moskau
Den politischen Hintergrund hat der Europäische Gerichtshof für
Menschenrechte im zweiten Yukos-Verfahren nicht anerkannt. Die EU will es
sich nicht mit Russland verscherzen.
Verstaatlichter russischer Ölkonzern: Yukos zu Recht bestraft
Russland hat den Ölkonzern Yukos nicht gezielt verstaatlicht, urteilt der
Europäische Gerichtshof für Menschenrechte. Ganz sauber war das Verfahren
trotzdem nicht.
Russland gegen Yukos: Regierung wird freigesprochen
Russland ist nicht illegal gegen den Ölkonzern Yukos vorgegangen, urteilt
der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte. Nun steht noch eine
Schadensersatzforderung über 71 Milliarden Euro aus.
Kreml-Kritiker in Russland: Verwirrspiel um Ausreiseverbot
Ein Gericht verbietet Boris Nemzow, sein Land zu verlassen - für sechs
Montae. Dann revidiert die Behörde den Beschluss. Nemzow sieht darin einen
Rachefeldzug von Putin.
Repressionen gegen russische Regimekritiker: Angriff auf Menschenrechtler
Ein Mitarbeiter von Memorial wird in Moskau überfallen und
zusammengeschlagen. Bereits im vergangenen Jahr war er Opfer eines
Überfalls geworden.
Kommentar Chodorkowski-Urteil: Kleiner Sieg in Straßburg
In Russland ist es Methode, Gefangene wie Tiere in Käfigen zur Schau zu
stellen. Vielleicht macht das Urteil Betroffenen in Russland Mut, ebenfalls
Straßburg anzurufen.
Russland und die Menschenrechte: Teilerfolg für Chodorkowski in Straßburg
Europas Menschenrechtsgerichtshof sieht nicht genug Beweise, dass das
Verfahren gegen den Ex-Ölmagnaten politisch motiviert war. Die
Haftbedingungen aber waren unwürdig.
Justizfarce in Russland: Chodorkowskis Berufung abgeschmettert
Ein Moskauer Gericht bestätigt die Verurteilung des Ex-Yukos-Eigentümers
und seines Kompagnons. Die Haftstrafe wird jedoch auf 13 Jahre verringert.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.