# taz.de -- Schwarz-gelbe Umverteilung: Das große Steuer-Theater | |
> FDP-Chef Philipp Rösler will endlich liefern: Schwarz-Gelb hat sich auf | |
> niedrigere Steuern ab 2013 geeinigt. Alles, was Sie über diesen | |
> Dauerbrenner wissen müssen. | |
Bild: Hereinspaziert ins Steuer-Theater: Eintritt umsonst, Gewinn noch ungewiss. | |
1. Sie haben schon 1.000 Mal das Wort "Steuersenkung" gehört? Macht nichts, | |
jetzt wird's ernst. Diesmal haben die drei ParteichefInnen Angela Merkel | |
(CDU), Horst Seehofer (CSU) und Philipp Rösler (FDP) am Wochenende | |
persönlich verabredet, dass es zu Steuersenkungen ab 2013 kommen soll. | |
Dieser Zeitpunkt passt zudem perfekt ins Wahljahr. | |
2. Sie verstehen nicht, was die Koalition vorhat? Egal, das weiß die | |
Koalition selbst noch nicht. Bei Union und Liberalen wird geraunt, es gebe | |
eine Handvoll Steuermodelle, die bereits in der Schublade von Bayerns | |
CSU-Finanzminister Georg Fahrenschon liegen. Welche Variante es am Ende | |
wird, entscheidet sich wohl erst im Herbst. | |
Als Entlastung werden maximal 10 Milliarden Euro genannt. Diese Summe würde | |
gerade reichen, um die sogenannte kalte Progression zu kompensieren. Sie | |
führt dazu, dass inflationsbedingte Lohnsteigerungen automatisch zu einem | |
höheren Steuersatz führen - obwohl das Einkommen real überhaupt nicht | |
steigt. | |
3. Und der Widerstand von CDU-Finanzminister Wolfgang Schäuble? Stoppt | |
nichts, sondern ist Extra-PR. Es ist wie im Film "Und täglich grüßt das | |
Murmeltier": Immer wenn die FDP stolz Steuersenkungen verkündet, mahnt der | |
altgediente Haudegen in Interviews Haushaltsdisziplin an. | |
Er rate denjenigen zur Vorsicht, "die angesichts guter Steuereinnahmen | |
unglaubliche Spielräume sehen", grummelt er etwa im aktuellen Spiegel. | |
Seine Kritik nutzt Merkel, weil sie FDP und CDU diszipliniert - und der | |
Union Extra-PR verschafft. Schäuble war aber in die Absprache eingebunden | |
und wird am Ende einen Kompromiss mittragen müssen. | |
4. Blöd für die Koalition: Die wichtigsten Gegner sitzen in den eigenen | |
Reihen. Mehrere CDU-Ministerpräsidenten machen – ebenso wie andere | |
Regierungschefs - Front gegen die Pläne. Dazu zählen etwa Peter Harry | |
Carstensen (Schleswig-Holstein) oder Peter Müller (Saarland). | |
Ihr Motiv ist klar: Die Haushaltslage der Länder ist teilweise extrem | |
angespannt, sie sind stark auf Einnahmen aus der Einkommensteuer | |
angewiesen, von denen sie 42,5 Prozent erhalten. Mit ihrer Kritik schlagen | |
die Ministerpräsidenten jetzt schon Pflöcke ein, sie werden im Pokerspiel | |
der nächsten Monate auf Ausgleich bestehen. | |
5. Blöd außerdem, dass die Union sich ein riesiges Hindernis selbst ins | |
Grundgesetz geschrieben hat: die Schuldenbremse. Bis zum Jahr 2016 muss die | |
Bundesregierung ein hehres Ziel erreichen: die faktische Nullverschuldung. | |
Davon ist das Kabinett weit entfernt. In diesem und im nächsten Jahr wird | |
das Haushaltsdefizit etwa 30 Milliarden Euro betragen - da sind die neuen | |
Steuerkonzepte noch gar nicht eingerechnet. | |
Auch andere Haushaltsrisiken wurden bisher nicht einkalkuliert. So wird | |
damit gerechnet, dass die Europäische Zentralbank den Leitzins noch weiter | |
nach oben setzt. Dies dürfte auch die Zinslast für die Bundesschulden | |
erhöhen. Ab 2012 sollte eine Finanztransaktionssteuer jährlich zwei | |
Milliarden Euro einspielen. Von dieser Steuer ist jedoch nichts zu sehen. | |
Gleichzeitig bringt die Kernbrennstoffsteuer eine Milliarde weniger ein, | |
weil nun der Ausstieg beschlossen wurde. Und nicht zuletzt müssen ab 2013 | |
jährlich 4,3 Milliarden Euro für den neuen EU-Rettungsschirm eingeplant | |
werden. Was macht man also als Koalitionspolitiker? Man negiert das Problem | |
und versichert treuherzig, die Schuldenbremse werde trotzdem eingehalten - | |
"selbstverständlich!" | |
6. Wundern Sie sich nicht über die angeblich neu und breit aufgestellte | |
FDP! Für sie ist die Steuersenkung existenziell. Jahrelang hat | |
Ex-Parteichef Guido Westerwelle den Fokus der FDP auf Steuersenkungen | |
verengt. | |
Wenn jetzt Neu-Chef Philipp Rösler, der die Partei eigentlich breiter | |
aufstellen will, wieder das Steuersenkungs-Mantra anstimmt, ist das | |
durchaus eine sehr rationale Strategie. Sie zielt darauf, zumindest die | |
Kernwählerschaft bei der nächsten Bundestagswahl wieder zum Kreuz bei der | |
Partei zu bewegen, die derzeit in Umfragen bei der 5-Prozent-Marke | |
herumkrebst. Die FDP wird bis 2013 liefern (Rösler), sonst ist sie | |
geliefert. | |
7. Und die Kanzlerin? Wartet ab, bis feststeht, wer der Stärkste ist. Die | |
Kanzlerin tut das, was sie am besten kann. Sie meidet jede Festlegung. Ihre | |
jetzt gegebene Einwilligung zu weiteren Steuersenkungen ist so wolkig, dass | |
jeder hineininterpretieren kann, was er will. | |
Weder ist das Kostenvolumen klar, noch das Steuermodell. Weder ist geklärt, | |
was die Koalition unter "niedrigen Einkommen" versteht, noch ob sie statt | |
der Steuern vielleicht lieber doch Sozialbeiträge senkt. Klar ist: Merkel | |
hat die FDP bei wichtigen Themen so oft übergangen, dass sie dem | |
hochnervösen Partner einen Erfolg zugestehen muss - sonst könnte | |
Schwarz-Gelb zerbrechen. | |
8. Sie fragen sich, warum die Koalition so emotional streitet? Kein Wunder, | |
bei dieser heißen ménage à trois. Die treibenden Kräfte bei der | |
Steuersenkung sind FDP - aus genannten Gründen - und die CSU, während sich | |
in der Union viele Kritiker zu Wort melden. Das Gezänk um Steuersenkungen | |
ist auch deshalb so ein Dauerbrenner, weil beide Kleinparteien das Feld | |
eifersüchtig bewachen. Wie blöd das laufen kann, zeigte ein erstes | |
Steuergeschenk der Koalition. | |
Auf die 2009 beschlossenen Nachlässe für Hoteliers hatte maßgeblich die CSU | |
gedrängt, um Bayerns Tourismus zu fördern. Doch die Prügel für dieses | |
unverhohlene Pampern einer Kleinstgruppe von Unternehmern steckte später | |
die FDP ein. Dieses Mal geht es darum, den Gewinner-Stempel abzubekommen. | |
9. Und die Opposition stellt sich mal wieder stur, oder? So ist es. | |
SPD-Parteichef Sigmar Gabriel ist die Schadenfreude anzumerken, dass in | |
Sachen Steuersenkung nichts ohne den Bundesrat geht - und dort nichts ohne | |
die SPD. Früh hat er angekündigt, dass seine Partei keine Steuersenkungen | |
"auf Pump" mittragen will. | |
Was aber, wenn es doch eine Gegenfinanzierung gibt? Dann wird die SPD wohl | |
auch nicht mitmachen. Denn dass die Partei mögliche Sozialkürzungen | |
unterstützt, ist noch weniger denkbar. Nein, die SPD wird der Regierung | |
keinen Erfolg gönnen wollen. Schon deshalb nicht, weil Gabriel eigentlich | |
selber gerne Steuern für kleine Einkommen senken will. Aber eben erst, wenn | |
er selbst regiert. | |
10. Eigentlich ist die SPD aber auch egal. Wenn sie nicht mitmacht, gibt es | |
eben eine Soli-Kürzung. Genau. Schon vor einigen Wochen kündigte der | |
FDP-Haushaltspolitiker Florian Toncar in der taz Kürzungen des | |
Solidarzuschlags als zweite Möglichkeit an, falls die Steuersenkung im | |
Bundesrat scheitert. Für die Regierung hat es einen Vorteil: Der Bundesrat | |
muss nicht mitstimmen. Und würde man den Soli halbieren, wäre ungefähr | |
dieselbe Milliardenhöhe Entlastung erreicht. Allerdings wäre dies anders | |
verteilt: Denn der Soli trifft alle Einkommen gleich stark - bei | |
Steuerentlastungen trifft es jede Gruppe so stark wie gewünscht. | |
11. Glauben Sie bloß nicht, "Geringverdiener und Mittelschicht" würden | |
entlastet - obwohl die Koalition dies behauptet. Von einer Steuerentlastung | |
hat etwa die Hälfte aller Haushalte gar nichts - weil sie keine Steuern | |
zahlt. Stattdessen profitieren besonders Gutverdiener. | |
Die CSU hat im Januar ausrechnen lassen, was eine Entlastung von 5 | |
Milliarden bringen würde: Verheiratete mit einem zu versteuernden Einkommen | |
von 20.000 Euro würden ganze 8 Euro im Jahr sparen. Wer hingegen 100.000 | |
Euro hat, bekäme 638 Euro geschenkt. | |
Die Union kennt diesen Vorwurf - und versucht die Mittelschicht damit zu | |
trösten, dass auch die Sozialbeiträge sinken sollen. So könnte die | |
Rentenversicherung von derzeit 19,9 auf 19,2 Prozent fallen. Dies ist aber | |
ein automatischer Effekt der guten Konjunktur und kein Erfolg der | |
Regierung. | |
12. Freuen Sie sich nicht zu früh. Es kommt nur eine Runde Tiefkühlpizza | |
raus. Nehmen wir eine Familie mit zwei Kindern und einem Bruttoeinkommen | |
von 40.000 Euro im Jahr. Selbst wenn die Koalition 10 Milliarden spendiert, | |
dürfte sie nur um 240 Euro im Jahr entlastet werden - 20 Euro im Monat. Das | |
reicht für Tiefkühlpizza. | |
5 Jul 2011 | |
## AUTOREN | |
U. Herrmann | |
G. Repinski | |
U. Schulte | |
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