# taz.de -- Aufruhr in der Türkei: Der Alptraum kehrt zurück | |
> Nach einem Angriff der PKK, bei dem 13 Soldaten getötet wurden, sind die | |
> Kurden-Gebiete Ziel von Militäraktionen. Eine Eskalation könnte eine | |
> Friedenslösung scheitern lassen. | |
Bild: Im neu gewählten türkischen Parlament glänzen die gewählten kurdische… | |
ISTANBUL taz | "Der Alptraum ist zurück", schrieb gestern der bekannte | |
türkische Kolumnist Mümtaz Türköne, "ein Alptraum von dem wir gehofft | |
hatten, dass er nie wiederkehrt". Der Alptraum traf die Türkei, als das | |
Parlament sich gerade in die Sommerpause verabschiedete und sich die | |
Menschen an den Küsten oder in ihren Heimatdörfern für den Sommer | |
einrichteten. | |
Am vergangenen Donnerstag geriet eine Gruppe türkischer Soldaten in der | |
Nähe von Diyarbakir in einen Hinterhalt der PKK. Bei dem anschließenden | |
Gefecht wurden 13 Soldaten und sieben Guerilleros der PKK getötet, etliche | |
weitere Soldaten schwer verletzt. Es war das erste Mal seit vier Jahren, | |
dass die türkische Armee einen so hohen Verlust hinnehmen musste. | |
Entsprechend massiv waren die Reaktionen. Während einer Sondersitzung des | |
Parlaments verurteilten alle Parteien außer der kurdischen BDP den Angriff | |
der PKK, Ministerpräsident Tayyip Erdogan drohte schwere Vergeltung an und | |
die Armee startete eine großräumige Aktion um die PKK-Kämpfer aufzuspüren. | |
Bei den landesweiten Beerdigungen der Soldaten kam es zu massenhaften Wut - | |
und Verzweiflungsausbrüchen, vereinzelt wurden Parteilokale der BDP | |
angegriffen. Eine scheinbar überwunden geglaubte Zeit ist plötzlich wieder | |
zurück. | |
Völlig ungerührt vom Aufruhr im Land, verkündete am selben Tag, an dem die | |
13 Soldaten getötet worden waren, die kurdische BDP mit anderen | |
Organisationen auf einem "Kongress der demokratischen Gesellschaft" ihr | |
Autonomieprogramm. Das hat zwar mehr symbolische als praktische Bedeutung, | |
zeigt aber, wie tief die Spaltung zwischen dem kurdischen Südosten und den | |
übrigen Landesteilen gediehen ist. | |
Provokativ verkündete der Sprecher der BDP, Selahattin Demirtas, zudem | |
noch, die Soldaten seien wahrscheinlich versehentlich aus Hubschraubern der | |
Armee beschossen worden, obwohl es keine Indizien dafür gibt. | |
Tatsächlich waren die Soldaten auf der Suche nach drei Kameraden, die zwei | |
Tage zuvor von der PKK gefangen genommen und entführt worden waren. Alles | |
spricht deshalb dafür, dass sie in einen sorgfältig geplanten Hinterhalt | |
gerieten. | |
In der türkischen Öffentlichkeit wird daher wieder darüber diskutiert, ob | |
Teile der PKK mögliche Friedensgespräche sabotieren wollen, oder ob die | |
PKK-Führung geschlossen hinter der Aktion steht. Der inhaftierte PKK-Führer | |
Abdullah Öcalan hatte erst Mitte Juni verkündet, es gäbe zwischen ihm und | |
von der Regierung autorisierten Geheimdienstmitarbeitern fruchtbare | |
Gespräche über eine endgültige Friedenslösung. Der Waffenstillstand sollte | |
deshalb bis in den Herbst verlängert werden. | |
## "Was macht eigentlich Erdogan?" | |
Zwar boykottieren die gewählten kurdischen Abgeordneten das Parlament, weil | |
sechs ihrer gewählten Vertreter in U-Haft sitzen und deshalb ihr Mandat | |
nicht antreten durften, doch hatte man in Gesprächen mit der Regierung | |
vereinbart, nach der Sommerpause eine Lösung im Parlament zu suchen. | |
Das droht nun an einer militärischen Eskalation von beiden Seiten zu | |
scheitern. Der neue Parlamentspräsident Cemil Cicek kündigte bereits an, | |
man werde die PKK-Militanten auch über die Grenze in den Nordirak | |
verfolgen, was unweigerlich dazu führen wird, dass die PKK mit Attentaten | |
an anderer Stelle antwortet. | |
"Warum gibt es in der Türkei niemanden, der endlich in der Lage ist, diese | |
sinnlosen, vergifteten Reaktionen und Gegenreaktionen zu durchbrechen?", | |
fragte sich ebenfalls gestern fast schon verzweifelt der seit Jahren als | |
politischer Beobachter in der Türkei tätige ehemalige EU-Abgeordnete Joost | |
Lagendijk. "Was macht eigentlich Tayyip Erdogan?" | |
Während Erdogan sich als Vermittler in Libyen profilieren will, brennt zu | |
Hause das eigene Haus. Doch Erdogan tut nur, was etliche andere türkische | |
Politiker vor ihm bereits getan haben: er schickt die Armee. | |
17 Jul 2011 | |
## AUTOREN | |
Jürgen Gottschlich | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Rundfunkfreiheit in Deutschland: Zensur gegen Kurdensender gescheitert | |
Mit seinem Verbot der Ausstrahlung von Roj-TV 2008 ist das deutsche | |
Innenministerium vor dem Europäischen Gerichtshof unterlegen. | |
Kommentar Angriff auf PKK: Der Frieden ist weit entfernt | |
Weiter herrscht Krieg im kurdischen Teil der Türkei. Weil Kämpfer der PKK | |
Angst haben, als Bauernopfer zu enden und Erdogan konservative Kurden auf | |
seine Seite ziehen will. | |
Luftangriffe auf PKK-Lager im Nordirak: Die Türkei schlägt zurück | |
Fünf Lager der türkisch-kurdischen PKK im Nordirak sind von der türkischen | |
Luftwaffe angegriffen worden. Damit reagiert die Regierung auf Anschläge. | |
Anschlag kurdischer Rebellen: Acht türkische Soldaten getötet | |
Bei einem Angriff durch kurdische Rebellen im Osten der Türkei sind acht | |
Soldaten ums Leben gekommen. Die Streitkräfte starteten eine | |
Luft-Boden-Offensive. | |
Volksarmee in der Türkei: Das Militär hat wieder eine Spitze | |
Der neue Generalstabchef Necdet Özel liegt ganz auf der Linie von Premier | |
Erdogan. Die Regierungspresse spricht von einer Normalisierung der | |
Verhältnisse. | |
Nach BGH-Urteil zur kurdischen Partei: PKKler als Terroristen festgenommen | |
Erstmals seit Jahren wurden Mitglieder der PKK in Deutschland in Haft | |
genommen. Damit wird ein BGH-Urteil umgesetzt, dass die kurdische Partei | |
als Terrorvereinigung einstuft. | |
Türkei erkennt libysche Rebellen an: Ankara bezieht Stellung | |
Die Türkei hat ihre Hoffnung aufgegeben, in Libyen vermitteln zu können und | |
die Rebellen in Bengasi anerkannt. Diese sollen weitere 200 Millionen | |
Dollar bekommen. | |
Konstitution türkisches Parlament: Kurden boykottieren Sitzung | |
Der Wahlrat verweigert einem Kurden seine Anerkennung als Abgeordneter, | |
weil er verurteilt wurde und in U-Haft sitzt. Das kann politische Folgen | |
haben. | |
Wahl in der Türkei: Überraschungssieger Kurden | |
Trotz Behinderungen durch Polizei und Justiz: 36 kurdische Abgeordnete | |
haben es ins türkische Parlament geschafft. 16 mehr als beim letzten Mal. | |
Wahl in der Türkei: Ernüchternder Sieg für Erdogan | |
Gewonnen und doch verloren: Recep Tayyip Erdogan bleibt Ministerpräsident. | |
Seinen Lebenstraum muss er jedoch beerdigen: ein Präsidialsystem mit ihm | |
als Präsidenten. |