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# taz.de -- Verlagswesen 2.0: Schröpfen on demand
> Internet-Ausdrucker einmal anders: Ein Verlag verkauft im großen Stil
> Bücher, die ausschließlich aus Wikipedia-Artikeln bestehen - zu
> astronomischen Preisen.
Bild: Jeder will ein Stückchen abhaben: Die Online-Enzyklopädie Wikipedia ist…
Der Gründer und Alleingesellschafter des VDM (Verlag Dr. Müller) mag
Superlative. In einer Unternehmensbroschüre aus dem Jahr 2008 "für unsere
wichtigsten Kunden" schreibt Dr. Wolfgang Philipp Müller, "Founder & CEO,
Director of VDM Holding GmbH and VDM Management GmbH", dass es sein Haus
auf "mehr als 15.000 aktive Autoren" gebracht habe. "Mehr als 1.500 neue
Autoren kommen monatlich hinzu." In einem Interview 2009 behauptet er,
"number one producer worldwide" zu sein. Jedes zehnte Buch, das in
Deutschland, Großbritannien und den USA veröffentlicht werde, stamme von
VDM.
VDM-wer? Die Unbekanntheit dieses Giganten könnte mit der Qualität des
Programms zusammenhängen. Progressiv an diesem Verlag ist allenfalls die
Geschäftsidee. So gehören zum Verlag Dr. Müller auch: Alphascript,
Betascript sowie Fastbook Publishing - und diese eint ein verblüffendes
Konzept, das eigentlich Verbraucherschützer alarmieren sollte.
Wer etwa den Titel "Die Stasi-Unterlagenbehörde BstU. Das größte Archiv
Deutschlands" erwirbt, wird sich nach wenigen Minuten Lektüre wundern. Es
stammt von einem ominösen Max Nemstein, der allein im Hause Fastbook
Publishing mit über 50 Titeln erscheint. Das billig geklebte Heftchen mit
knapp 100 Seiten besteht aus nahezu beliebig zusammengestückelten Artikeln:
Joachim Gauck, Rosenholz-Dateien, Schnipselmaschine - alles, was irgendwie
mit Stasi zu tun haben könnte.
Nicht nur die mangelhafte Edition ist verblüffend dreist: Alle Artikel
wurden wörtlich aus der frei zugänglichen Internet-Enzyklopädie Wikipedia
kopiert. Lieblos werden verkleinerte Grafiken, die auch mit Lupe unlesbar
bleiben, abgedruckt, ebenso vollkommen funktionslose Links.
Downloadhinweise wie: "PDF-Datei; 112kB" wirken wie eine Karikatur zwischen
Buchdeckeln. Eine Posse jedoch ist der Preis des Werkes, das für 36 Euro
erst nach der Bestellung gedruckt wird - das Konzept ist bekannt als "Print
on demand" (POD). Andere Titel wie "Die 10 lebenswertesten Städte Europas:
Kurzportrait der europäischen Großstädte mit höchster Lebensqualität"
bringen es auf 79 Euro. In einschlägigen Foren äußern Käufer ihren Frust
über Erlebnisse mit Büchern des Verlags.
## 60 Seiten für 27 Euro
Der setzt ausschließlich auf Masse: Allein die Suche bei der deutschen
Variante des Onlinehändlers Amazon ergibt [1][rund 170.000 Treffer] zum
VDM, [2][Alphascript] und [3][Betascript] kommen zusammen auf etwa noch
einmal so viele Titel. Zur VDM-Gruppe gehört mittlerweile ein ganzes
Geflecht von Verlagen und Unterverlagen. Allein in der Saarbrückener
Dudweiler Landstr. 99 firmieren: Lambert Academic Publishing GmbH & Co. KG,
Südwestdeutscher Verlag für Hochschulschriften GmbH & Co. KG, Verlag
Classic Edition, Saarbrückerverlag für Rechtswissenschaften, EUE Editions
Universitaires Européennes, EAE Editorial Académica Española, PUA
Publicaciones Universitarias Argentinas, Fromm Verlag, Dictus Publishing,
Just Fiction Edition, Doyen Verlag.
Passenderweise gibt es den VDM-Titel "Karl-Theodor zu Guttenberg", 60
Seiten, für schlappe 27 Euro. Hundertausendfach die ideelle Arbeit von
vielen Wikipedia-Autoren kommerziell ausschlachten, copy and paste - ganz
der Freiherr -, keine nennenswerte verlegerische Leistung, kein Lektorat:
Darf VDM so Geld verdienen?
Laut Wikipedia gibt es rechtlich kaum eine Handhabe. Die Texte der
Online-Enzyklopädie beruhen auf einer Creative-Common-Lizenz, sie dürfen
also bei Namensnennung der Autoren unter gleichen Bedingungen frei
verwendet werden. Das tut der VDM wohlweislich im seitenlangen Anhang. Da
die Produkte des Verlages auch ohne jede Lizenzgebühr fotokopiert werden
dürfen, sind die Bedingungen der Creative-Commons-Lizenz erfüllt.
Dennoch kritisiert Pavel Richter, Geschäftsführer der Wikimedia
Deutschland: "Dieses Geschäftsmodell nutzt das freie System von Wikipedia
ganz klar aus. Gegenüber den kostenlosen Inhalten aus Wikipedia bieten
diese Bücher keinerlei Mehrwert. Das macht sie zu qualitativ schlechten
Produkten." Dennoch könnten auch die Inhalte "kommerziell genutzt werden".
Die Wikimedia Foundation, die das Online-Lexikon betreibt, arbeitet auch
selbst mit einem Verlag - mit Pediapress - zusammen, der Inhalte aus
Wikipedia als Bücher vertreibt. Nutzer können sich Artikel auswählen und
als Buch für rund 8 Euro zusammenstellen lassen. Aber auch Pediapress
verkauft Bücher wie "Nature. An overview", die aus Wikipedia
zusammengestellt sind, für 70 Euro. Ein Teil der Erlöses fließt an die
Wikimedia Foundation als Spende zurück.
Selbst Bibliotheken fallen auf den unseligen Wikipedia-Spam in Buchform
herein. Der Leiter einer Fachbibliothek der Universität Erlangen-Nürnberg,
Jens Hofmann, betont: "Bücher, die im VDM oder auch im Grin-Verlag verlegt
werden, bestelle ich grundsätzlich nicht."
VDM hat sich in seiner anderen Sparte darauf spezialisiert, massenhaft
Studierende anzuschreiben und deren Bachelor- beziehungsweise Hausarbeiten
und Dissertationen zu veröffentlichen, "die dann für viel Geld an Leute
verkauft werden, die allein vom Titel her nicht wissen können, was sie
geliefert bekommen", kritisiert der Bibliothekar Hofmann.
Zwar stehe VDM bei vielen Bibliotheken auf der Ausschlussliste. Weniger
bekannt seien jedoch die unzähligen Verlage, die zu VDM gehören, sagt Jens
Hofmann. Solche Bücher könnten es auch wieder in die Regale der
Bibliotheken schaffen.
Und der Verlag operiert nicht nur in Deutschland. Beschwerden finden sich
weltweit. Ein amerikanischer Blog füllt sich seit Mai 2009 bis heute nahezu
wöchentlich mit den Klagen junger Wissenschaftler.
## Peinlicher Download
VDM-Chef Wolfgang Philipp Müller kommentiert [4][einen Beitrag in einem
Blog über Plagiate]: "Wenn öffentliche Bibliotheken Steuergelder für
Content verschwenden, den sie kostenfrei downloaden können, finde ich das
peinlich."
Allerdings: Die Wikipedia-Bücher des VDM werden von obskuren Herausgebern
als scheinbar editierte echte Bücher getarnt. So gelingt es etwa "Lambert
M. Surhone", über 120.000 Bücher herauszugeben. Wer bei VDM nach Lamberts
Kollegen Max Nemstein fragt, landet bei einer elektronischen Bandansage.
Wenige Minuten später kommt eine Mail von Inka Rohde von der
Geschäftsführung der VDM-Verlagsservicegesellschaft mbH: "Da wir über
40.000 Autoren aus aller Welt betreuen, sind wir telefonisch nicht
erreichbar und beantworten Anfragen ausschließlich per Email."
Wer sich weiter nach der Expertise von Herrn Nemstein für sein
Wikipedia-Werk über die Stasiunterlagenbehörde erkundigt, beißt auf Granit:
Informationen über Nemstein könnten "aus Datenschutzgründen" nicht
mitgeteilt werden. Weitere Nachfragen bleiben unbeantwortet.
Was meint der Börsenverein des deutschen Buchhandels dazu? Man ist auf
Anfrage nicht bereit, die Geschäftspraktiken des Verlages zu kommentieren.
VDM ist selbst Mitglied des Verbandes.
Auch die Verbraucherzentrale Bundesverband tut sich schwer und sieht sich
mit einem neuen Phänomen konfrontiert. Dennoch meint Pressesprecher Steffen
Küßner: "Solche Bücher sind eine Mogelpackung. Ob sie juristisch angreifbar
sind, muss man allerdings im Einzelfall prüfen."
Laut Bundesanzeiger weist allein die VDM Verlag Dr. Müller GmbH & Co. KG im
Jahr 2009 eine Bilanzsumme von 1,6 Millionen Euro aus. Allerdings gehören
etwa Fastbook Publishing wie auch Alpha- und Betascript zum "International
Book Market Service Ltd". Die Firma sitzt in der 17 Rue Meldrum, Beau
Bassin. Eine Adresse auf Mauritius, wo der Verlag nach eigenen Angaben seit
2006 "mit bald 100 Mitarbeitern einen Großteil der Verlagsarbeit
bewerkstelligt." Auf diesem unbeschwerten Eiland gelte: "größere Freiheit,
mehr Bücher."
Vielleicht befindet sich deswegen unter gleicher Anschrift auch VDM
Publishing House Ltd dort. Mit identischem Geschäftsführer: Benoit Novel,
der in diese verantwortungsvolle Position bereits im Alter von 22 Jahren
kam und zu dessen Fähigkeiten zähle, dass er "very good German" spreche.
Pavel Richter von der Wikimedia Foundation sieht statt Wikipedia eher
Versandhäuser wie Amazon in der Verantwortung. "Das Geschäft funktioniert
nur, weil Amazon und andere Händler die automatisierte Möglichkeit bieten,
hunderttausende solcher Titel einzustellen", sagt er. Das Problem lasse
sich schnell lösen: "Amazon sollte ein Interesse daran haben, ein
qualitativ so minderwertiges Angebot seinen Kunden gar nicht erst
anzubieten. Meine Forderung an Amazon und andere Onlinehändler ist es,
dieses Angebot zu unterbinden."
Amazon antwortet auf Nachfrage, man wolle die Geschäftsbeziehung mit VDM
nicht beenden, "schließlich mögen auch die von Ihnen genannten Titel genau
das sein, was ein Amazon-Kunde gerade sucht - und wir wollen ihm die
Möglichkeit geben, einen solchen Titel dann auch zu finden."
Die Wikimedia Foundation prüft nun rechtliche Mittel, weil der Verlag mit
folgenden Text wirbt: "Aktuell & In hier ist Wikipedia drin!" Die Bewertung
sei jedoch "schwieriger als gedacht", so Richter.
Der VDM begreift sich selbst schon mal als Avantgarde, als "eine moderne
Verlagsfabrik, die nach Industriestandards arbeitet". Der Chef Wolfgang
Philipp Müller schreibt: "Die Zeiten, in denen Verlage auf dem hohen Ross
des Besserwissens saßen und Freude dabei empfanden, Manuskripte abzulehnen,
sind glücklicherweise endgültig vorbei."
Auch von Dr. Philipp Müller und Esther von Krosigk, bei VDM zuständig für
"Global Communication", findet sich eine Monografie im Programm: "Du bist
nicht allein auf Erden. Wie wir alle unseren kosmischen Begleitpartner
finden". Bei diesem Produkt kann man nichts falsch machen. Auf dem Deckel
steht: "Dieses Buch wurde mit Liebesenergie durch das bekannten Medium
Sylvia Douglas aufgeladen".
18 Jul 2011
## LINKS
[1] http://www.amazon.de/s/ref=nb_sb_noss?__mk_de_DE=%C5M%C5Z%D5%D1&url=sea…
[2] http://www.amazon.de/s/ref=nb_sb_noss?__mk_de_DE=%C5M%C5Z%D5%D1&url=sea…
[3] http://www.amazon.de/s/ref=nb_sb_noss?__mk_de_DE=%C5M%C5Z%D5%D1&url=sea…
[4] http://plagiatsgutachten.de/blog.php/eine-warnung-bucher-mit-kopierten-wiki…
## AUTOREN
Kai Schlieter
## TAGS
Washington Post
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